Interview:

2004-11-29 Sick Of It All

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Mitte der 80er gegründet, sind SICK OF IT ALL bis heute eine Institution. Ihren typischen rauen NYC Hardcore haben sie über die Jahre kompromisslos und nahezu konstant durchgezogen, und dass sie auch live noch jede neue Band an die Wand spielen, beweisen sie derzeit als Headliner der Eastpak Resistance Tour. Frontmann Lou Koller ist jedoch absolut auf dem Boden geblieben: Im Gespräch im Vorraum der Markthalle vor Beginn des Festivals erweist er sich als überaus nett, sympathisch und bescheiden, er spricht ruhig und überlegt und benutzt für einen gebürtigen New Yorker nur recht selten das F-Wort. Als langjähriger Sänger einer legendären Hardcore-Band hat man es eben nicht nötig, einen auf dicke Hose zu machen. Lediglich mit Themen wie den US-amerikanischen Medien oder gestylten, hippen Möchtegern-Rock ´n Rollern ist er aus der Reserve zu locken...InterviewIhr habt schon eine ganze Reihe Shows der Eastpak Resistance Tour hinter Euch. Wie war´s bis jetzt?


Es war verdammt großartig! Wir sind mit so vielen guten Leuten unterwegs. In Deutschland ist es immer gut, aber mit diesem Package zu spielen, ist wirklich abgefahren. Die einzige seltsame Show, die wir gespielt haben, war ein Samstagabend in Osnabrück: Im Publikum war überhaupt nichts los, die waren alle völlig laid back. Also Osnabrück ist echt ne total verrückte Party-Stadt...


Seid Ihr gerne in Deutschland?


Ja. Am Anfang der Tour waren wir ja auch in Frankreich und in Italien, und das ist auch immer cool, aber aus irgendeinem Grund fühlen wir uns in Deutschland am wohlsten. Wir haben uns schon richtig an die Städte gewöhnt, in denen wir öfter spielen. Es ist wirklich schade, dass ich Eure Sprache nicht spreche, also außer natürlich "Hallo" und "Tschüss", und eine Pizza bestellen kann ich auch...


Wie ist es für Euch, heute auf der Bühne zu stehen? Hat sich über die Jahre etwas verändert?


Also, ich werde immer noch ein bisschen nervös, bevor es losgeht... Aber es kommt auch auf das Publikum an, das ist da ganz stark dran beteiligt. Es geht uns auf der Bühne absolut gut - und das ist wirklich bei jedem Gig so. Auch an diesem Abend in Osnabrück waren wir heiß auf Spielen, denn es war Samstagabend, der Laden war voll... Aber das Publikum hat einfach nicht mitgemacht. Aber wir haben einfach weitergemacht und unser Bestes gegeben. Letztendlich ist das das Einzige, was Du tun kannst.


Was für ein Publikum kommt heute zu Euren Konzerten? Sind mehr Old School-Fans da oder mehr Teens und Skater-Kids?


Insgesamt ist es eine gute Mischung. Das hängt aber auch speziell von jeder einzelnen Stadt ab, in einigen kommt mehr altes, in anderen mehr junges Publikum. In Berlin z. B. kommen definitiv mehr Old School-Anhänger und überhaupt eher ältere Leute. Aber in anderen Städten in ganz Europa kann es wieder ganz anders aussehen. In Amsterdam z. B. ist das Publikum großartig gemischt. Das letzte Mal haben wir da im Februar gespielt, und es war ein ganzer Haufen Old School-Fans da, aber im kompletten vorderen Raum waren nur 16/17jährige, die total ausgerastet sind und sämtliche Texte mitgesungen haben - was ich absolut genial fand. Denn das zeigte, dass sie auch unsere Platten kennen und uns nicht nur mal im fuckin´ TV oder so gehört haben.


Gibt es Unterschiede zwischen dem europäischen und dem US-Publikum?


