Konzert:
Ankkarock Festival 2008 - Samstag

Zwar begann das Festival bereits pünktlich zur Mittagsstunde, doch fiel das Begutachten der ersten Bands noch leichten organisatorischen Schwierigkeiten zum Opfer (wer kann schon ahnen, dass man, um ans Accreditation Gate zu gelangen, erst einen kleinen Marathon durch halb Korso bewältigen und anschließend einen Hang aus Naturfelsen hinunterklettern muss, um aufs Festivalgelände zu gelangen?)- mit hängender Zunge schaffte man es dann aber doch noch pünktlich zum ersten großen Highlight des Tages, W.A.S.P., die sich auf der Puistolava, einer der beiden größeren Bühnen, die Ehre gaben. Vor dem Erscheinen der Enfants Terribles des Glam Metal, ließ sich deren bisherige und mittlerweile ja doch schon über stolze zwei Dekaden andauernde Karriere vorab schon mal im Spiegel des Publikums studieren: Anwesende jeglicher Altersgruppen boten mit zur Schau getragenen T-Shirts unzähliger verschiedener Zeitstellungen und Touren einen breiten Querschnitt durch W.A.S.P.s bisherigen Werdegang.
Als dann pünktlich um 14:15h Blackie Lawless und seine Mannen die Bühne betraten, war der Jubel entsprechend groß. Und die Herrschaften ließen sich nicht lumpen, sondern demonstrierten, dass man auch nach über 20 Jahren mitunter doch recht ausschweifenden Lebensstils noch lange kein bisschen leise sein muss. Klassiker wie "Be Somebody" und "Chainsaw Charlie" wechselten sich mit Tracks vom neuesten Album "Dominator" (dessen Existenz Blackie Lawless nicht müde wurde zu betonen), von denen einer, "Heaven´s Hung In Black", von Lawless, wie er selbst so schön sagte, auch gleich zu einer Geschichtsstunde genutzt wurde, wurde der Titel doch schließlich inspiriert von einem bekümmerten Ausspruch Abraham Lincolns angesichts der Überbringung der hohen Todeszahlen während des amerikanischen Bürgerkrieges: "Surely today heaven´s hung in black!". Um jedoch den Trübsinn trotz politischer Botschaft nicht überhand nehmen zu lassen, wurde das Publikum auch weiterhin noch mit Party-Hits wie "L.O.V.E.-Machine" bombardiert und schließlich als Finale bei "Blind In Texas" zu ausgedehnten Mitsing-Parts animiert, bevor die Band schließlich nach genau einer Stunde unter tosendem Applaus die Bühne verließ.
Das Programm war straff gehalten, und somit begann unmittelbar nach dem Abgang von W.A.S.P. die allgemeine Völkerwanderung Richtung Korsolava, auf der sich gerade mal eine Viertelstunde später mit HANOI ROCKS ein weiteres Glam-Urgestein daran machte, die Fans zu erfreuen. Ohne HANOI ROCKS hätte es Bands wie Guns´n´ Roses wahrscheinlich nie gegeben, und HANOI ROCKS sind keine Band, die ihr Licht in irgendeiner Weise unter den Scheffel stellt oder ihre auch optisch stilprägende Wirkung verdeckt- die Outfits glitzern und funkeln, was die Pailletten hergaben und um Michael Monroes mit Pailletten und Blumen bestickten knallroten Mantel hätte ihn insbesondere in Kombination mit dem dazupassenden roten Hut sicherlich so mancher Kölner Karnevalist beneidet. Und verstecken brauchen sich die Herren, die wie auch W.A.S.P. bereits seit den 80ern durch die Lande tingeln, nun fürwahr nicht: HANOI ROCKS sind im wahrsten Sinne des Wortes eine Festival-Band, gute Laune garantiert.
