Interview:

2004-10-28 Samael

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Mit "Reign Of Light" haben SAMAEL erneut einen Haken geschlagen - dessen Verlauf auf jeden Fall so nicht vorhersehbar war. Fünf Jahre lang gab es keine Veröffentlichung, die Tonexperimente, die dazwischen lagen, bekamen nur Eingeweihte zu hören. Immerhin: Die Schweizer haben ihr Ding konsequent bis hier her durchgezogen und sind jetzt wieder auf Tour, erst allein und dann als Support von OOMPH. Keyboarder und Soundtüftler Xy scheint daher auch sehr zufrieden - aufgeräumt, fröhlich und bestechend charmant plaudert er über Gewesenes und Geplantes:InterviewEndlich ist ein neues Album von euch draußen!


Ja. End-lich,

singsangt Xy.


Euer letztes Album ist vor 5 Jahren veröffentlicht worden, inzwischen ist eine völlig neue Metal-Generation herangewachsen - die euch dann wahrscheinlich auf der Tour mit Oomph das allererste Mal sieht. Was sollten solche Kids als erstes über euch erfahren, wenn sie danach im Internet suchen?


Ja, ja. Shows sind eigentlich immer der beste Weg, eine Band kennen zu lernen. Ich weiß noch, wie ich Neurosis das erste Mal gesehen habe, 1993 muss das gewesen sein. Die haben damals in Deutschland gespielt, und mir hat noch nicht einmal der Name etwas gesagt. Das war eine schöne Überraschung. Ich hoffe echt, dass möglichst viele zu den Shows kommen, das ist das beste, wenn man eine Band wirklich kennen lernen will. Wenn man dazu keine Gelegenheit hat, kann man sich natürlich auch ein paar Songs im Internet herunterladen, ich finde das einen guten Weg, um einen Überblick zu behalten, was musikalisch in der Welt passiert. Die Leute tun es eh. Wenn man von einer Band absolut nichts weiß, sollte man sicher auf deren offizieller Webseite anfangen - und dort ein paar Songs herunterladen, das sind dann auch die, die diejenige Band für repräsentativ erachtet. Danach weiß man, ob man mehr erfahren möchte oder nicht.


Als du 1993 Neurosis für dich entdeckt hast, war die Band noch knackfrisch, ihr habt 15 Jahre Backkatalog im Rücken. Ist das nicht lustig, dass fast gleichzeitig dieser Sampler von Darkthrones Fenriz rauskommt, auf der mit "Into The Pentagram" einer eurer allerersten Songs vertreten ist. Jemand, der die einschlägigen Internet-Programme nach Neueinträgen durchforstet, wird "Reign Of Light" und Blackmetal finden.


Wie ich schon sagte, fang mit der offiziellen Webseite an, wenn du etwas rauskriegen willst. Dann bekommt man in der Regel den besten Überblick, und natürlich existieren SAMAEL schon eine ganze Zeit. Der Sampler, ja... "Into The Pentagram" gehört in die ganz frühe Phase von SAMAEL, der Song ist inzwischen 14 Jahre alt, das ist nicht sonderlich aktuell. Aber wahrscheinlich ist es immer noch interessant.


Natürlich ist es interessant. Ihr habt eine faszinierende Entwicklung durchgemacht.


Ja klar. Für die Band war es immer sehr wichtig, sich weiterzuentwickeln, neues zu erforschen und zu erreichen - irgendwie, uns selbst zu überraschen. Wenn man jahrelang immer wieder dieselbe Musik macht, hat man dazu mit Sicherheit keine Möglichkeit. Wir versuchen, die Band auch nach innen spannend zu halten. Aufregend. Und wir versuchen immer noch, uns weiterzuentwickeln.


Also gibt es eine Art von Wettbewerb zwischen deinem Bruder und dir, den jeweils anderen mit Songs zu überraschen?


Gut getroffen, da habe ich so noch nicht drüber nachgedacht. Vielleicht - wenn man neues kreiert, neue Musik schreibt, versucht man schon, die Leute um sich herum damit zu überraschen und zu fesseln. Das gilt jedenfalls für mich. Und das können sowohl die anderen Bandmitglieder sein wie auch andere Freunde und Bekannte. Und den Einfluss, den solche Leute auf das haben, was man tut, sollte man nicht unterschätzen. Teils bewusst, teils im Unterbewusstsein versucht man doch, sie zu bezirzen. Versucht, etwas zu schreiben, was ihnen gefallen könnte. Keine Ahnung, ob das so etwas wie ein Wettbewerb zwischen mir und Vorph ist. Nein, nicht wirklich.


