Interview:

2002-06-14 Stendal Blast

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Stendal Blast ist sicherlich keine dieser ganz bequemen Bands, von etlichen werden sie belächelt, etliche mögen sie einfach nicht und noch mehr finden sie einfach nur überflüssig. Doch nach und nach und nicht zuletzt durch ihr wunderbares neues Album wird dieser Kreis immer kleiner. Plazierung in den DAC und eine erfolgreiche Tour mit den Lakaien brachten sie ins Gespräch und schlichtweg mein persönliches Faible für die 3, brachte mich dazu ihnen ein paar Fragen zu stellen.Interview"Fette Beute" auf die Stirn gestempelt erinnert mich an die Benetton
Werbung "HIV Positiv"...!?!

Ja, dieser Werbung ähnelt unser Cover schon enorm. Aber es ist ja nun
so, daß es auf dem Album um die "fette Beute Mensch" geht, die
sich zwischen den verschiedenen Lagern entscheiden muß. Und da ich auch
einer bin, stehe ich stellvertretend mit diesem Stempel auf dem Kopf für
alle, nach denen die Finger verschiedenster guter und böser Institutionen
greifen. Und überdies bin ich ein fettleibiger Mensch, der zurecht diesen
Stempel auf der Birne hat.

Also
Provokation als Markenzeichen?

Nicht zwingend. Tatsächlich halte ich unsere Texte und unseren Style nicht
für provokativ - aber viele empfinden das eben so. Ich bin in unserer fast
10jährigen Bandgeschichte so manchem auf den Schlips getreten, ohne es
zu merken. Das liegt daran, daß ich ein völlig anderes Empfinden
über die Frage habe, was provozierend ist. Wozu soll ich Musik machen,
wenn sie nur gefällig ist? Das hätte keinen Sinn. Dann könnte
ich Schlager produzieren und mir meinen Arsch vergolden.

"Sind so kleine Hände" hat uns der Pfarrer beim Konfirmandenunterricht
vorgelesen glaub ich... wieso grade dieses Gedicht?

Weil es an Moral kaum zu toppen ist! Es ist natürlich ein sehr widersprüchlicher
Song: der Kontext zwischen dem böse grunzendem Hoyda und diesem Text ist
schon irgendwie cool. Ich meine, daß ein Text, der so überaus GUT
ist, auf ein Album gehört, welches sich um GUT und BÖSE dreht. "Sind
so kleine Hände" ist das Paradestück des Gutmenschentums; übrigens
völlig unabhängig davon, ob ich das gut finde oder nicht.

Der Kinderliederreigen geht mit "Wanze" weiter, ist das nicht
ein bisschen die falsche Zielgruppe?

Nein. "Wanze" soll Spaß machen und darüber hinaus die
dämlichen EBM-Texte karikieren, die es heute fast ausschließlich
gibt. Nichtssagender Quark mit böse verzerrter Stimme, nichts weiter. Es
gibt gute elektronische Musik - aber je mehr die Leute ein Keyboard beherrschen,
desto weniger scheinen sie sich mit Sprache auszukennen; das ist traurig. Wir
wollten einen Beitrag leisten im Kampf um die stumpfsinnigsten Lieder dieser
Welt - und ich glaube, damit können wir gewinnen.

"Hinter Den Fenstern" behandelt traumatische Zivi-Erlebnisse?

Zumindest behandelt das Thema viele Jahre meiner Berufstätigkeit als Krankenpfleger;
während des Zivildienstes fand ich das alles noch erträglich, später
dann nicht mehr. Aber in diesem Beruf kommst Du tatsächlich in die Situation,
die Welt verkehrt herum zu erleben: hochdotierte Professoren scheißen
sich am Ende ihres Lebens vor Angst in die Windel, angesehene Menschen unserer
Oberflächengesellschaft sterben durch ein Alkoholproblem. Das Stück
ist eine Parabel über unsere Nation der Wegseher. Könnte man das ganze
Elend, das sich "hinter den Fenstern" in diesem Land abspielt, begreifbar
machen, gäbe es vielleicht endlich einen Aufstand der Unzufriedenen.

Ein paar Worte zu euren Texten... ergibt sich die teilweise doch recht dominierende
Sinnleere zufällig, absichtlich oder könnt ihr einfach nicht anders?

Wenn Du mit Deiner Frage andeutest, daß unsere Texte sinnleer sind, dann
kann ich Dir nur widersprechen, Dich aber kaum eines Besseren belehren. Wenn
Du meinst, daß in unseren Texten Sinnlosigkeit zum Ausdruck kommt, dann
kann ich dazu sagen, daß ich tatsächlich kein gutes Bild vom Leben
habe.

