Konzert:
Dark Tranquillity, Insomnium, The Retaliation Process - Hamburg, Übel & Gefährlich

später am Abend Martin Brandström, der Keyboarder von DARK TRANQUILLITY.
Das sagte er nicht von ungefähr, denn das Gastspiel der
schwedisch-finnischen Freundschaft war das erste Metal-Konzert in der
inzwischen viereinhalb Jahre alten Location. Sonst bietet der etwas
andere Club im Bunker an der Feldstraße eher Electro oder Indie-Parties
ein Zuhause.
Leider ist die Tonanlage anscheinend komplett auf dieses Low-Fi-Niveau
eingestellt, und unter diesen technischen Voraussetzungen mussten
zunächste THE RETALIATION PROCESS leiden. Die Hamburger hatten sich in
der Online-Abstimmung gegen die regionale Konkurrenz durchgesetzt (unter
anderem hatten sich Dødning aus Dänemark und als lokale Konkurrenz Dark
Age beworben) und den Supportslot gewonnen. 800 Leutchen hatten ihre
Stimme für den Fünfer abgegen, mindestens 250 von denen haben es bis zu
den ersten Songs nach oben in den Club geschafft und sich gleich in
vorderste Reihen begeben. Dass sie dort stehen geblieben sind und die
Band ordentlich abgefeiert haben, können sich THE RETALIATION PROCESS
als Orden ans Revers heften, denn das lag einzig an Songs und
Stageacting der Jungs um Sänger Christoph und die Gitarristen Jury und
Sascha. Der Sound war nämlich eher zum Weglaufen: Die Gitarren bratzten,
der Gesang war abwechselnd zu laut und nicht zu verstehen, das
Schlagzeug klang sehr metallisch - nein, nicht "metal"-mäßig, sondern
nach den Alu-Verkleidungen der Entlüftungsschächte des Bunkers. Mit
ihrer Metal-Spielart zwischen Thrash, Death und Modern und den bestimmt
kläffendsten, wütendsten Vocals des Abends waren THE RETALIATION PROCESS
auch die härteste Band im heutigen Billing. (lh)
Niilo Sevänen von INSOMNIUM begann seinen Part im Unterhaltungsprogramm
mit einer komplett auf deutsch gehaltenen Ansage. Da mir danach der Mund
offen stand, habe ich den Inhalt nicht mitbekommen - aber die
Sympathiepunkte hatten die Finnen ab dieser Sekunde sicher. INSOMNIUM
setzen auf der melodischen Gitarren viele, aus deren Soundteppich ein
Song nach dem anderen aufsteht. Eine bekiffte Form der
Charakterisierung? Vielleicht. Aber bei INSOMNIUM sticht kein "Hit" aus
den Songs heraus, die Mischung aus gepflegtem Death a la frühe Amorphis
mit Growls und viel Atmosphäre ist chillig und nervt nicht - die Band
war der perfekte Übergang von TRP auf DARK TRANQUILLITY, die Setlist war
so abgestimmt, dass ein Song nahtlos an den anderen paßte - und das
inzwischen zahlreich erschienene Publikum ging ab wie Zäpfchen.
Zusätzliches Plus: Der Soundmann hatte bei den Tonproblemen der ersten
Band gut aufgepaßt und verpaßte seinen vier Musikern den besten Sound
des Abends.
DARK TRANQUILLITY hatten sich eine Menge vorgenommen, an diesem ersten
von 41 Gigs auf der laufenden Europa-Tour haben sie die "bislang
wahrscheinlich längste Setlist, die wir jemals auf einer Tour spielen
konnten" ausprobiert. Etwa eineinhalb Stunden Zeit nehmen sie sich dazu,
und in diesen kommt von jedem Album seit "The Gallery" mindestens ein
Track dran. Die auf den Festivals in diesem Sommer bereits erprobten
Projektionen kommen auf der Tour jetzt abendfüllend in den Einsatz, zu
jedem Song laufen andere Visuals hinter der Band über die Leinwand.
