Summer Breeze 2004 - Samstag

Zunächst einmal hatte es aber geregnet. Das Wetter war an den beiden vergangenen Tagen schon eher durchwachsen, aber in der Nacht auf Samstag hatte es richtig geschüttet. Große Pfützen auf dem Asphalt vor der Hauptbühne, noch größere Pfützen im Kies
vor der Painstage. Durchweichte Zelte, klamme Hosen, Jacken und Schuhe - und zunächst einmal ein leeres Festival-Gelände, weil
wohl die meisten damit beschäftigt waren, Körper, Mahlzeit oder Klamotten warm zu bekommen.
DEADSOUL TRIBE spielten also auch als 5. Band des heutigen Tages noch vor lichten Reihen. Die Kommunikation mit dem Publikum geriet allerdings um so persönlicher: Eingeschworene Fans forderten Jam-Sessions und die Akustik-Klampfe von Devon Graves - der blieb bei seiner Gibson Paula und ließ über den nächsten Song abstimmen: Statt "Flea" vom letzten Album gab es spontan vom neuen Album "Spiders And Flies" zu hören.
Von HATESPHERE schienen sich die Leute mehr Sport zu versprechen, rund um die größte Pfütze herum herrschte Andrang, gegen Ende des Sets grindeten die Fans des Dänen-Thrashs auch mit wachsender Begeisterung gegen das Wasser und hinterließen so lustige Spritzer auf den Umstehenden. Dank der dicken Wolken bekamen HATESPHERE zur schönsten Mittagszeit eine amtliche Lightshow. Und wie die Kreissäge auf ihrem Backdrop drehten sich die Köpfe, der Haar-Hubschrauber rotierte. HATESPHERE setzen
eine unglaubliche Energie auf der Bühne um. Und was gelernt für ihre Songauswahl haben sie heute auch: Bei "Ballet Of The Brute" geht die Party ab, bei den älteren Songs regnet es.
MNEMIC können zwar genauso evil posen wie ihre Landsleute rund um Jacob Bredahl - aber live zündet das "Mechanical Spin Phaenomenon" nicht. Die energiegeladene Show zog zunächst einige Nasen vor die Bühne - die dann schulterzuckend wieder abzogen und "Fear Factory für Arme" vor sich hin brabbelten. Die ausgekoppelte Single "Ghost" ging im Soundquark unter - wahrscheinlich sollte man sich eine Hightech-Band wie MNEMIC nur bei einer Clubshow unter besseren Bedingungen angucken...
Ein lustig schwäbisch schwätzendes Mädle kam mir lachend entgegen: "Die muscht du sehen, der Sänger haut sich Sachen an den Kopf und schpringt halbnackig herum." HONIGDIEB fielen schon musikalisch extrem aus dem sonstigen Billing heraus - und hatten trotzdem oder gerade deswegen alle Lacher auf ihrer Seite. Sogar die eigenen. Sir Hannes tobte und turnte über die Bühne, sang von Frauen, die er nicht will und gab das erfrischende Enfant Terrible. Pech für die Madam.
Knutschend schoben sich die Mitglieder von DEAD SOUL TRIBE durch die Menge und versuchten, beim Weibsvolk Aufmerksamkeit zu erhaschen - aber die galt jetzt gerade DISILLUSION. Die Nachwuchs-Kapelle aus Leipzig wurde heiß erwartet:
Hier sollte also der erste von vier Auftritten im "großen Ensemble" stattfinden. Und es wurde wahrhaftig eine Zeit der Pracht, es ging "Back To Times Of Splendor": Die DARK SUNS, also die Kelly Family des Prog-Death-Metal unterstützte Vurtox, Rajk und Jens auf der Bühne. Bei knapp einer dreiviertel Stunde Spielzeit war der Titelsong dieses aktuellen Albums auch das zentrale "Magnum Opus" im Set, und das Wechselbad zwischen Headbangen, Gänsehaut und Staunen rechtfertigte den ganzen Aufwand von Anfang bis Ende. Und, was will man mehr - die Sonne kam passend dazu aus den Wolken raus.
CATARACT haben danach den Geschwindigkeitspegel wieder von null auf Hundert umgelegt - Metalcore halt. Mehr konnte ich leider nicht sehen, da ich mal schnell einem dringenden Bedürfnis nachgehen musste...
