Konzert:

Close-Up Båten -- Donnerstag, Stockholm-Turku

Konzert vom 15.02.2007Wir sind gewarnt worden: "You´re gonna go on that boat?! You´re gonna
die!" Der Tenor im voraus: Schweden gingen nur auf das Boot, um den
Triathlon "Drink, fight and fuck" zu bestehen. Wie sich schon
herausgestellt hat, sind die "Specialkryssningar" - also
Motto-Kreuzfahrten der Fährenanbieter Silja- und Colour-Line billiger
selbst als deutsche Festivals: Die Überfahrt in einer Vier-Bett-Kabine
(Kabinen-Buchung ist Pflicht) kostet pro Person umgerechnet zwischen 35
und 40 EUR. Das erstklassige Line-Up ist da im Preis inbegriffen:
Hardcore Superstar und Dark Tranquillity sind die Headliner, außerdem
spielen Tiamat den ersten Gig im Großraum Stockholm seit zwölf Jahren;
Pain, Necrophobic und Dimension Zero sind auch dabei. Anders als auf
üblichen Festivals hat jede der Bands komfortable ein bis eineinhalb
Stunden Spielzeit zur Verfügung.


Also aufs Boot: Den Ausstieg aus der Tunnelbana an der Station Gärdet
und den Weg von der Station zum Fährhafen kann man gar nicht verpassen,
da einem die zahlreichen Metal-kompatibel gekleideten Langhaarigen den
Weg weisen. Beim Check-In geht alles noch sehr ordentlich zu,
Alkohol-Konsum ist wie in Schweden üblich nur in den gekennzeichneten
Bereichen und erst ab einem bestimmten Alter möglich (je nach Prozenten
des Alkohols ab 18, 21, 23 oder 25 Jahren), auf das Schiff darf man erst
ab 20. Natürlich darf Indoor in Schweden nicht geraucht werden. Aber
kaum berühren die Füße den Schiffsstahl, bricht die Anarchie los: Gleich
in der Schiffslobby werden die ersten Zigarretten angezündet, dazu
zischen die Bierdosen. Nachdem das Schiff abgelegt hat öffnet der
Duty-Free-Shop -- und viele verlassen ihre Kabine ausschließlich, um
dort Nachschub zu holen: Die Bierdosen-Paletten werden gleich mit
Sackkarre ausgeliefert, und geübte Ostsee-Kreuzfahrer benutzen die erste
Bierdose als Stöpsel im Handwaschbecken und haben so eine Wasserkühlung
für alle anderen.


Derart vorgeglüht geht es zur ersten Band: DIMENSION ZERO sind
die Lausebengel des Death Metal! Klar schütteln Jesper Strömblad und
Daniel Antonsson die messerscharfen Riffs nur so aus ihren Ärmeln, dass
man merkt: Dies ist genauso Spaß- wie Herzblut-Projekt der Beteiligten.
Ab und zu grinst Jesper seinen Sidekick an, mimt aber ansonsten den
Stoiker. Es tut DIMENSION ZERO augen- und ohrenscheinlich sehr gut, dass
Niclas Andersson (sonst bei Lord Belial) den Bass übernimmt und Jesper
jetzt das auf der Gitarre runterschrubbt, was er eh geschrieben hat.
Jocke Göthberg hat dagegen sowas von den Schalk im Nacken und spannt
auch dann noch die Mundwinkel von einem Ohr zum anderen, wenn er die
Töne aus der heisersten Ecke seiner Kehle hervorholt. Bravo, die
Nackenmuskeln sind nach dieser Granate auf Betriebstemperatur!
Allerdings in erster Linie beim VIP-Fanclub: Der durchschnittliche
schwedische Bootsbesucher beschäftigt sich auf der Kabine noch mit der
Alkoholzufuhr, während Martin Henriksson und Niklas Sundin von Dark
Tranquillity den Gig ihrer Göteborger Kumpels mit Handycam aufnehmen.
Björn Gelotte und Peter Iwers sind auch mitgekommen -- um endlich mal
wieder nur zum Spaß ein Konzert anzusehen und wie alle anderen auch --
zu saufen. Zusammen mit etwa 350 Leutchen sehen und hören sie:


