Konzert:

Wave-Gotik-Treffen 2011 - Sonntag

Konzert vom 12.06.2011Für den Sonntag wurde die gesamte "Horrorbilly"-Mischpoke in den Felsenkeller an den westlichen Stadtrand verfrachtet. Eine brilliante Entscheidung, denn der Felsenkeller punktet mit schöner Raumakustik, fasst dem Augenmaß nach etwa das eineinhalbfache des Werk II und hat zahlreiche Außentüren, die verhindern dass das Venue zur Sauna wird.



TERRILL eröffnen den Tag mit der Straßenköter-Version von Punk meets Psychobilly. Ehrlich, würde ich allein von Bühnenpräsens und Rotzigkeit schließen, ich würde schätzen, TERRILL kämen aus Londons East End. Doch stattdessen kommen sie – tadah – aus Hannover! Überraschender Auftakt!



Die Liverpooler ZOMBINA AND THE SKELETONES besteht aus Sängerin Zombina im unschuldig-gelben Märchencape und ihrer Bande an skelett-geschminkten Instrumentalisten. Und während des ersten Songs dachte man noch, die nächsten 45 Minuten würde diese gestellte Arbeitseinteilung so vorhersehbar ablaufen – doch dann drehte Zombina auf und der Horrorpunk der Band zündete. In dieser Sub-Szene hatten sich die Entertainer-Qualitäten der Band offensichtlich bereits rumgesprochen, so dass sich der Felsenkeller das erste Mal richtig füllte.



Die folgende Band war eigentlich als DEVILS WHOREHOUSE gebucht worden - Morgan Steinmeyer Håkanssons Spaßprojekt als DANZIG-Coverband. Der MARDUK-Chef ist noch dabei, der Name nicht mehr. Seit März haben sich die vier Schweden umbenannt, denn sie wollen nicht mehr covern, sondern eigene Songs spielen. Jetzt heißen sie DEATH WOLF und passen mit ihrem nihilistischen Deathrock mit Eiern á la ENTOMBED oder BATHORY kein bißchen mehr in den lustigen Horror-Maskenball des heutigen Tages. Perfekt würden die Jungs als Vorband von Volbeat oder als Soundtrack einer Bikerbar passen, die Songs sind je nach Geschwindigkeit zum gepflegten Biertrinken bis zur Kneipenschlägerei geeignet - aber hier so fehl am Platze wie Geld auf dem Konto eines Horrorpunkers. Denn die wollen lieber tanzen oder pogen statt die Haare zu schütteln oder die Faust zu recken. Also: Sehr kompatibel zu vielen unserer Leser, aber von den Horrorpunkern gingen nur ca. 100-150 zurück in den 1200er-Festsaal.



Die REZUREX boten dem Publikum dann wieder den geforderten Zucker – also Fifties-inspirierten, überdrehten Horrorbilly mit Harmoniegesang.



... und zack, für den nächsten Weg wäre jede Straßenbahn zu zuckelig gewesen: Zu KILLING JOKE kamen wir dann auch prompt zwei Songs zu spät in die Agra, zu den letzten Takten von "Love Like Blood" blutete mein Herz beim Hineinkommen. Die Altmeister des Industrial sind vielleicht äußerlich alt geworden, musikalisch bratzen sie wie anno tuc, kein bißchen weise oder leise. Außer "Love Like Blood" gab es keinerlei Zugeständnisse, die Songauswahl ist ein schöner Hinweis darauf, dass das Genre Industrial nicht in erster Linie durch frühen Wave, sondern durch das Weiterdenken von Punk entstanden ist. Bei KILLING JOKE ist Punk Attitüde, nicht Anzugsordnung. Im Handstreich räumen Jaz Coleman und seine Mitstreiter dem Publikum Ohren und Köpfe. War die Apocalypse schon da?



Setlist KILLING JOKE
Requiem
Love Like Blood
This World Hell
Wardance
Ess
Madness
Primitive
Great Cull
Dept Charge
Asteroid
The Wait
Psyche
Pandemonium

(laetti)


Währenddessen in einem anderen Venue einmal quer durch die Stadt:
Noch bevor überhaupt irgendeine Band die Bühne der Pantheon-Kuppelhalle betritt, liegt schon eine magische Stimmung in der Luft. Man kommt rein und schaut sich fasziniert und erfurchtsvoll um - ein wirklich ausgesprochen schönes Gebäude mit einem Maximum an Charisma! In so einer Atmosphäre dürfte es für die folgenden Bands ein Kinderspiel sein, das Publikum zu begeistern. THE FORESHADOWING aus Italien ziehen mit ihrem äußert angenehmen melodischen Doom Metal nicht Wenige in ihren Bann. Die Band wird wohl kaum abstreiten können, ziemlich stark von My Dying Bride inspiriert zu sein. Sowohl musikalisch, als auch was die Optik und Performance vor allem des Sängers angeht. Aber sei's drum, man kann sich wahrlich schlechtere Vorbilder aussuchen. Ein wenig mehr Abwechslung und Dynamik in den Songs und vor allem beim Gesang würden zwar nicht schaden, dennoch ein ausgesprochen stimmungsvoller und gelungener Auftakt.


