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Uli Sailor releast mit "Für immer jung" erste eigene Songs

KLAVIER, Cello und Gesang. Ist das PUNKROCK? Die Puristen würden empört widersprechen. Aber dann kennen sie ULI SAILOR nicht. Denn sonst wüssten sie, dass für energetischen Punkrock Stromgitarren, Bässe und ein Schlagzeug zwar nützlich, aber keinesfalls erforderlich sind. Davon überzeugen kann man sich bei einem seiner Livekonzerte. Hier findet man garantiert keine gediegene Salon-Atmosphäre mit Hintergrundbeschallung zum Dinner. Egal ob Kneipe, Jugendzentrum oder Festivalbühne: Uli Sailor bringt auch ohne große Showeffekte das Publikum zum Kochen. Aber nicht trotz, sondern weil es nur er und sein Klavier sind. Eine mehrköpfige Band kann auch mal schwächere Mitglieder durchziehen oder mit allerlei Bühnenshow oder technischem Klimbim von kleinen Fehlern und Unzulänglichkeiten ablenken. Ein Mann, allein mit einen Piano auf der Bühne vor einem vielleicht schon leicht bis stark besoffenen Punkrock-Publikum muss einfach von Sekunde eins da sein, die Akkorde in die Tasten kloppen, als hätte er die Gitarre von Johnny Ramone um den Hals und sich die Seele aus dem Leib singen. Es gibt keinen Ausweg, keine zweite Chance. Das war früh bekannt und das brachte Uli Sailor sogar schon zu Beginn seiner Solo-Tätigkeiten an ganz unterschiedliche Orte. Einerseits natürlich auf vertrautes Terrain wie dem Riez Open Air, wo er mit Punk- und Hardcorebands wie TURBOSTAAT, WALLS OF JERICHO oder TEAM SCHEISSE rocken konnte. Andererseits war man aber auch außerhalb der gewohnten Punkrock-Bubble neugierig auf das Punkrock-Piano und so war Uli Sailor auch gerngesehener Gast auf dem legendären Fusion Festival und dem Berliner Sisyphos, einem der angesagtesten Electro-Clubs in Berlin.

Wer den Piano-Punkrocker sieht, wird nicht glauben, dass er 2023 sein 30. Musikerjubiläum feierte. Geboren wurde er als Uli Breitbach in Jülich, einer Kleinstadt im Niemandslandzwischen holländischer Grenze und Köln, umgeben von gleich mehreren trostlosen Braunkohletagebauten. Neugeborene werden hier auch „Muttkrate“ genannt, was übersetzt etwa „Schlammkröte“ bedeutet. Und dann noch im hochsymbolischen Jahr 1977 auf die Welt gekommen. Beste Startbedingungen für eine Punk-Karriere. Der jugendliche Uli wurde nicht nur Punk, sondern gleich Punkrocker. Ab 1993 surfte er mit den D-SAILORS auf der großen Skatepunkwelle der 90er mit und landete auf Vitaminepillen Records, einer Institution unter den Punklabels dieser Zeit. Keinesfalls festgelegt auf melodiösen Punkrock stand er nach dem Ende der D-Sailors und mittlerweile in Berlin beheimatet, bei der Indieband TUSQ am Mikro und am Keyboard. Back to Roots ging es dann mit der Kreuzberger Punkrock-Institution TERRORGRUPPE, die Uli zur Reunion als Keyboarder in die Band holten. Man könnte auch sagen, ihm wurde dort eigens eine Stellegeschaffen, denn die Band hatte zuvor kein Keyboard. Uli Sailor prägte damit den neuen Sound der Band entscheidend mit. Bei einer Legende wie der Terrorgruppe ist das kein ungefährliches Unterfangen. Wollen die alten Fans überhaupt etwas Neues hören? Sie wollten! Die Terrorgruppe erlebte ihren zweiten Frühling, der bis 2022 ging und in einer großen Abschiedstour enden sollte.

