Konzert:

Ulver - Berlin, Volksbühne

Konzert vom 08.02.2010Dieses Konzert ist etwas besonderes - das stand schon vorher fest, wie
ein leises Rauschen ging die Nachricht davon durchs Internet: ULVER, die
norwegischen Black-Metal-Pioniere, spielen in Berlin das 13. Konzert
ihres gesamten 17-jährigen Bestehens. 7 Konzerte gab die Band in 2009
nach dem erfolgreichen Startschuß auf dem Literaturfestival in
Lillehammer, auf der aktuellen Tour unter dem Motto "The Rest is
Silence" ist Berlin der 6. Gig. In den Rahmen der Musikmesse
"Transmediale" in das das Konzert eingebettet wird, passen die ULVER von
heute perfekt hinein. Dass aus den folkischen Blackheimern eine
Avantgarde-Band geworden ist, die nachdenkliche bis apokalyptische Texte
mit elecktronischem Ambient-Geplucker unterlegt, hat die Verehrung für
die Band nicht geschmälert, im Gegenteil. Klar war also vorher schon,
dass der Abend ausverkauft werden wird - nicht so klar war, dass die
musikalisch offenen Blackmetaller auf dem Konzert unter sich bleiben
würden. Schon in der U-Bahn und der Tram ist am
Oldschool-Blackmetal-Shirt zu erkennen, wer in die Volksbühne strebt.
Das soll vor vier Wochen anders gewesen sein: Die
Programm-Verantwortlichen der Volksbühne haben anscheinend ihr Herz für
norwegischen Black Metal entdeckt und hatten Mitte Januar MAYHEM in
dasselbe Theater gebucht. Dort bestand mindestens die Hälfte der
Anwesenden aus Neugierigen, die sich im vermeintlich sicheren
Theatersessel vor der "gefährlichsten Band Norwegens" (so die
Hauptstadtpresse) gruseln wollten.



Noch ein Wort zur Location: Die Volksbühne ist das avantgardistischste
der Berliner Theater, Wände und Säulen sind aus Marmor und stecken unter
der sozialistischen Betonhülle. Das Personal ist natürlich uniformiert -
aber nicht streng. Trotzdem wirkt der Raum auf die Besucher: Brav stehen
alle an, bis der Große Saal aufgeschlossen wird - und setzen sich
automatisch und unabgesprochen auf die Erde. Es ist nämlich - und das
ist die erste Überraschung - nicht bestuhlt. Die Bühne wird von einer
riesigen Leinwand dominiert, die exakt in Höhe und Breite mit den
Bühnenrändern abschließt. Dann kommt die Band auf die Bühne - und
verschwindet optisch gegenüber den Bildern auf der Leinwand. Beleuchtet
werden ULVER nur im Gegenlicht. Es wirkt eher, als würde man den
Soundtrack zu einer Reihe von (mehr oder weniger zusammenhängenden)
Kurzfilmen sehen - die Musik wird zum Teil einer Inszenierung. Eine
norwegische Regisseurin hat die Filme zu Text und Musik
zusammengestellt, der Opener "Eos" vom letzten Album "Shadow Of The Sun"
wird von einer aufgehenden roten Sonne bebildert, die sich zu den
letzten Takten in einen Vollmond verwandelt. Zum zweiten Song "Let The
Children Go" wird eine Szene aus der Savanne gezeigt, bei dem eine
Zebra-Stute mit einer Löwin um die Wette rennt um ihr Fohlen zu retten -
und verliert, weil das Fohlen stolpert. Wenn man es schafft, den Blick
einen Augenblick von den bewegten Bildern zu lösen, entdeckt man auf der
Bühne ein Schlagzeug, ein E-Piano, ein Set Keyboards, E-Gitarre und
E-Bass. So weit, so normal. Die werden von Tore Ylwizaker, Daniel
O’Sullivan und dem unbekannten Schlagzeuger bedient. Auf der anderen
Seite stehen drei Laptops und noch einen Berg anderer Technik für zwei
weitere Mitmusiker und Sänger Kristoffer Rygg. Rygg alias Garm alias
Trickster G. steht eher mittendrin in diesem Technik-Wust als gegenüber
dem Publikum. Die Ansagen nach diesen ersten zwei Songs sind
ausschließlich an seine Technik-Crew gerichtet, also wo sie jetzt den
Ton leiser oder lauter machen sollen. Nach dem dritten Song
kommunizieren ULVER unüberlesbar - zu "Little Blue Bird" gibt es eine
Collage aus den Turmspringer-Szenen des "Olympia"-Films von Leni
Riefenstahl, kontrastiert durch Bilder einer alten Frau im Lehnstuhl und
von den hohlwangigen Augen mutmaßlich eines KZ-Opfers. Als die
Turmspringer dann allerdings statt ins kühle Nass wie Bomben vom Himmel
fallen und man einzelne Bilder historischer Nazi-Aufmärsche erkennen
kann, wird die Leinwand schwarz. Aus Respekt vor dem Ort habe man sich
selbst zensiert - es ist auch so klar, was hier nur kommen könnte. Vom
krassen Kopfkino geht es weiter zu krassen Bildern, "For The Love Of
God" hat alles von Taufe bis Teufelsaustreibung, eingestreut werden sehr
direkte Bildchen aus Pornos - die Show war also nur für "über 18".
Nahtlos ging es weiter mit "In The Red" und Bildern aus den Rotlicht.
Das ist Unterhaltung, jetzt im besseren und mehrfachen Sinn des Wortes.
Bilder und Musik bekamen den "Flow", selbst die Szene eines
Badewannen-Selbstmordes passte in die umgebende Musik. Der Applaus
zwischen den Stücken wurde stärker, und Garm antwortete ein "Thank you".
Bei "Hallways of Allways" bangten vereinzelt Leute im Sitzen auf dem
Theaterfußboden und wurden dazu von Daniel O'Sullivan und einem der
beiden an den Reglern angefeuert.



Nach 75 Minuten endete dieses seltsame audiovisuelle Erlebnis mit einem
entrückenden "Not Saved" und einem sehr blonden Kind in weiß. Auf die
stehenden Ovationen antwortete Garm mit einem "Thanks. You know we won't
come back and play another song because we're not that kind of band",
ließ sich noch ne Sekunde feiern und verschwand. Und wird wissen, dass
er zwar eine perfekte Inszenierung abgeliefert hat, aber ebenso die
legendäre, mythenumrankte Figur Garm entzaubert hat: Garms Stimme klang
dünn und deutlich tiefer als auf Platte - und auch anders als auf den
Youtube-Aufnahmen der gerade vergangenen Gigs, die Stimmbänder machen
ganz offensichtlich die ungewohnte Belastung nicht einfach so mit. Die
deutlich füllige Figur des Familienvaters Kristoffer Rygg versteckte
sich während längerer Instrumental-Passagen auf dem Fußboden hinter der
Abstellfläche für seinen Laptop und werkelte an einem kleinen
DAT-Recorder. Die Band brach dieses Image der Unnahbarkeit nur Minuten
später wieder und mischte sich am Merchandise-Stand unters Volk. Kleine,
bizarre Brechungen einer großen Show!



Setlist ULVER (absolut ohne Gewähr):<

Eos

Let The Children Go

Little Blue Bird

Rock Massif

For The Love Of God

In The Red

Operator

Funebre

Silence Teaches You How To Sing

Plates 16-19

Hallways Of Allways

Porn Piece Or The Scars of Cold Kisses

Like Music

Not Saved