Wir melden uns wieder von der Hauptbühne: DISILLUSION hatten sie mit sieben Personen schon vollgestellt, SCHANDMAUL sind nur zu fünft, aber die Fläche ist vollends für die zahlreichen Instrumente gebraucht, alle Musiker laufen längs und quer, tanzen Ringelreihn und springen in die Luft: SACHNDMAUL sind die Hochleistungssportler unter den Musikern an alten Instrumenten.
Und außerdem eine der Bands der Stunde, jeder außer mir kann mitsingen... SCHANDMAUL sind auf ihre Weise die poppigste Band des Wochenendes - also ohne Kompromisse, und mit ihrer sehr persönlichen Musik und den noch persönlicheren deutschen Texten. Und heute auf der Hauptbühne sind SCHANDMAUL auch die Band mit dem zahlenmäßig größten Publikum.
"Lalaleileilaleilaleileileihei..." geht mir nun nicht mehr aus den Ohren. Die Finnen ENSIFERUM haben einen Mega-Ohrwurm, und wenn der sich erst mal eingenistet hat, ist er nicht mehr rauszubekommen. Über das ganze Gelände verteilt summten das unterschiedlichste Menschen bis spät zum FINNTROLL-Auftritt vor sich hin. Und wieder "Lalalei...". Der Auftritt war übrigens spitze.
Bis BRAINSTORM hatte es sich mal wieder eingeregnet, eine gute Ausrede um Essen zu gehen. Bis U.D.O. wollte ich diese Pause zwar gern ausdehnen, leider lagen aber noch PSYCHOPUNCH dazwischen. Shit. Verpaßt.
PRIMORDIAL waren früher ergreifend und groß - "awesome" würde der Engländer sagen, und das traf bisher wahrscheinlich die Performance der Iren am besten. Bisher gilt für alle Gigs vor dem Summer Breeze - hier waren sie ein Schatten ihrer selbst, und das aus verschiedenen Gründen: Musikalisch gab es zunächst wenig auszusetzen an der Performance. Aber kam Sänger Alan Nemtheanga früher mit roter Walle-Mähne auf die Bühne gerannt wie Flamme und Schwert, wirkt er heute mit Glatze und roter Farbe wie die Billig-Version der spätneunziger SATYRICON. Seine Ansagen waren scharf - und wahrscheinlich überzogen in der Richtung: "Are you with me, Summer Breeze?" kann man fragen - muss man aber nicht, erst recht nicht so oft. Mit den zahlreichen Aufrufen zugunsten der "alten, keltischen Götter"
unterschied Alan heute abend nur noch die Stoßrichtung von den christlichen Missionaren, gegen die er wettert. Die Perlen von "Spirit The Earth Aflame" wurden zerredet - so konnte keine Stimmung aufkommen.
Laute "DANZIG, DANZIG!"-Rufe, und dann kam der Mini-Muskelprotz mit einiger Verspätung auf die große Bühne. Ja, die Backing-Band war ganz ordentlich und rockte, DANZIG croonte, und ich hatte mir mehr erwartet und ging noch mal ins Warme. Ich war dabei nicht die einzige...
Bei FINNTROLL tobte dagegen das Feld. Regen, Matsch, Nässe - alles vergessen im Humppa-Rausch. "Trollhammeren", "Fiskarens Fiende", "Jaktens Tid", "Midnattens Widunder" - ganz Schwaben eine schwedisch grummelnde, hüpfende Masse. Trolle sind sicher selten so freundlich wie die wilden Gestalten auf der Bühne - die sich langsam vorkommen müssen wie Bill Murray in "Täglich grüßt das Murmeltier" - denn FINNTROLL konnten ihren Set aufgrund der fortgeschrittenen Zeit genau wie letztes Jahr wieder nicht zu Ende spielen. 50 ganze Minuten hätten sie gehabt, im Spielrausch wurden es vor lauter Humppa-Rufen erst 60, dann 61 - und dann Schluss, mitten im letzten Song. Mit einem breiten Grinsen nahm Tapio Wilska seine Verfehlung, entschuldigte sich bei seinen Fan-Trollen, schmetterte mit ihnen a capella eine Zeile - und wünschte ihnen ein trollisches Wiedersehen bei der nächsten Gelegenheit. FINNTROLL selbst verschwanden summend mit dem Leiter der Bandproduktion (der den Strom ausgeschaltet hatte) in einem Arm und einer Pulle Jägermeister im anderen hinter den Kulissen...
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