Through The Virgin Sky

The Murder Inn

Blood On The Streets

Unto Other

Not Even Dead

Dimension Zero

Darkest Hour

He Who Shall Not

Immaculate

Silent Night Fever


Zum heimlichen Headliner TIAMAT kugeln sich dann aber ziemlich
viele aus ihren Kojen, egal wie betrunken: 2500 Leute mögen etwa auf dem
Schiff sein, gequetscht passen vielleicht 800 bis 1200 verteilt auf zwei
Stockwerke vor die Bühne. Die ist zwar mondän vom Materialeinsatz, vom
Platzangebot für Musiker und Techniker aber nur ungefähr so groß wie die
des MarX in Hamburg -- hat also so viel Bewegungsradius wie ein
Handtuch. Der Zuschauer-Saal ist auch eher für ein Captain´s Dinner bei
Piano-Geklimper eingerichtet, aber bei Tiamat stehen die Zuschauer halt
auf Tischen, Sesseln, Wendeltreppen und Abtrennungen. Zum Glück ist kein
Seegang, so segelt niemand herunter. Mit "Vote For Love" steigen Johan
Edlund und seine graubärtigen Familienväter in die Liebesbekundungen
ihrer Landsleute ein. Noch euphorischer das Geklatsche und Raunen beim
Übergang zu "Cain" - TIAMAT spielen heute nicht mit allem, was sie
haben, ich habe sie definitiv schon mit mehr Show und mehr Glamour
gesehen -- aber sie spielen aus voller Seele und so verdammt ehrlich und
direkt auf den Punkt, dass der berühmte Funke von der ersten bis zur
letzten Sekunde überspringt. Also bis genau zu der letzten Sekunde, an
der Peter Tägtgren breit wie ein Amtmann seinen Kumpel Johan Edlund um
die Growls bei "The Sleeping Beauty" erleichtert und einen
unfreiwilligen Kopfsprung in den Fotograben macht. Über diesen Slapstick
muss selbst Keyboarder Martin Brandström herzhaft lachen, der bisher mit
Kippe im Mundwinkel die Coolness selbst in diesem insgesamt eher
gefühlsduseligen Abend war. Wie heißt es so schön in "Gaia": "When
nature calls we all shall drown". Gutes Motto mitten auf der Ostsee!


Setlist TIAMAT:

Vote For Love

Cain

Brighter Than The Sun

To Have And Have Not

In A Dream

Wildhoney

I´m In Love With Myself

Clovenhoof

Cold Seed

Wings Of Heaven

Phantasma Deluxe

As Long As You Are Mine

The Sleeping Beauty

Gaia


Seit ungefähr "To Have And Have Not" haben wir den Stockholmer
Schärengarten verlassen, ab jetzt wissen die meisten nicht mehr
auseinander zu halten, ob das Schiff schaukelt, oder ob vereinzelte
Gleichgewichtsausfälle auf gewisse Promillegerade zurückzuführen sind.
Zu HARDCORE SUPERSTAR´s Rotz´n´Roll kann man ganz galant
weiterfeiern. Inzwischen hat das Sicherheitspersonal aufgegeben, nach
aus den Kojen mitgebrachtem Alkohol im Konzertbereich zu fahnden und
muss sich stattdessen konzentrieren, Streitigkeiten in den Gängen und
der Lobby zu schlichten. Während wir die Åland-Inseln passieren, fliegen
die Bierdosen also tief und die vier Göteborger auf der Bühne geben
alles, um dagegen anzukommen. It´s only Rock´n´Roll -- aber sie mögen es!