Children Of Bodom Videodreh - Berlin

Für den Dreh konnte die Filmproduktionsfirma KATAPULT gewonnen werden, die für die Videos unter anderem von RAMMSTEIN, ROSENSTOLZ oder DIE ÄRZTE verantwortlich ist. Als wir auf dem Fabrikgelände ankommen, sind die fünf Bandmitglieder bereits geschminkt. Wir sind hier beim Film - Hautunebenheit und Schweißperlen wirken auch bei einer Metal-Band in Großaufnahme eher unästhetisch als besonders ehrlich.
Kollege Timo nutzt die Wartezeit für Fotos auf dem riesigen, leeren Hof der Industriebrache. Bassist Henkka T. Blacksmith, Drummer Jaska Raatikainen und Frontmann Alexi Laiho posieren oben ohne in der Sonne, Keyboarder Janne Warman und Gitarrist Roope Latvala lassen das T-Shirt an. Aber sobald sich die Visagistin zu ihnen umgedreht und die schwitzenden Oberkörper gesehen hat, ist damit Schluß, die Managerin der Band beordert ihre fünf Schützlinge in den nicht minder warmen Garderobenbus zurück - für Sonnenstich oder Sonnenbrand ist der Tag noch zu früh, denn er wird lang werden, außerdem soll das Make-Up wenigstens vor dem ersten Shooting noch frisch sein.
Während die Band wartet (das wird die Hauptbeschäftigung dieses Tages werden), werden gleichzeitig die beiden Sets aufgebaut, an denen das Video spielen soll: An der Außenseite der Halle wird an Podesten herumgedoktert, die später am Abend Bühne und Drumriser darstellen sollen. Momentan sieht der Platz vor allem besonders verwildert aus, hier sollen Nachtaufnahmen stattfinden. Währenddessen stehen Jörg Neubarth und Holger Hahn, der Guitar Tech und der Drum Tech der Roadcrew von CHILDREN OF BODOM, zusammen mit dem Kamerateam und der Regisseurin in der abgewrackten Halle knöcheltief in einem undefinierbaren schwarzen, öligen Staub, der sich flugs auf das eben noch glänzende Schlagzeug setzt.
Schlagzeuger Jaska ist der erste, der vom Warten erlöst wird, er darf in die Halle um den Aufbau seines Schlagzeuges abzunehmen, darf fürs Licht schon einmal Probesitzen - und geht noch einmal raus, als das Kamerateam zum dritten Mal die Schienen für den Dolly genannten Schlitten umlegt, auf dem später der Kameramann sitzen wird.
Wieder wird Jaska hineingerufen, dieses Mal für "Stills" und "Close-Ups" - also Portraitaufnahmen in Großaufnahme. Da es für den Rest der Band noch keine Ansage gibt, wird die Stimmung im Bus in diesen Minuten zunehmend angespannter, Journalist Timo und Bassist Henkka sind die ersten Neugierigen, die Jaska beim spannenden Anfang zugucken, Gitarrist Roope folgt erst etwas ziellos, als letzter geht Frontmann Alexi zum Drehort. Alexi schnallt sich dazu seine Lieblingsklampfe um, spielt im Gehen scheinbar abwesend stille Melodien auf der ausgestöpselten E-Gitarre, und schlendert mit schlafwandlerischer Sicherheit um die Untiefen des Gemäuers herum: Der größte Teil der Grundfläche ist abgesperrt, selbst im nicht-abgesperrten Teil muss man alle zwei Meter einen großen Schritt über ein rechteckiges Loch im Boden machen, über dem abgesperrten Teil hängt ein Netz unter dem Dach und die zahlreichen Steine aus dem Dach wirken wenig vertrauen erweckend.
Keyboarder Janne ist ein verdammtes Wunderkind, dem die genialen Passagen nur so aus der Hand fließen. Frei nach dem Motto "wer übt, kann nix" (das er selbst wohl aber nie so aussprechen würde) hat er sich seit den Aufnahmen nicht mit seinem Solo auf "In Your Face" beschäftigt. Während Jaska gerade dreht, nutzt er die Zeit und hört sich einmal auf einem alten Ghettoblaster die Playback-Version an, um seinen Part noch einmal herauszuhören. Aber, und da scheidet sich schon wieder Genie von Wahnsinn, zum Raushören drückt er die meiste Zeit auf den schnellen Vorlauf bis zu den Passagen, die er nicht mehr 100-prozentig erinnert. Jannes Gedanken gelten ganz anderen Problemen in diesem Video, wie er der Regisseurin erklärt: "In Your Face" ist ein Song, in dem ich nicht wirklich viel zu tun habe: Ich beginne mit der Band, danach habe ich exakt eine Minute bis zu meinem Solo, danach kann ich mich wieder genau 1:15 Minuten betrinken und dann gibt es den Schlußakkord. Soll ich besser so tun, als ob ich spiele, oder soll ich einfach so da stehen, wie ich auch auf der Bühne stehen würde?" So schnell bekommt man auch geübte Regisseurinnen sprachlos...