Schade nur, dass die Bühne heute so klein war, auf den nächsten Gigs
wird dieses Gimmick erst richtig zur Geltung kommen. Obwohl - eigentlich
sind DARK TRANQUILLITY keine Shoegazer-Band, die sich auf zusätzliche
optische Reize verlassen muss. Kaum stürmten die sechs Göteborger auf
die Bühne, verschwand das "Testbild" (die erste Einstellung der
Projektionen) in den Hintergrund. An der Bühnenkante regierten
stattdessen die Gitarristen Martin Hendriksson und Niklas Sundin,
Bassist Daniel Antonsson und natürlich Mikael Stanne. Der hat seinen
Gesang verändert - auf diesem Konzert und in dieser Setlist werden
selbst normaler Weise cleane Gesangsparts durchgeschrotet und gegrowlt -
dabei ist der Sänger kein bißchen heiser, wie man glasklar sowohl bei
den Ansagen als auch später beim allgemeinen Meet & Greet am
Merchandise-Stand hören konnte. Es ist also wohl Absicht und die
derzeitige Laune der Band. Vielleicht passen so die alten Songs auch
besser zu den neuen, denn mit dieser Europareise betouren DARK
TRANQUILLITY ihr im Frühjahr rausgekommenes Album "We Are The Void".
Ganze fünf aktuelle Songs haben es dazu ins Programm gebracht, die sonst
so beliebten Songs von der "Projector"-Scheibe sind bis auf das
heftigere "The Sun Fired Blanks" aus dem Programm geflogen. Trotzdem
schaffen es die Schweden, ihr aus alten und ganz neuen Fans
zusammengemischtes Publikum zufrieden zu stellen - für die alten Säcke
gab es als Schmakerl mit "Zodijackyl Lights" von der "The Mind's I"; mit
"The Gallery" und "Punish My Heavens" gleich zwei Songs von der "The
Gallery" und, wie Mikael Stanne sagte, "das haben wir schon bestimmt
fünf Jahre nicht mehr gespielt", "Damage Done" vom gleichnamigen Album.
Zahlreich erschienen war das Publikum in der Tat - etwa 800 Leutchen
passen in das Übel & Gefährlich hinein, davon ziehen wir mal so viel ab,
dass jeder gut und mit ordentlichem Aktionskreis um sich herum stehen
konnte - und der Saal war trotzdem gut gefüllt. Sagte ich eben "alt und
jung zufrieden stellen"? Ja, der unerwartete Riss im Publikum lag nicht
durch Generationen oder Alben-Liebhaber, sondern zwischen denen, die
weiter vorn oder weiter hinten standen. Eines der eben schon erwähnten
dicken Abzugsschächte stellte eine imaginäre Demarkationslinie dar. Ab
einen Meter vor dieser Linie ging das Publikum ab wie Zäpfchen und
grinste mit Mikael Stanne um die Wette - hier war der Sound laut und
bratzig, aber vielseitig genug und mit allen vertretenen Instrumenten. (laetti)
Anders ab ca. einen Meter hinter dem Abzugsschacht (der sich in ca. 3 m Höhe
befand!): da kamen kaum noch Gitarren und kein Bass mehr an und die Stimmung
kühlte von Song zu Song merklich ab. Für etwa ein Drittel der Besucher
also galt: Schade um ein großartiges Konzert einer tollen Band - bis zum
nächsten Metal-Gig müssen sich die Betreiber des Übel & Gefährlich hier
etwas einfallen lassen! (lh)
Setlist DARK TRANQUILLITY
At The Point Of Ignition
The Fatalist
Damage Done
Monochromatic Stains
The Gallery
One Thought
Zodijackyl Light
Iridium
Shadow In Our Blood
Icipher
Dream Oblivion
Misery's Crown
Haven
Punish My Heavens
Final Resistance
The Sun Fired Blanks
Terminus
