Interview:

2003-10-04 Your Shapeless Beauty

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Adipocere symbolisiert nicht gerade das, was der gemeine Fan als "hochwertige Veröffentlichungen” betrachtet. Und hört jener "Frankreich" denkt er auch nicht unbedingt an virtuosestes Material. Dass sich aber im Hexagon wirklich auch anständige Kapellen rumtreiben, das beweisen YOUR SHAPELESS BEAUTY. Das belegt auf jeden Fall auch ihre aktuelle CD "My Swan Song". Nico, Sänger und Sprachrohr der Kapelle, öffnete sich - wenn’s auch schwer fiel - und gab Persönliches preis.InterviewYOUR SHAPELESS BEAUTY (YSB) ist ja ein ziemliches Namens-Ungetüm.


Wir wollten etwas Persönliches in den Namen legen. Etwas seehr Persönliches. Aber, als Hinweis: Es ist die letzte Erinnerung an jemanden, der vor langen Jahren aus unserem Leben verschwand. Nur die formlose Schönheit ist uns geblieben. Wir wollten auf keinen Fall einen Namen haben, der in unseren Augen keinen Wert hat, keine Bedeutung, keinen Platz in unseren Herzen. Und so kehren wir schon mit dem Namen ein bisschen von unserem Inneren nach Außen. Wir wollen sowieso nicht klingen wie jemand anderes, sei es musikalisch oder eben auf namens-technisch.


Eben jener Name kreuzt ja schon seit 1994 durch die Welt-Geschichte. Mit "My Swan Song" habt ihr schon eure sechste Scheibe am Start. Was macht YSBs Musik denn aus?


Das ist ziemlich schwer. Ich würde es vielleicht als eine Art Doom Metal mit Heavy- und Death-Parts bezeichnen. Klassische Einflüsse und Rock’n’Roll gibt’s auch. Letztlich haben wir innerhalb der Band einen ziemlich breiten Konsens, was unseren Musikgeschmack betrifft. Wir wollen uns auch keinen Sticker auf die CD packen, der dann die Musik plakativ beschreibt. Außerdem können wir auch gar nicht genau sagen, was wir spielen. Wir spielen sicherlich mehr als Metal, es ist einfach Musik, die von Herzen kommt. Was nicht heißen soll, das wir Genies sind, oder exzellente Musiker, wir sind einfach verrückte Leute, die Krach machen.


Wobei Krach nicht ganz das richtige Wort ist, schwebt über YSB doch eher ein Hauch von Melancholie. Schlägt sich das auch in den Texten nieder?


Das ist schon wieder sehr persönlich. Lass es mich so sagen: Letztlich handeln die Texte von tagtäglichen Ereignissen - gute Tage, schlechte Tage. Alles, was Wichtiges passiert, hat natürlich auch seinen Einfluss auf unsere Musik. Die Band ist sicherlich kein Spiel für uns, sie macht uns erst recht nicht reich und berühmt. Aber gerade deswegen bedeutet sie sehr, sehr viel für uns. Ich kann nicht von Drachen und Zaubern quatschen, wenn man tagein tagaus Leute trifft, die einen bescheißen.


Hört sich alles ein wenig traurig an. Seit ihr etwa weinerliche Gothen?


Ach was, wir sind höchstens etwas reserviert. Und wir möchten die Leute für unsere Musik interessieren, nicht für irgendein Image. Wir sind Metaller und wir geben nix drauf, wie wir aussehen oder wirken. Und diesen ganzen Romantik-Schrott hassen wir sogar, weil wir Rocker sind. Romantik und Trauer sind natürlich präsent auf dem Album, aber das kommt vom Leben. Letztlich könnte man YSB sogar als Sekte bezeichnen - hört sich jetzt strange an, aber eine enge Verbundenheit ist für uns der Schlüssel zu unserer Welt.


In ihrer eigenen Welt leben auch eine rechte Wirrköpfe. Was meint ihr dazu?


Seit Jahren stellen wir uns gegen Extreme im Metal-Bereich. Es hat da einfach nix zu suchen, weder noch sonst wo. Wir spielten uns sogar ein bisschen als Prediger auf, schreckten auch vor Gewalt nicht zurück. Das war ein Fehler. Heute lehnen wir Faschismus und Nationalsozialismus aufs Entschiedenste ab, aber auch jede Form des Fanatismus. Gerade hier in Frankreich ist alles total verdorben, rechte Politiker sind viel zu einflussreich und unsere rechte Regierung hat gut zu tun - mit ihrem Business und das heißt Korruption. Für mich bedeutet Metal Protest, wie früher der Punk. Ich kann Nazi-Metaller in keinster Weise verstehen.


Von der Politik zur Musik - erzähl doch mal vom neuen Album.


Wir waren von Mai 2002 bis März 2003 im Dru-Nemeton-Studio und arbeiteten dort mit den unbeschreiblichen Alexis Phelipot (No Return oder Drowning). Wenn wir dort waren, arbeiten wir tagelang, nächtelang –von kalten Nächten und Temperaturen über 40 Grad will ich gar nichts erzählen. Und wenn wir nicht aufgenommen haben, haben wir gefeiert, Parties zu Hause oder in Kneipen, egal. Oder wir halfen uns mit der X-Box aus. Das war eine sehr intensive Zeit mit sehr wenig Schlaf. Wir haben schon einen Monat gebraucht, um nur den Sound der Instrumente zu finden. Ich kann mich noch an Jean Marc erinnern, wir er wie ein Bekloppter auf seine Gitarre ein schrie. Mag sein, dass Alkohol im Spiel war ...


