Das Album basiert auf einer von Jack The Ripper inspirierten Thematik. Die offensichtlich naheliegende Frage lautet also: wie seid ihr auf den Gedanken gekommen, Jack The Ripper könnte in einer Band spielen und wie entstand daraus letztendlich auf das gesamte Album?
Gas: Das lag daran, dass die Umgebung im Video dem 19. Jahrhundert entlehnt ist, und uns das auf Jack The Ripper brachte. Er ist schließlich eine sehr mystische und berühmte Figur.
Das Viktorianische Zeitalter ist eine große Inspirationsquelle der Populärkultur, insbesondere wenn man sich die Gothic-Szene oder Steampunk anschaut. Warum glaubt ihr fasziniert diese Ära die Menschen immer wieder aufs Neue? Was (mal abgesehen von Jack The Ripper) daran war es, dass euer persönliches Interesse erregt hat?
Gas: Ich denke das liegt daran, dass das 19. Jahrhundert eine Art Übergangszeit zwischen der alten, präindustriellen Ära und der neuen industrialisierten Welt war. Es ist der Treffpunkt, an dem die neue Welt auf die alte trifft. Es war ein sehr interessantes Jahrhundert.
Wie seid ihr auf die Idee mit den animierten Musikvideos gekommen und was ist die dahintersteckende Geschichte? Ihr scheint da mit mehreren Ideen und Einflüssen zu spielen. Wer von euch ist der Animationsfan?
Dan: Der animierte Teil des Projekts geht ursprünglich auf eine Diskussion zwischen Niclas und mir zurück. Niclas hat gefragt, ob es möglich wäre, etwas zu machen, das auf den Illustrationen von Claudio basiert, die sich auch im Booklet befinden. Da fing ich an, mir ein paar Sachen zu überlegen und sie gefielen Niclas, das war sozusagen der zündende Funke und danach kam uns eine Idee nach der anderen. Die Grundidee, die hinter allen Videos steckt und sie miteinander verbindet ist der Verfall des kleinen Dorfes, der Verfall von sowohl Moral als auch menschlichem Wert. Die einzelnen Videos verweisen auf verschiedene Themen und Strömungen in unserer heutigen Welt – von abnehmendem Respekt gegenüber den Armen und von der Gesellschaft ausgeschlossenen Menschen bis zum mangelnden ökonomischen Verantwortungsgefühl – alle wollen immer nur mehr und mehr, ohne dabei an die Konsequenzen oder an irgendjemand anderes zu denken. Das sind ein paar dem Ganzen zugrundeliegende Gedanken, gekleidet in ein hoffentlich unterhaltsames Chaos aus Zerstörung und Gore.
(Anmerkung der Band: Dan ist der Animator und er hofft, dass wir nach diesem Projekt dann alle Animationsfans sind).
Wie seid ihr auf den Bandnamen gekommen?
Gas: Niclas, Jonas und Dan spielen Leichendiebe im Video, was bedeutet sie graben auf Friedhöfen Leichen aus und verkaufen deren Körperteile an böse Menschen. Der Name kommt ganz einfach daher.
Wie kam es dazu, dass ihr die Band gegründet habt und inwieweit beeinflussen die Bands, in denen ihr vorher gespielt habt oder auch immer noch spielt, was ihr jetzt macht?
Gas: Angefangen hat alles, als Niclas und Jonas bei Niclas zuhause rumhingen. Sie haben auf ihren Akustikgitarren gejammt und dabei kamen direkt ein paar tolle Sachen heraus. Niclas hat angefangen, dazu Gesangsmelodien zu schreiben. Dann haben sie sich an Apollo erinnert, mit dem sie schon einmal bei einem anderen Projekt zu tun hatten, und haben ihm ein paar Songs geschickt. Er hat dann seinen Gesang zu aufgenommen und sie bekamen so langsam das Gefühl, dass aus dem Projekt eine Band werden könnte. Ich selbst bin folgendermaßen dazugekommen: ich hatte mich um die Position des Schlagzeugers bei In Flames beworben, als die einen neuen brauchten. Den Job habe ich nicht bekommen, aber Niclas hat mich kontaktiert, weil ihm die Aufnahmen, die ich ihnen geschickt hatte, gefielen und fragte mich, ob ich stattdessen in seiner anderen Band spielen wollte. Der Rest ist Geschichte.