Während in der Halle Bandkopf Alexi in alle Himmelsrichtungen post, dass es eine Pracht ist und wie auf Knopfdruck kamera-geeignete Gesichter schneidet, braut sich draußen ein Sommergewitter zusammen. "Ach, das wird nur eine Husche", beruhigt die Make-Up-Künstlerin, aber leider hat sich sich da mächtig geschnitten. Das flugs aufgestellte Mannschaftszelt über den Snack-Angeboten fliegt zwischen Donner und Blitz fast davon und das Wasser strömt nur so vom Himmel. In der Halle zaubert der Regen im Licht der Scheinwerfer tolle Effekte in den Hintergrund, so dass nach den Aufnahmen mit Henkka, Roope und allen fünf als Chor Alexi noch einmal ran muss - das Motiv kann man sich nicht entgehen lassen, und der Ausstatter feixt ob seines Special Effects: Der Regen rauscht nämlich durch das marode Dach einfach so nach unten, der Platz, auf dem Kamera und Bandmitglieder stehen, bleibt als einziger einigermaßen trocken - wäre das Licht ein wenig mehr rot, sähe es aus wie das Set in The Crow. Einer der Requisiteure bestätigt später schmerzhaft die Vorbehalte gegen die Location, er fällt nämlich in eines der Löcher hinein und schlägt sich das Schienbein an.
Nach dem Essen geht es auf die Bühnenpodeste und dort relativ schnell los. Der Regen war doch so schnell wieder gegangen, wie er gekommen war und brachte sich nur noch ab und zu durch eine kalte Brise in Erinnerung. Die nun folgenden sieben (!) Stunden lang werden CHILDREN OF BODOM auf der Bühne stehen und in immer wieder neuen Winkeln dabei aufgenommen, wie sie zu Playback "In Your Face" spielen. Die Zeit dazwischen ist aufgeteilt in immer wieder ein paar Minuten Spielen, während dem der Kameramann die aktuelle Position ausprobiert, fünf Minuten Spielen mit Aufnahme und dann zwischen fünf und fünfzehn Minuten Umbau der Kamera. Die alten Schornsteine sehen im Licht der Scheinwerfer plötzlich aus wie eine Kulisse von Giger für einen Alien-Nachfolger.
Filmteam und Band versinken in konzentrierter Routine: Immer wieder wird die Kamera umgebaut, die Band darf nach zweimal spielen immer wieder von der Bühne hinunter. Zwischendurch niesel-regnet es in dieser kalten Berliner Nacht, aber auf der Bühne ist es dank der Scheinwerfer so heiß, dass Roope schon nach den ersten vier Durchgängen schweißnass ist. Guitar-Tech Jörg hat alle Hände voll zu tun, zwischen den Durchgängen die Gitarren von Alexi und Roope zu polieren. Immerhin ist die Band jetzt eingespielt - die Live-Performance geht den fünfen deutlich leichter von der Hand als das Starren im Dunkeln.
Der finnische Journalist hat inzwischen sein Gastgeschenk aus der Heimat ausgepackt, und statt an stillem Wasser erfreuen sich Alexi und Co. zunächst still und heimlich an "Salmiakki Kossu", einem finnischen Likör. Aber der bleibt nicht lange unentdeckt und ist danach schnell alle. Das Produktionsteam guckt zunächst verwundert, da Alkohol am Set nicht unbedingt gern gesehen wird, später neidisch, denn die Roadcrew und Management machen einen guten Job als Getränkewart und Cocktailmixer. "Das sind Finnen", lautet die lapidare Antwort auf eine Nachfrage, und in der Tat wirkt die Band auch nach sechs Stunden noch frisch, und das Drehteam ist schlußendlich beeindruckt von der Professionalität und Ausdauer des Finnen-Fünfers. Gitarrist Roope erklärt gegen halb fünf Uhr am Morgen in einer weiteren Pause: "We´re running by the force of alcohol." Inzwischen dämmert der Morgen, und da die Aufnahmen mit dem Kamerakran mit dem schönen Namen "Pegasus" so gut geworden sind, verzichten alle darauf, dass Sänger Alexi noch einmal in schwindelerregender Höhe zwischen den Schornsteinen spielen muss. Eine letzte Aufnahme noch von wahlweise Alexi mit seinen Sidekicks einzeln, eine Großaufnahme von der beeindruckenden Kulisse - und dann guckt die Sonne auch schon um die Ecke und alles wird müde, aber zufrieden eingepackt.