Für Uli Sailor folgte eine ungewöhnliche Situation. Nun war er nach langer Zeit auf einmal ohne Band. Was tun? Selbstverständlich konnte kein Rückzug ins Private erfolgen. Punkrocker gehen nicht in die Frührente. Eine neue Herausforderung musste her. Uli, der seit 30 Jahren mit Bands auf der Bühne stand, startete nun ein Soloprojekt. Fast zumindest, den gelegentlich sollte Cellist Michael Schlücker aushelfen. Uli Sailors Punkrock Piano war geboren. Hier zahlte sich dann doch aus, dass seine Mutter ihn mit sechs Jahren zum Klavierlernen verdonnert hat. Nun fehlten noch die Stücke. Hier setzte Uli eine ungewöhnliche Idee um. Warum nicht einmal die alten Klassiker neu interpretieren, nur mit Piano, Cello und Ulis Gesang? Zuerst kamen die Helden aus Skatepunktagen, beispielsweise NOFX, LAGWAGON oder BAD RELIGION, dran. Dann folgten hiesige Ikonen wie WIZO und SCHROTTGRENZE, aber auch sein alter Arbeitgeber Terrorgruppe, wurde nicht vergessen. Verteilt wurde das Ganze auf zwei EPs, eingespielt am Flügel von Thomas Götz von den Beatsteaks. Klar war von vornherein, dass das Punkrock Piano keine reine Covermaschine sein sollte, sondern vielmehr eine Hommage an die Songs von Ulis Jugend: Eng am Spirit des Originals, aber dennoch mit ganz eigener Note.

Cover sind ja schön und gut, aber irgendwann muss man es mit den legendären Stranglers halten: „No more heroes.“ Eigene Lieder mussten her und die finden sich auf der neuen EP mit dem programmatischen Titel „Für immer Jung.“ Und schon wieder entdeckt ein weiteres Talent an Uli Sailor. Er kann nicht nur das Klavier Punkrock- und Pogo-tauglich zu machen. Er kann auch deutsche Texte. Die englischen Lyrics von D-Sailors und TUSQ in allen Ehren, aber sich in einer nicht gerade als poetisch und wohlklingenden Sprache wie Deutschauszudrücken, ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung.

Und worum geht es in seinen Texten? Funpunk ist es schon einmal nicht. Keine seichten Partyhymnen über Bier und Sex, aber auch kein rebellischer Pathos um den Kampf gegen Staat und Kapital mit platten Parolen. Stattdessen sind die Texte ein kleines Tagebuch, die zusammengenommen wie eine Geschichte klingen. Textlich ist er damit nah dran an den Schreibkünsten von Bands wie Tagtraum, Boxhamsters oder vielleicht sogar Leatherface. Alles andere würde kaum passen. Uli ist Mitte 40, blickt auf vieles zurück und hat noch viel vor sich. Eine gute Zeit um zu reflektieren, nachzudenken und nach vorne zu schauen. Es geht in den fünf Liedern verlorene Jugendideale („Live Fast Die Punk“), die Tristesse des Alltags („9 to 5“), den Verlust von Begeisterungen für das eins so Geliebte („Rock ist tot“), dass man irgendwann unweigerlich das Gefühl hat, alles schon einmal gesehen und gespürt zu haben („Grunge Revival“) und die unausweichliche Vergänglichkeit und geriatrische Erscheinungsformen in der Subkultur („Seniorpunk“). Punkrock ist und bleibt hier immer noch der rote Faden, auch die gängigen Klischees wird aber verzichtet. Uli Sailor zeigt hier auch sein ambivalentes Verhältnis zu der Szene, die er seit Jahrzehnten liebt und lebt. Durchaus Sentimental, aber ohne ein besseres „Früher“ zu beweinen. Es ist wie nach der großen Party aufzuwachen und es war geil, aber am nächsten Tag muss man nun mal die Wohnung aufräumen, ärgert sich über seinen Kater, aber freut sich schon wieder auf das nächste Wochenende.

Wer das nicht ganz unberechtigte Gefühl hat, dass Punkrock in den letzten Jahren wenig Innovation bot und sich zunehmend nur noch selbst kopierte, könnte mit Uli Sailor genau die eine Ausnahmeerscheinung finden, die das Genre wieder interessant macht.



Uli Sailor am Klavier

Quelle: Philipp Meinert