ALCEST, SVALBARD, DOODSESKADER - Köln, Essigfabrik
Die verträumte Musik der Südfranzosen mit Hang zur inneren sensiblen Fragilität begleitet mich seit vielen Jahren. Das brachiale Moment bahnt sich den Weg durch weite Schichten von Shoegazing-Gitarren, überwältigend dunkle Gefühle ausdrückend und trotzdem helle und warme Atmosphäre schaffend. Wenn ALCEST rufen, komme ich immer gerne! Also machte ich mich auf den Weg ins benachbarte Köln, genau gesagt auf die Schäl Sick (die rechte Rheinseite) in die Poller Essigfabrik. Der Hinweg wurde nicht nur von Nieselregel und Nebel begleitet, sondern auch von einer Zwangspause unterbrochen (St. Martins-Zug kreuzt). Der erste Song des Abends ist also kein Metal, sondern „Ich geh mit meiner Laterne“ vom Roggendorfer Musikverein. Rabimmel rabammel rabum bum bum.
Supportband Nummer eins sind DOODSESKADER aus Belgien. Sie kredenzen eine Art Atmospheric Sludge Metal und elektronischer Beimischung. Videoprojektionen bieten einiges fürs Auge, musikalisch ist das ganze etwas anstrengend. Die Kompositionen verzichten interessanter Weise auf Gitarren. AMENRA-Basser Tim De Gieter gründete mit Schlagzeuger Sigfried Burroughs das Duo.
Nach gefühlt langem Soundcheck entern SVALBARD mit „Eternal Spirits“ die Bühne und gehen sofort hochmotiviert zur Sache. Die sympathische Sängerin und Achterbahn-Enthusiastin berichtet, dass ihre Oma aus der Domstadt stammt. Die Engländer stiegen heute dem Tour-Tross zu und spielen eine kurzweilige Show voller Energie. Nach „Faking It“ ist dann Schicht im Schacht.
Weiter geht’s mit dem ALCEST: das liebevoll gestaltete Bühnenbild bringt etwas Feierliches in die ziemlich schmucklose Essigfabrik. Neige und Winterhalter haben anscheinend, gemeinsam mit Tine Wittler, ganze Einrichtungshäuser leer gekauft und die Bühne entsprechend des Album-Covers verschönert. ALCEST befinden sich auf der Tour zur im Mai erschienenen Scheibe „Les Chants de l’Aurore“. Auf der letzten Tour (2020) hab ich ALCEST in der Kölner Kantine gesehen; inzwischen kommt mehr Publikum und die Hallen werden größer.
Die Band startet mit Album-Opener „Komorebi“ ins Set und es folgt „L’Envol“. Andächtig hängt das Publikum verzaubert an Neiges Lippen. Zurückhaltend höflich bedankt er sich beim kölschen Publikum. Weiter geht die melancholische Reise mit „Améthyste”. Die kurze Sorge, dass die Truppe das neue Album einfach durchspielt, wird weggewischt, als die ersten Klänge von „Protection“ (Spiritual Instinct 2019) ertönen. Die Zuhörerschaft ist kathartisch-beschwingt und schmunzelnd-wippend, einige schließen die Augen. Bei den aggressiveren Parts wird gebangt. Die Band (samt Live- und Session-Musiker) wirken gut aufeinander eingespielt und Gitarrist Pierre „Zero“ Corson unterstützt Neige gut im Begleitgesang. Weiter geht’s mit „Sapphire“ und „Écailles de lune - Part 2” vom gleichnamigen Album von 2010. Der etwas ältere Song verdeutlicht die Entwicklung der Band, die Blastbeats zu Beginn geben Black Metal-Feeling. „Flamme jumelle“, vom aktuellem Longplayer, entpuppt sich als hervorragende tanzbare Livenummer. Nach „Le miroir“ kütt „Souvenirs d'un autre monde“ vom ersten Album (2007), das auch den Startschuss für die Genre-Entwicklung des Blackgaze darstellte. Nach „Oiseaux de proie” folgt im Zugabe-Teil das hervorragende „Autre temps” und schließlich „L’Adieu“.
Ich mag das neue Material wirklich gerne, aber es bleibt die bittere Erkenntnis, dass so viele gute Nummern dafür weichen müssen. Kein “Kodama”, kein “Là où naissent les couleurs nouvelles”, kein „Délivrance“. Gerne hätte ich den Franzosen noch länger gelauscht. Trotzdem ein schöner Abend und ein klasse Konzert!
Copyright/ Photo Credits (UrhG): Erik Bosbach
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