Interview:

2015-05-17 The Hirsch Effekt im Interview

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THE HIRSCH EFFEKT haben vor kurzem ihr drittes Album "Holon: Agnosie" veröffentlicht und während ihrer Tour Zeit für ein Interview vor ihrem Konzert in Berlin gefunden. Heraus kam ein unterhaltsames Gespräch über das neue Album, den Einstieg in die Charts und Pläne für die Zukunft der Band.Interview

Vor kurzem ist euer drittes Album „Holon: Agnosie“ erschienen. Könntet ihr eure Musik für diejenigen Leser, die noch nicht so mit euch vertraut sind, in einem Satz zusammenfassen?

Nils: The Hirsch Effekt machen progressiven Rock für Leute, die sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden geben.

 

Bisher waren alle Alben von euch Konzeptalben. Nun stellt sich mir die Frage, welches das Thema des aktuellen Silberlings ist. Was verbindet die Songs?

Nils: Auf „Holon: Agnosie“ gibt es kein konkrete, durchgehendes Thema. Allerdings kann man sagen, dass es eine Grundstimmung gibt, die sich wie ein roter Faden durch die Lieder zieht. Es geht um eine grundlegende Angepisstheit, Ratlosigkeit oder auch Unzufriedenheit. Auch darum, mit sich zu hadern und zweifeln.

Ilja: Die Songs sind in gewisser Weise einfach seelenverwandte

 

Wie steht das, doch recht eigenwillige, Cover damit im Zusammenhang?

Nils: Unser Cover ist wieder mal, wie bei den beiden Alben davor, von dem in San Francisco lebenden Künstler Alejandro Chavetta erstellt worden. Wir haben ihn bisher nie getroffen, sondern ausschließlich über E-Mail mit ihm kommuniziert. Für unser Album habe ich eine kurze Zusammenfassung der Titel geschrieben, ins englische übersetzt und ihm geschickt. Daraufhin hat er ein Cover entworfen, das uns allerdings nicht so gut gefallen hat. Daraufhin hat er ein neues zugesandt, das nun unser Albumcover ist. Ich persönlich finde es schön. Ich kann natürlich nicht genau sagen, was es bedeuten soll, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das Thema drin ist. Ich kann es nicht genau definieren, aber auf irgendeiner Astralebene passt das ziemlich gut.

 

„Agnosie“ schließt als dritter Teil an die Holon-Reihe an. Holon bezeichnet eine Ganzheit, die wiederum Teil eines Ganzen ist. So stellt sich mir die Frage, wie das Album zu den Vorgängern passt und sich also in das größere Ganze (die Trilogie) eingliedert.

Ilja: Dieses Mal haben wir das Album zuerst aufgenommen und erst im Nachhinein die Erkenntnis gehabt, dass es einen sehr guten Abschluss unserer Holon-Trilogie darstellt. Nicht nur wegen der Songs selbst. Auch weil das Cover sehr gut passt. Außerdem hat Agnosie auch was mit Vergessen und Wiederholung zu tun, passt also auch hier.

Nils: Ich hatte ursprünglich gar nicht vor, das neur Album zu integrieren. Die Idee dafür kam erst mit einem gewissen Abstand, als es bereits fertig war.

 

Zum Begriff der Agnosie. Der hat mehr als nur eine Bedeutung. Man kennt ihn sowohl aus der Psychologie bzw. Medizin, als sogenannte Wahrnehmungsstörung als auch aus der Philosophie. Dort wird der Begriff mit ‚Unwissen‘ übersetzt, taucht aber auch bei den Agnostikern als skeptische Haltung auf. Wie versteht ihr den Begriff, wenn es um euer Album geht?

N: An Agnostizismus habe ich nicht gedacht. Mir persönlich gefällt der Begriff der Seelenblindheit sehr. Also die Unfähigkeit, sich selbst richtig wahrnehmen zu können. Der Zweifel, der daraus hervorgeht.

Bei dem Song Bezoar dachte ich selbst z.B. daran, dass ihr implizit eine skeptische Grundhaltung vertretet, indem ihr kritisiert, dass sich Menschen aufgrund von Überzeugungen („zum Beispiel auf die Frage warum wir hier sind und wo wir herkommen“) gegenseitig die Köpfe einhauen, obwohl endgültige Antworten niemals gefunden werden können.

Ilja: Ursprünglich war das, was du sagst, nicht damit gemeint. Trotzdem darf man es als Leser gern hinein interpretieren. So soll es auch sein. Auch wenn man beim Schreiben eines Textes zwar einen bestimmten Sinn im Hinterkopf hat, muss der nicht zwangsläufig der einzig richtige sein. Die Bedeutung ist nicht fest vordefiniert.

 

Was war, während der Aufnahmen von „Holon: Agnosie“ euer wichtigster Einfluss? Nicht nur musikalisch gesehen. Vielleicht hat euch auch eine bestimmte Serie, ein Film oder ein Buch inspiriert.

Nils: Puuhh. Also ich für meinen Teil lese fast gar nicht in meiner Freizeit.

Moritz: Ich kann gar nicht lesen (lacht).

Nils: Es gibt wohl keinen gemeinsamen Einfluss in dieser Richtung. Wir lassen uns viel vom Alltag inspirieren und verarbeiten, was er uns so bietet.