Was erwartet ihr von der neuen Scheibe?


Seit wir begonnen haben, können wir uns eigentlich über gute Reaktion freuen. Viele Leute beschäftigen sich wirklich mit uns, lesen die Texte gründlich und singen unsere Melodien. Klar, die Verkaufszahlen sind nicht riesig (3.000 oder so), aber das ist uns Schwanz. Mit der neuen Scheibe haben wir ein paar ganz gute Reviews geerntet, vielleicht ist es jetzt unsere Zeit, empor zu steigen, wer weiß das schon? Letztlich ist dies die Hauptsache: YSB ist eine große Sache für uns. Wir begannen unsere einzigartige Rock’n’Roll-Story 1994. Jetzt haben wir zwei Mini-CDs, zwei Alben, mehrere Demos und Seven-Inches draußen und wir sind bereit, die Welt zu erobern. Gut, das klappt nicht sofort, schon allein, wenn ich mir unser Pech auf unserer ersten Tour betrachte. Der Tourbus ging in Flammen auf, wir konnten drei oder vier Tage nicht duschen, hatten nichts zu essen, außer fürchterlichen Sandwiches von Autobahn-Tanken. Mit 23 Leuten in einem Bus mit mickrigen Liegen, die man sich auch noch zu zweit teilen musste. In Marseille brachen irgendwelche Menschen auch noch in unseren Ersatz-Bus ein und klauten alles, was nicht niet- und nagelfest war. Diese Liste könnte ich noch beliebig fortsetzen ... Und trotzdem war es eine verdammt gute Zeit. Wir ein Indianer-Stamm vagabundierten wir durch die Lande, alle irgendwie positiv verrückt.


Hört sich an, als könntet ihr es kaum abwarten, wie auf Tournee zu gehen.


Das hoffen wir natürlich, aber im Moment wissen wir nichts. Wir haben ja auch schon ein paar Festivals gespielt, aber im Moment bekommen wir auch in dieser Beziehung keine Angebote. Wir sind wohl nicht bekannt genug.


Was unter Umständen an der Arbeit eures Labels liegen könnte....


Ach, eigentlich laufen die Dinge ganz ordentlich. Na gut, vor allem im Ausland könnte der Vertrieb besser sein. Aber wir arbeiten schon seit Jahren mit Adipocere zusammen und ich kenne Christian ewig. Er ist ein echter Metaller und inzwischen ein wirklicher Freund.


Ihr kennt einen echten Metal-Freak - Glück gehabt! Denn Frankreich ist ja nicht gerade berühmt für seine Metal-Szene.


Wir kommen aus der Nähe von Marseille, also aus Südfrankreich. Aber wir leben aus verschiedenen, natürlich persönlichen Gründen seit drei Jahren in Paris. Die gesamte Band ist hierher gezogen, um zusammen zu bleiben,. Einige Jahre haben wir versucht, uns die Tapes hin- und her zu schicken, aber für ewig hätte das nicht geklappt. In Marseille ist metal-mäßig eben nicht viel drin, das funktioniert in Paris schon besser.


Überhaupt ist Frankreich ziemlich Paris-fokussiert, oder? Erzähl mal von deiner Heimat.


Ja, das stimmt. Natürlich hängen wir schon an unserer Heimat, aber nicht an Paris, sondern eher an der Gegend, aus der wir stammen. Das soll jetzt nicht nationalistisch klingen oder traditionalistisch. Wir sind von allen Klischees entfernt - Baguettes, Froschschenkel und der ganze Mist. Das trifft aber auch auf weite Teile der Jugend zu, denke ich. Unser Land wird regiert von Macht und Korruption. Wenn unser Präsident nicht Präsident wäre, wäre er im Gefängnis. Und in der Musik: Die Radio-Stationen spielen die pure Scheiße. Müssen sie aber auch, denn es gibt ein Gesetz, das sie zwingt, eine bestimmten Prozentsatz französische Musik zu spielen, Chansons und diesen ganzen Schrott. Für Metal gibt’s keinen einzigen Sender, außer einigen lokalen, die dann um Mitternacht herum härtere Musik bringen. Metal hat ein unglaublich schlechtes Image in Frankreich.


Und warum habt ihr euch ausgerechnet dieser Musik verschrieben?


Tja, zwei von uns arbeiten, der Rest probiert, sich mit Musik über Wasser zu halten. Auf jeden Fall sind wir wie Brüder, wir kennen uns schon so sehr lange. Wir verbringen fast unsere gesamte Freizeit zusammen, haben tolle Nächte und sind alles andere als depressive Menschen, die sich in ihren dunklen Kellern einsperren. Klar, wir haben wie wohl jeder Mensch unsere dunklen Momente, aber die verarbeiten wir mit unserer Musik. Das neue Album "My Swan Song" kanalisiert unsere vergangenen zwei Jahre, die zeitweise sehr hart waren. Wir haben geliebte Menschen verloren, wir hatten verdammt harte persönliche Probleme. All das findet sich auf der CD wieder, es ist eine perfekte Abbildung von uns. Wir wollen einfach das sein, was wir sind: Ehrlich, stolz und ehrenhaft. Vielleicht sind wir Utopisten, aber wir leben vielleicht ein bisschen wie James Dean...



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