Ich glaube, dass das europäische Publikum treuer ist und... ich will nicht sagen: intelligenter, aber sie beschäftigen sich mehr mit der politischen Seite der Punk-Bewegung. In den USA ist während der letzten Jahre alles sehr trendy geworden - auch im Underground. Der Mainstream und die Major Labels haben den Underground so sehr unterwandert, dass sie jetzt diktieren können. Das ist ein richtiger Mikrokosmos der Mainstream-Medien geworden, und das finde ich wirklich traurig. Denn es gibt viele großartige Bands, die sich den Arsch aufreißen und gute Platten machen. Aber sie haben eben kein Image. Und darum ging es ja immer im Hardcore: Du konntest aussehen wie Du wolltest. Auf der einen Seite hattest Du die MISFITS mit ihrem großartigen Image und auf der anderen AGNOSTIC FRONT, die ganz normale Typen sind. Und jetzt will jeder ein Image - and that sucks...


Auf Eurem neuen Album "Outtakes For The Outcast" sind rare Tracks zu hören, wie B-Seiten und Covers, und auch bisher unveröffentlichte Stücke. Aber war das wirklich schon alles? Da muss es doch noch mehr Material geben, das nur darauf wartet, ans Tageslicht zu gelangen...


Nein, wirklich nicht. Es gab da noch ein paar Songs, die wir nicht genommen haben, aber die waren eh schon auf anderen SICK OF IT ALL-Releases, wie z. B. das MINOR THREAT-Cover. Alles andere Material haben wir aufbewahrt, um damit Songs für unsere neue Platte zu schreiben. Auf die "Outtakes"-Platte kam nur Kram, der schon fertig irgendwo im Schrank rumlag. Wir hatten ursprünglich überlegt, noch ein paar Covers aufzunehmen, aber dann dachten wir: Lassen wir die Platte einfach so, wie sie ist.


Also wird es eine "richtige" neue Platte mit neuen Songs geben...


Ja. Ich weiß noch nicht, wann wir anfangen werden, die Songs zu schreiben, wahrscheinlich im Januar oder Februar. Wir alle haben Ideen für Songs, und einzelne Parts sind schon fertig, und wir werden nach der Tour im Januar oder Februar zusammenkommen und mit dem Schreiben beginnen.


Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit HOUSE OF PAIN für den "Just Look Around"-Remix?


Das ist schon lange her. Das war 1992, noch bevor oder grade als sie in den Staaten wirklich groß wurden. Sie kamen eines Tages nach New York, einfach, um sich umzuschauen, und dachten: Holy Shit! Was für eine Szene! Glatzen und Tattoos und all das... Also eigentlich kamen sie nur, um zu gucken, aber sie guckten sich eben die Bands nicht einfach nur an, sondern ihnen gefiel diese Musik wirklich. Und Lethal, der DJ von HOUSE OF PAIN, fragte uns, ob er einen unserer Songs bearbeiten könnte. Und wir sagten: Klar! Und das Stück ist nie offiziell erschienen! Denn Relativity - das Label, bei dem wir zu dieser Zeit waren - sagte: Niemand wird jemals einen Mix aus Rap und Hardcore hören wollen. Und ein verdammtes Jahr später erschien der Judgement Night-Soundtrack, mit Bands wie BIOHAZARD und HELMET, deren Musik mit Rap vermischt wurde. Und später ging´s dann weiter mit LIMP BIZKIT und KORN...


Die diversen Covers auf "Outtakes" deuten ja vermutlich auf Eure musikalischen Vorbilder hin...


Ja, besonders die MISFITS waren ein großer Einfluss. Am Anfang hatten wir auch die gleichen Melodien wie die MISFITS... Jeder redet ja über seine Lieblings-MISFITS-Platte. Ich nicht - für mich gibt es überhaupt nur zwei MISFITS-Platten. Die Collections und die Singles sind mir völlig egal und auch der ganz frühe Kram. "Walk Among Us" ist die großartigste Platte, die sie je gemacht haben. Und dann kommt "Earth A.D.", damit haben sie eine Wendung vollzogen und gesagt: Schaut her, wir können Melodie mit Trash verbinden. Diese beiden Platten sind absolut fantastisch. Und wir nahmen "All Hell", denn es ist von der "Walk Among Us", aber es hat die Geschwindigkeit und die Energie eines SICK OF IT ALL-Songs. Und ich glaube, wir haben das wirklich gut hinbekommen. Wir haben einen typischen SICK OF IT ALL-Schluss hinzugefügt, und was dabei am Ende herauskam, war großartig. Wir sind auch Fans von SHAM 69, die mochten wir alle immer schon. Und ich bewundere HÜSKER DÜ, und als wir gefragt wurden, ob wir einen Song zu der Compilation beisteuern würden (Case Closed? An International Compilation Of Hüsker Dü Cover Songs - jan), wusste ich erst mal nur, dass ich ein paar Sachen von ihnen mag. Und dann sagte ein alter Freund von uns, er habe eine Single von HÜSKER DÜ aus ihrer Frühzeit, die "Target" hieße. Und ich sagte: Das ist absolut Hardcore. Also haben wir dieses Stück genommen.