 

Habt ihr denn eine bisherige Platte des Jahres?

Nils: Einflüsse gibt es bestimmt. Aber eine CD des Jahres hab ich nicht. Dafür schwimm ich auch zu sehr im eigenen Saft. Die Band allein ist schon ein Fulltime-Job. Da schaut man abends nicht mehr wirklich nach neuen Erscheinungen.

Ilja: Zu diesem Jahr kann ich auch nichts sagen. Wenn ich mir neue Alben anhöre, merke ich teilweise erst später, dass die schon vor ein oder zwei Jahren rausgekommen sind. Und manchmal hänge ich eher noch bei Alben aus den Siebzigern fest.

Nils: Ilja hat sich vorgenommen, jedes Album zu hören, das jemals rauskam. Er ist jetzt in den Siebzigern angekommen (lacht).

Moritz: So wirklich viel kam danach ja auch nicht mehr (lacht).

 

Vor kurzem habt ihr bekannt gegeben, dass ihr Platz 63 der deutschen Albumcharts erreicht habt. Habt ihr damit gerechnet?

Nils: Drüber nachgedacht hat man vielleicht schon einmal, aber trotzdem wurde den Charts keine Beachtung geschenkt.

Ilja: Ich habe nie Wert drauf gelegt. Das hat meiner Meinung auch nicht viel zu sagen. Freunde kann man sich dadurch auch nicht kaufen.

Nils: Allerdings hilft es einem schon weiter. Bspw. Hat das Label dann das Gefühl, gute Arbeit zu leisten und auch mehr Motivation, uns zu unterstützen und weiterhin gute Arbeit zu verrichten. Und auch so hat es einen Einfluss. Ich hatte vor kurzem erst Geburtstag. Da hab ich weniger Anrufe bekommen als an dem Tag, an dem unsere chart-platzierung bekannt gegeben wurde (lacht).

 

Darf man denn seine Glückwünsche aussprechen? Oder seid ihr lieber abseits der Charts?

Nils: Ich hab mich natürlich schon gefreut. Es ist doch schön zu wissen, dass die eigene Musik Bedeutung hat

 

Holon: Agnosie“ steht mit Songtiteln wie Tombeau, Bezoar etc. genau in der Namens-Tradition von THE. Wieso die kryptischen Namen und wie kommt ihr drauf? Langes Studium oder spontane Assoziation?

Nils: Die Begriffe werden schon recherchiert und rausgesucht, haben also etwas konstruiertes. Die Titel sind daher als kleine Gimmiks zu verstehen. Man soll nicht sofort wissen, worum es geht. Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, dass es mir gefällt, kleine Recherchen zu Liedern anzustellen, die ich höre. Sodass ich am Ende darüber nachdenken kann, wie der Songtitel mit dem Lied und Text im Zusammenhang steht und was er bedeutet.

Moritz: Über manche dieser Begriffe stolpert man aber auch im Alltag. Dann werden sie einfach übernommen.

Nils: Ja. Z.B.  Bezoar. Dieses Wort ist mir schon hängen geblieben, weil ich die Vorstellung so skurril finde, dass unverdauten Haarresten entgiftende und heilende Kräfte zugeschrieben werden und in einigen Kulturen sogar das Geschirr damit eingerieben worden ist.

 

So viel zum aktuellen Album. Wie sehen jetzt eure weiteren Pläne aus? Gibt es schon Ideen für das nächste Album?

Nils: Auf der Fahrt nach Hamburg haben wir zum ersten Mal darüber geredet. Wegen des Tourlebens ist es relativ schwer, Zeit für solche Dinge zu finden. Vor allem was das Komponieren angeht. Aber eine paar kleine Ideen gibt es schon. Wir planen wieder ein Konzeptalbum zu schreiben. Dabei handelt es sich um eine fiktive Geschichte, die aber nichts mit der Holon-Reihe zu tun hat.

Moritz: Tabaluga (lacht.)

Nils: Haha, genau. Tabaluga meets Jim Knopf (lacht).

 

Gibt’s es denn irgendwelche besonderen Interessen, Hobbies oder Beschäftigungen, denen ihr in eurer, wenn auch kurzen, Freizeit nachgeht?

Nils: Ich gebe bspw. Gitarrenunterricht. Moritz studiert Biologie und Ilja…Ilja kämmt sich gern seine Haare (lacht).

 

Habt ihr gemeinsame musikalische Vorbilder bzw. Bands, die euch allen drei gefallen?

Ilja: Der einzige gemeinsame Nenner ist wohl The Mars Volta.

Nils: Und The Dillinger Escape Plan.

Ilja: Stimmt.

 

Was hört ihr denn nebenbei noch für Musik? Oder anders ausgedrückt: mit welcher Musik beschäftigt ihr euch noch?

Nils: Da ich klassische Gitarre studiert habe, habe ich natürlich viel klassisches in meinem Studium gehabt. Heute aber beschäftige ich mich nicht mehr so intensiv damit. Ilja hört nebenbei auch viel Ambient und Dubstep. Letzteren versucht er auch zu machen (lacht). Nein, im Ernst. Das klingt auch sehr gut, was er so an Dubstep produziert.

 

Alles klar, das wär es soweit von mir. Ich bedanke mich vielmals.

Nils: Vielen Dank für das Interview!



The Hirsch Effekt