Mit "Street Poetry" vom gleichnamigen aktuellen Album wurde das Publikum gleich zu Beginn ordentlich in Stimmung gebracht und diese dann auch mit Gassenhauern wie "Fashion", "Bad News" und dem eher schon balladesken "Don´t You Ever Leave me" gehalten. Michael Monroe liebt es unverändert, seinen Kleiderschrank zur Schau zu tragen und verschwand insgesamt dreimal hinter der Bühne, um sich umzuziehen, räkelte sich in bester Playboy-Bunny-Tradition auf dem Bühnenboden und kletterte auch schon mal am Bühnenaufbau empor. Auch mit Zugaben, die im Festival-Rahmen für gewöhnlich ja eher der straffen Zeitplanung zum Opfer fallen, wurde erfreulich großzügig umgegangen: "You want more? Are you SURE? Are you ABSOLUTELY SURE?- Okay, we´ve got time!" (man bemerke: ja, einen Teil seiner Ansagen hielt Monroe angenehmerweise nicht in seiner Muttersprache Finnisch, sondern tatsächlich auf Englisch, was es einem als ausländischer Besucher zumindest zeitweise ersparte, sich wie ein völlig unverständiger Trottel zu fühlen). Nach insgesamt drei Zugabe-Songs verließ die Band schließlich unter großem Jubel die Bühne- man darf hoffen, dass der Zirkus bald mal wieder in die Stadt kommt, denn, Leute, er macht mordsmäßig Spaß.
Etwas überraschend für ausländische Besucher, insbesondere im Anbetracht der Tatsache, dass Altersbeschränkungen ab 18 auf normalen Einzelkonzerten in Finnland an der Tagesordnung sind, mag das extrem junge Alter so mancher Festivalbesucher sein: 5- bis 10-jährige Kinder, in der Regel mit Band-T-Shirts und professionellem Gehörschutz ausgestattet, sind keine Seltenheit. Als besonders herzerwärmend gilt es hier einen vielleicht 7-jährigen Jungen hervorzuheben, der, die längeren Haare zu einem leichten Irokesen geschnitten und mit schwarzgeschminkten Augen, auf den Schultern seiner Eltern thronend begeistert die Faust zu HANOI ROCKS schüttelte. Kein Wunder, dass es in Finnland derart viele Rock- und Metalbands gibt, wenn Kinder das offenbar schon mehr oder minder mit der Muttermilch aufsaugen...
Nach einer kurzen Stippvisite bei den amerikanischen TIGER ARMY, die ihrem Publikum von der Rocklava, der kleinsten Bühne aus, mit ebenso punkigen wie unüberhörbar lauten Klängen gut im Griff zu haben schienen und einem schon aus reiner Neugierde obligatorischen Kurzausflug zu KOTITEOLLISUUS auf der Puistolava- der Band, die schließlich für die diesjährige, traditionelle Comic-Ente des Festivals ("ankka" ist das finnische Wort für "Ente") als Vorbild diente und mit ordentlich harten Metal-Klängen die Bedeutung Finnlands in der Metal-Szene unterstrich- machten sich auf der Korsolava auch schon KENT, neben HIM als Headliner des diesjährigen Festivals gelistet, startklar. Der Zuspruch war groß, doch leider begann es zu den melodischen und, im Vergleich zu den diversen bereits genannten Vorgängern, ruhigeren Klängen prompt zu regnen, als hätte sich der Himmel selbst die zum Teil verbreitete, unterschwellige Wehmut zu sehr zu Herzen genommen und begonnen, zu weinen. Entsprechend standen bald nicht mehr nur viele Menschen vor der Bühne, sondern auch die Schlangen vor den Festival-Infoständen, an denen auch Regencapes zu erstehen waren, wurden länger und länger. Etwas handwerklich Begabte, die weder Regenkleidung noch Lust hatten, endlos in der Schlange zu stehen, um solche zu erwerben, behalfen sich mit Konstruktionen aus Mülltüten und Ähnlichem oder retteten sich unter die Dächer der umstehenden Festivalstände um von dort aus weiter auf die Bühne zu spähen oder eingehend die feilgebotenen Klamotten und Accessoires zu begutachten.
Nach KENT und während des Auftritts der VON HERTZEN BROTHERS, die auf der Rocklava die Herzen der Zuschauer mit melodisch-rockigen Klängen erwärmten, begann das Warten auf HIM. Nach dem Abgang von KENT leerte sich der Bereich unmittelbar vor der Korsolava erst gar nicht mehr völlig, da die Ersten bereits zuvor Aufstellung genommen hatten und nicht gewillt waren, ihre Plätze in der letzten Umbaupause noch einmal mutwillig zu riskieren, und auch weiter hinten schnellte die Anzahl der Wartenden rasch in die Höhe. Um kurz nach 21h schließlich hatte das Warten (nach wie vor bei Nieselregen) ein Ende, das bereits auf der Venus Doom-Tour auf stimmungsvolle Wirkung hin getestete Intro "Blood Theme" erklang verheißungsvoll und erste Nebelschwaden pufften auf die Bühne, gefolgt nach angemessener Spannungsaufbau-Pause dann auch von den Bandmitgliedern, die ohne große Worte zu verlieren zu großem Jubel sofort "Passion´s Killing Floor" vom aktuellen Album anstimmten.