Wer sind heute Eure Vorbilder?


Das sind so viele Bands... Wir sehen uns auch viele neue Bands an und sind oft von ihrer Art zu spielen beeindruckt. Aber meine derzeitige absolute Lieblingsplatte ist die neue SOCIAL DISTORTION. Sie ist perfekt. Ich habe acht Jahre auf sie gewartet - und sie hat mich nicht enttäuscht. Es ist eine sehr kurz Platte, aber... fucking amazing songs! Dieses Album ist mehr Punk als jede andere angebliche Punkrock-Platte, die durch die Mainstream-Medien verbreitet wird, und es besitzt mehr Emotionen als jedes Emo-Album, das in den letzten zehn Jahren herausgekommen ist. Aber sie bekommen einfach nicht den Respekt, den sie verdienen. Das gilt nicht unbedingt für die Underground-Presse, aber für die Mainstream-Presse, die Bands wie die STROKES oder die VINES als die Retter des Rock ´n Roll bejubelt. Die spielen keinen Rock, die spielen fuckin´ pussy music. SOCIAL DISTORTION spielen Rock ´n Roll - dreckig, böse, aufrichtig. And it´s real!


Was denkst Du über die Entwicklung neuer Stile im Hardcore, wie Emo- und Metalcore?


Das ist toll, das ist eben ein weiterer Fortschritt. Während unserer Anfangsphase haben viele Bands Hardcore mit Thrash vermischt, wie NUCLEAR ASSAULT, und dann gab es Bands wie QUICKSAND, die eher in Richtung Alternative Rock gingen. Alles, was man tun kann, ist, diese Musik wachsen zu lassen und sie am Leben zu halten. Viele Old School-Fans sagen: Fuck that metal shit! Aber was soll das? Es bringt die Kids zum Tanzen, sie lieben es, und das ist großartig. Ich hoffe nur, dass diese Bands aufgeschlossen bleiben, denn tatsächlich gibt es da eine große Trennung. Die einen gehen nur zu Emo-Bands, die anderen nur zu Old School, wieder andere nur zu Metalcore. Und in unserer Frühzeit konnte es ein Package aus den CRO-MAGS und einer typischen melodischen Band aus Kalifornien geben. Und die Shows waren fantastisch.


Als Ihr Mitte der 80er mit SICK OF IT ALL angefangen habt, gab es grade eine Speed- und Thrash-Metal-Welle. Hattet Ihr es als Hardcore-Band in dieser Metal-dominierten Zeit nicht schwer?


Man könnte das denken. Aber auf unserer allerersten Tour haben wir zehn Konzerte zusammen mit EXODUS gespielt, da war grade das "Fabulous Disaster"-Album erschienen, und sie waren gerade richtig groß in den USA. An zehn Abenden haben wir für sie eröffnet, und während der ersten beiden Songs stand das Publikum nur herum und starrte uns an. Bei dem dritten Song haben sie angefangen, sich zu bewegen - und am Ende des Sets sind alle völlig ausgerastet. Ich glaube, das war einfach eine Zeit, in der alle aufgeschlossener waren, denn ich kannte viele Hardcore-Kids, die auch Thrash Metal mochten. Und wir kannten auch viele Metaller, die Hardcore mochten, und nachdem sie uns gesehen hatten, sind sie auch zu Hardcore-Konzerten gegangen. Das war eine großartige Zeit. Aber natürlich gab es da auch Leute, die sagten: Ich will diese Langhaarigen nicht auf meinen Konzerten. Völlig bescheuert...