Könntet ihr uns einen Song-by-Song-Guide geben?
Jonas: „Echoes Of An Ugly Past“ war der erste Song, den wir für das Album geschrieben haben und auch der erste, der fertig war. Er hat ein extrem heavy Riff, wahrscheinlich ein Kandidat für „heaviest riff“ in der gesamten Riff-Geschichte.
„Leave Me Alone“ and „Imagine“ sind die beiden Songs, die nicht in der der „Video-Saga“ enthalten sind. Es sind auch die beiden neusten Songs und inhaltlich beschäftigen sie sich mit anderen Themen als der Rest des Albums. Irgendwie passen sie aber trotzdem dazu.
„Turn It Over“ ist eines der schnellsten Lieder des Albums, und außerdem hat es einen Refrain mit echtem Hitpotenzial! Und es ist auch ziemlich cool, weil man da hören kann, wie Jonas sich mit Apollo den Leadgesang teilt. Das gibt es übrigens auch bei „Too Cold To Touch“, der schönen Ballade des Albums. Und „Too Cold To Touch“ und „Pale And Perfect“ haben ein gemeinsames Thema, nämlich das Nachdenken über eine verstorbene Person. „Pale And Perfect“ hat aber eher einen morbiden Twist, wohingegen „Too Cold“ einfach nur traurig ist.
„Trust“ ist vielleicht der doomigste Song von allen, langsam, aber heavy wie eine Tonne Backsteine.
„Silent Scream“ schließt das Album. Es ist ein Statement der animierten Charaktere der Band in den Videos: „Die Gesellschaft ist uns fremd, wir sind für alle Fremde“. Eigentlich ein bisschen so, als würde man in einer Band spielen.
Ihr lebt nicht alle am selben Ort oder auch nur in der Nähe. Wie macht ihr das mit solchen Alltagsdingen wie Bandproben etc.?
Gas: Ja, das ist natürlich ein bisschen problematisch, weil ich in Helsinki wohne. Aber andererseits ist das auch nur einen anderthalbstündigen Flug von den anderen entfernt, also ist es jetzt auch nicht so schlimm.
Seht ihr We Sell The Dead als einmaliges Projekt oder habt ihr vor, als Band weiterzumachen?
Gas: Nein, WSTD ist eine richtige Band, nicht bloß ein Projekt. Wir haben vor, auf Tour zu gehen und ein neues Album zu schreiben und aufzunehmen. Wir haben schon damit angefangen, ein paar tolle neue Sachen zu schreiben. Und ich kann es kaum erwarten, ins Studio zu gehen und sie aufzunehmen!
Im Zeitalter von Streaming-Diensten und Co.: inwieweit hat sich die Rolle und die Ausgangslage für Musiker eurer Meinung nach verändert? Findet ihr, dass es jetzt einfacher oder schwieriger ist als vor dem Siegeszug von Online-Marketing und Downloading? Findet ihr, dass der Wandel im Musikbusiness die Rolle von Musik und den Wert, den die Leute ihr beimessen, verändert hat? Viele Leute kaufen ja keine CDs mehr, sondern streamen einfach das, worauf sie gerade Lust haben oder laden es herunter, da alles sofort und jederzeit verfügbar ist.
Gas: Seit ich so um ca. 1993 herum angefangen habe, hat sich das gesamte Musikbusiness komplett verändert. Wie du gesagt hast, hören die Leute jetzt scheinbar vermehrt einzelne Songs und keine kompletten Alben mehr. In den 80ern war das unvorstellbar. Nichtsdestotrotz habe ich das Gefühl, dass die Fans in der Metal-Szene dem Albumkonzept treu bleiben und das ist toll. Ich glaube nicht, dass das völlig verschwinden wird. Es ist heutzutage natürlich einfacher, seine Musik an den Mann zu bringen, wegen der Möglichkeiten, die soziale Medien einem da bieten. Bands können sich selbst dadurch relativ einfach promoten und direkt eine Anhängerschaft gewinnen. Als wir vor Urzeiten anfingen, drehte sich noch alles ums Tauschen von Tonbändern. Man hat seine Demos mit Leuten überall auf der Welt getauscht und dafür deren Demos bekommen. So hat man das früher gemacht. So haben zum Beispiel Metallica angefangen.
Vielen Dank für das Interview!