Sänger Ville Valo, für gewöhnlich eher dafür bekannt, trotz subtropischer bis tropischer Temperaturen eisern in Mantel, Mütze und Schal auszuharren und damit nur haarscharf am Kreislaufkollaps vorbeizuschrammen, überraschte damit, entgegen herrschender Meinung im Publikum (kurz zuvor: "Naja, heute wird er sich ja wohl kaum ausziehen, bei dem Wetter...") bereits nach dem ersten Lied sein Samtjackett von sich zu werfen, einen oder zwei Songs später folgte auch das Hemd und der Frontman stand nur noch im T-Shirt bei etwa 16 Grad und Nieselregen auf der Bühne. Von den klimatischen Bedingungen derart unbeeindruckt und ganz eindeutig bester Laune, präsentierte Valo sich ausgesprochen redselig und als guter Geschichtenerzähler, dessen Anekdoten das Publikum sich vor Lachen krümmen ließen, Nicht-Finnisch-Muttersprachlern aber aus offensichtlichen Gründen trotz großen Bemühens der eigenen rudimentären Sprachkenntnisse leider unverständlich blieben (eine davon beinhaltete die Worte "Schweden", "ein finnischer Mann", "Kondom" und "glücklicherweise"- Theorien und Vorschläge über den Sinn dieser Worte werden gerne, fachkundige Übersetzungen ausgesprochen dankbar entgegen genommen, E-Mails bitte an in Impressum stehende E-Mail-Adresse).
Das Set arbeitete sich unter Auslassung des "Deep Shadows & Brilliant Highlights"-Albums durch sämtliche bisherige Schaffensphasen der Love Metal-Kombo, angefangen bei "Wicked Game" und "Your Sweet Six Six Six", Klassiker wie "Join Me In Death" und "Right Here In My Arms" waren ebenso vertreten wie die Up-Tempo-Einheizer "Razorblade Kiss" und "Buried Alive By Love", das epische 10-Minuten-Stück "Sleepwalking Past Hope" vom jüngsten Album und ruhigere Songs wie "Funeral Of Hearts" und die Piano-Ballade "Killing Loneliness". Das (vom einen oder anderen aufgrund entsprechender Vorkenntnisse im Zusammenhang mit der Linkin Park-Project Revolution-Tour schon erhoffte) Überraschungs-Highlight kam dann jedoch als Krönung zum Abschluss: nach "Funeral Of Hearts", das an und für sich ja für einen stimmungsvollen Abgang wie gemacht schien, wurde mit dem Billy Idol- Cover "Rebel Yell" noch einmal mehr als ordentlich Gas gegeben. Schon bei Billy Idol ein zeitloser Klassiker, von HIM einst vermutlich als Füllmaterial für Live-Gigs ins Programm aufgenommen und dabei liebgewonnen, nach 2000 aber aufgrund wachsenden eigenen Materials weitestgehend aus dem Programm gekickt und von den Fans daher bis vor kurzem mit Bedauern als live der Vergangenheit angehörig eingestuft, brachte der Song das Publikum zum Toben und so manch einer dürfte sich spätestens während dieser letzten Minuten heisergeschrieen haben. Nach einer Spielzeit von gut anderthalb Stunden verließ His Infernal Majesty Valo nach mehrfachem Bedanken und unter kein Ende nehmen wollenden Begeisterungsbekundungen von Seiten des Publikums schließlich die Bühne, während der Rest der Truppe noch das Riff von "Venus Doom" als Outro spielte, um das Ende des Vergnügens zu markieren, und sich dann unter lautstarkem Beifall ebenfalls in den verdienten Feierabend verabschiedete.
Nicht gar zu lange Zeit später wurden auch die letzten Feiernden von den Securities höflich gebeten, sich auf den Weg zum Ausgang zu machen, da das Festivalgelände nun dicht gemacht würde, und somit fand der erste Ankkarock-Tag auch schon sein Ende.