Während all der Jahre habt Ihr Euren Stil kaum verändert. Habt Ihr schon mal mit dem Gedanken gespielt, moderne Einflüsse aufzunehmen?


Wir nehmen natürlich wahr, was die Leute heute mögen, und wir versuchen, zumindest ein bisschen aktuell zu bleiben. Aber auf unserer letzten Platte hatten wir bei einigen Songs diese wirklich heavy Break Down-Parts eingebaut, wie sie auch die ganzen jungen Bands haben, und es klang, als ob wir versuchen würden, hip zu klingen. Also sagten wir uns: Lasst uns das wieder umschreiben, so wie es SICK OF IT ALL gemacht hätten. Ich will nicht wie ein Heuchler dastehen und sagen: Hey, schaut her, ich bin ja so hip im Trend! Das sind eben wir. Wenn Du uns magst, magst Du uns - wenn nicht, dann eben nicht.


Wie siehst Du die nordamerikanische Musik-Szene? Für uns Europäer scheint es, als würden die Leute in den USA nur Hip Hop und Britney Spears hören...


(lacht laut) Ich glaube, das stimmt! (lacht noch lauter) Leider stimmt das sogar sehr genau. Alles andere ist Underground. Wie ich schon sagte: Daran sind die Medien schuld. Hier wieder das Beispiel SOCIAL DISTORTION: Sie haben in New York City gespielt. Es gibt da einen Club, das Rose Land. Abgesehen von den großen Arenen ist das der größte Club, in dem man spielen kann, da passen fast 5.000 Leute rein. Und sie waren zwei Nächte hintereinander ausverkauft - und zwar im Voraus und bevor das neue Album herauskam. War da irgendjemand von den Medien? Nein. Hat die Presse darüber geschrieben, dass sie selbst den Club ausverkauft haben, während Rapper, die Millionen von Platten verkaufen, keinen einzigen verdammten Club in New York voll kriegen? Nein. SOCIAL DISTORTION ist eine alte Band, sie sind nicht neu, sie sind nicht SUM 41 - die allerdings ebenfalls schon auf dem Weg aus den Medien heraus sind, denn da sie zwei Platten gemacht haben, sind sie auch schon alt. Das ist die Sache mit den Vereinigten Staaten: Die Medien wollen immer etwas Frisches und Neues. Es spielt keine Rolle, wie gut Du bist. Mit SICK OF IT ALL ist es dasselbe. In Manhattan spielten wir immer in kleinen Clubs, weil wir das so wollten, bis wir allen bewiesen hatten, wie treu und stetig unsere Fanbasis ist. Und dann vor einem Jahr haben wir in einem großen Club gespielt, und das Konzert war bereits im Voraus ausverkauft. 2.000 Leute passten in den Club, und mehr als 500 standen vor der Tür und kamen nicht rein. Haben die Medien darüber berichtet? Ist irgendein großes Magazin gekommen, um SICK OF IT ALL spielen zu sehen? Nein. Du kannst MTV einladen, Du kannst sie alle einladen - niemand wird kommen. Warum? Weil Du keine neue Band bist. That sucks...


Kennt man in den USA eigentlich irgendwelche deutschen Bands - außer KRAFTWERK?


(kichernd) KRAFTWERK... Wir kennen natürlich viele deutsche Hardcore-Bands, mit denen wir während all der Jahre schon zusammen gespielt haben. Es ist verrückt, dass sie in den USA nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen. Es ist verrückt, dass der Underground hier amerikanische Bands akzeptiert, die Kids in den USA aber keine europäischen Bands akzeptieren. Aber da gibt es eine Band, WATERDOWN, die eher in die Metal-Ecke geht, mit denen sind wir schon ein paar Mal getourt (übrigens eine Band aus Osnabrück… - jan). Ich lebe in New Jersey, und da gibt es einen großen Metal-Radiosender, der WATERDOWN rauf und runter spielt. Und das ist großartig!

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