"Nur Ein Tag" hat es bis in die DAC geschafft und hat sich dort
auch einige Zeit gehalten, ist so was planbar, vorhersehbar?

Sowas ist heutzutage einigermaßen planbar, zweifelsohne. Stendal Blast
haben es bislang immer in die DAC geschafft. Man muß halt wissen, welchen
Titel man auswählt; aber daß ein Titel mit Veljanov es darein schafft,
war klar. Ehrlich gesagt sind mir die DAC aber scheißegal; mir war "Nur
ein Tag" wichtig, weil es eine Zusammenarbeit mit einem ungemein begnadeten
Künstler war. Wir haben es für unseren Spaß gemacht, für
unseren Lebenslauf sozusagen.

Was treibet ihr drei wenn grade keinen goldenen Schallplatten eingeheimst
werden? Oder reicht das Geld, das ihr durch Musik verdient schon zum leben...?

Natürlich nicht, denn wir sind keine Band, die Bestseller-Platten macht.
Finanziell ist Stendal Blast seit dem letzten Album eine Band, die keine roten
Zahlen mehr schreibt - vorher habe ich jahrelang privates Geld investiert. Wir
unterliegen also einem langjährigen Aufwärtstrend mit wahrscheinlich
einem begrenzten Ende, denn ich will keinen Ausverkauf betreiben. Und so vertreiben
wir uns die Zeit mit Studieren.

Veljanovs Stimme ist so ziemlich genaue das Gegenteil von Hoydas, die Zusammenarbeit
hat dennoch geklappt, von wem stammt der Song?

Der Text stammt von mir, Alexander hat einige Änderungen vorgenommen,
während er eingesungen hat. Die Komposition ist von Alexander, unserem
Produzenten Marcus Seiler und mir. Wir hatten wegen der Stimmen auch zunächst
etwas Bedenken, die sich dann aber schnell in Luft aufgelöst haben. Hoydas
Reibeisenorgan und das geölte von Alexander funktionieren wirklich prima
miteinander; es ist ein tolles Duett geworden, das den Namen Duett auch verdient
hat.

Auf Tour wart ihr auch mit DEINE LAKAIEN, ein paar Worte darüber...

Ernst Horn und Alexander Veljanov haben uns kurz vor Tourstart gefragt, ob
wir sie supporten wollen. Das war eine schwierige Entscheidung, denn das Lakaien-Publikum
ist für Vorbands sehr schwierig, weil es auf die beiden "großen
Meister" wartet. Aber nun sind wir in der Szene keine Unbekannten und live
zwar eigenwillig, aber keineswegs schlecht. Also haben wir uns getraut. Es hat
uns gut getan, weil die gemeinsame Zeit im Tourbus uns zusammengeschweißt
hat und wir endlich mal viele Auftritte im Westen unseres Landes absolvieren
konnten; daran hatte es etwas gemangelt: und jetzt kennt und fürchtet man
uns dort auch...

Wie
kamen die neuen Songs live an? Der Titelsong "Fette Beute" oder "Hinter
Den Fenstern" sind ja doch recht heftig!

Beide hervorragend. Gerade diese beiden Titel haben sich live zu absoluten
Knallern entwickelt, die sowohl uns, als auch dem Publikum viel Spaß machen.
Beim WGT haben wir damit total abgeräumt, das war sehr geil. Überhaupt
war es ein cooler Auftritt dort: es ist ein schönes Gefühl, wenn deutschlandweit
die Fans zusammenkommen und Party machen. Und draußen stehen 200 Leute,
die wegen Platzmangel nicht mehr reinkönnen...sehr abgefahren.

Wer ist Isa Seiler?

Das ist die Frau unseres langjährigen Produzenten Marcus Seiler. Sie war
so freundlich, bei dem Stück "Halt mich fest" den Backgroundchor
zu singen. Sie ist sehr nett und hat ein hübsches Organ.

Stendal Blast in der Praline?

Hat uns auch gewundert, ist aber der Beweis, daß Hardbeat Propaganda
eine gute Promotionfirma ist, die nichts ausläßt. Ich finde uns in
der Praline gut aufgehoben, denn wir sind eine sexy Band.

Zukunftspläne?

Bald an neuen Titeln arbeiten, dazwischen live spielen. Darüber hinaus
werde ich wieder mehr für Magazine und Printmedien schreiben, denn das
macht Spaß und bringt ein bißchen Kohle ein. Während einer
Plattenproduktion muß ich meine "zweite Laufbahn" als Schreiber
immer etwas zurückstellen, das soll sich in den nächsten Monaten wieder
ändern. Trotzdem soll das nächste Album oder die nächste Single
demnächst erscheinen.

Letzte Worte...

Vielen Dank für Euer Interesse und Grüße an Eure Leser!

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