Das erste OCTOBER TIDE-Album erschien bereits 1997, aber erst im letzten Jahr haben die Schweden den Status als Studio- und Seitenprojekt des damaligen KATATONIA-Gitarristen Fredrik Norrman abgelegt und tauchen seit dem Ausstieg der beiden Norrman-Brüder bei Katatonia in erneuerter Besetzung gelegentlich auf der einen oder anderen Bühne auf. Schon deshalb gibt es den Raritätsbonus für dieses Konzert. Zwar beschränkt sich das Stageacting auf ein Mindestmaß an handelsüblichem Headbanging, aber mehr braucht es eigentlich auch nicht, um den exzellenten Doom-/Death Metal optisch zu untermalen. Jeder Song ist ein kleines Juwel - angefangen bei dem großartigen Opener „The Custodian Of Science“ vom aktuellen Album „A Thin Shell“ über „Blackness Devours“, „Sweetness Dies“, „Grey Dawn“ bis zum abschließenden grandios dargebotenen „12 Days Of Rain“. Da können die eingefleischten Fans wirklich von Glück reden, dass es all das nach so vielen Jahren endlich auch live gibt! Dank sei Fred Norrman, der dieser Band neues Leben eingehaucht hat.


Apropos KATATONIA. Die lassen ihre treuen und erwartungsvollen Fans heute etwas zittern. Und wahrscheinlich zittern sie auch selber ein wenig. Ein Teil ihres Equipments ist nämlich auf dem Flug nach Deutschland abhanden gekommen. „Dann müssen wir wohl auf die Motörhead Rock'n'Roll- Variante zurückgreifen. Oder wir spielen die ganze Zeit nur Teargas“, lassen die angesichts der beunruhigenden Umstände noch erstaunlich gelassen wirkenden Musiker im Vorfeld verlauten. Die beiden Vorbands helfen schließlich mit Instrumenten und Technik aus. Ist doch ganz praktisch, wenn man zufällig seinen Ex- Gitarristen vor Ort hat. Nett anzuschauen, wie Herr Norrman seinem Nachfolger Sodomizer (welcher seinerzeit auch sein Guitartech war - lustiger Rollentausch quasi) solidarisch und kompetent bei den Vorbereitungen unter die Arme greift. Zum Glück verläuft das mit leichter Verspätung beginnende Konzert nicht wirklich so chaotisch und strange, wie man aufgrund der technischen Probleme hätte befürchten können. Ein paar Einsätze z.B. in „Leaders“ und „Forsaker“ gehen zwar leicht daneben, aber nichtsdestotrotz kommt reichlich Stimmung in der mittlerweile proppevollen Halle auf. Sicher ist's nicht das perfekte Konzert, aber doch allemal eine Freude und über weite Strecken stellt sich die herbeigesehnte Gänsehaut durchaus ein. „Chrome“, „The Longest Year“, „Liberation“ und der immer wieder gern gehörte Live-Kracher „Ghost Of The Sun“ wissen zu begeistern. Einzig die neue Version von „Right Into The Bliss“ bleibt gewöhnungsbedürftig. So eine essentielle Leadgitarre sollte man einfach nicht durch Synthie-Backingtracks ersetzen. Trotzdem insgesamt schön - weil eben Katatonia.

(Stibi)

In den anderen Venues scheint dagegen der Tag der Deadliner zu sein – im Felsenkeller spielen DEMENTED ARE GO parallel zu KILLING JOKE, danach teilt sich die Meinung des Publikums zu BALZAC. Nach der Meinung der einen Hälfte können die Japaner gegen die Horrorbilly-Urgewalt von DEMENTED ARE GO nicht mehr anstinken – die andere Hälfte geht ab wie die Luzie im Pit. In der Agra dasselbe: FIELDS OF THE NEPHILIM gehen mit ihren ruhigsten Songs und Nebel, Nebel, Nebel nach KILLING JOKE ins Rennen. Das ist zwar deren Konzept seit über 20 Jahren – aber im Vergleich mit der Band vor ihnen im Billing können sie nur noch verlieren. Lassen wir sie.



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