Danke für die Überleitung. Es gibt momentan nur einige wenige Leute, die tatsächlich Musik aus eurem "Era One Project" gehört haben, darunter enge private Bekannte und eure Label-Verantwortlichen. Wenn man diese Leute fragt, gibt es ganz erstaunliche Parallelen zwischen "Era One" und dem aktuellen Album "Reign Of Light". Es gibt klare Unterschiede, aber man kann die Entwicklungsschritte zwischen "Eternal" und heute besser nachvollziehen. Habt ihr damals bewusst einige Trennstriche zwischen dem Projekt und SAMAEL gezogen?


"Era One" war ein Experiment. Wir wussten damals nicht ein noch aus, hatten kein echtes Line-Up mehr, weil unser zweiter Gitarrist Kaos ausgestiegen war und wir sind zu dritt über geblieben. Wir konnten zu dritt nicht live auftreten, und es herrschte eine komische Stimmung. Für "Reign Of Light" war das Projekt dennoch wahrscheinlich höchst einflussreich, denn während der Era One-Phase haben wir viel experimentiert, es war eine gute Möglichkeit, Dinge mit der Stimme auszuprobieren - daher kommen die neuen Möglichkeiten mit dem rhythmischen Gesang, genauso die neuen, ganz melodischen Sachen. Das hat also das neue Album definitiv beeinflusst. Trotzdem unterscheiden sich beide Dinge deutlich. "Era One" ist immer noch nicht erschienen, auf die Parallelen liegen also nur für wenige aus unserem direkten Umfeld auf der Hand. Und obwohl wir auf dem Album keinerlei Gitarren haben, nur elektronisches, ist es immer noch nah dran an SAMAEL - sagen diese Leute.


Jetzt ist also drüber geredet, über das ominöse elektronische Album "Era One". Denkst du denn, dass es jemals erscheinen wird?


Ja, würde ich sagen. Ich mag mich irren, aber ich denke schon, dass Century Media irgendwann "Era One" und "Lesson In Magic #1" rausbringen werden. Vielleicht im April 2005? Das war das letzte, was ich von ihnen gehört habe. Die Songs haben inzwischen ihre Zeit auf dem Buckel und werden durch weitere Aufschübe nicht jünger, aber wenigstens kommt jetzt ein aktuelles Album von uns raus.


... und es sind immer noch reichlich elektronische Sachen auf "Reign Of Light". Habt ihr alles übernommen, was sich in dem Experiment bewährt hat? Gibt es irgendwo ein Limit, das ihr euch selbst steckt?


Nein, wir limitieren uns kaum selbst. Auch "Era One" ist immer noch SAMAEL. Natürlich gibt es auch Sachen, die wir uns nicht vorstellen können, aber das würde dann in eine ganz andere musikalische Richtung gehen und gar nicht mehr passen. Wir versuchen dafür, anderes einzubinden: Auf "Eternal" hatten wir einen sterileren Sound, auf dem neuen Album arbeiten wir dafür mit orientalischem Flair. Tatsächlich sind SAMAEL immer noch offen für fast alles und ich bin keineswegs frustriert in dieser Band. Es gibt wirklich nur minimale Barrieren - letztendlich sollte sich alles noch nach dieser Band, nach SAMAEL anhören, aber ansonsten gibt es keine Grenzen. Das ist cool.


Woher habt ihr die orientalischen Einflüsse, seid ihr in letzter Zeit viel gereist?


Nein, eigentlich nicht. Vorph war zwar längere Zeit in Asien unterwegs, und nachdem er wieder da war, bin ich mit meiner Freundin auch nach Asien in den Urlaub geflogen, aber das ist beides schon einige Zeit her. Für den gemeinen Europäer haben die Tonarten und Skalen, die Geschwindigkeiten der orientalischen Musik eigentlich einen komischen Beigeschmack, eigentlich liegt uns das dem Mitteleuropäer gar nicht. Es ist ein vollkommen unterschiedlicher Sound, und er erzeugt eine fast magische Atmosphäre, aber auch sehr kritisch. Das ist der Grund, warum wir ihn unbedingt benutzen wollten. Als wir erst einmal angefangen hatten, hat er sich sehr gut in den SAMAEL-Sound eingefügt. Geradliniges, grooviges Schlagzeug, Stromgitarre und dieser leichte, süße orientalische Sound haben doch ganz gut zueinander gepasst. Das Ausprobieren haben wir mit nur wenigen Songs angefangen, der erste war "Moongate" weiter ging es mit "Heliopolis". Wir haben also mit den Songs mit der Sitar angefangen, weiter ging es mit "Inch´Allah", und da sind wir dann zu den klassischen Violinen übergegangen, es wurde eher arabisch. In diesem Album liegt ein Löwe begraben.


Ganz schön smart - Texte schreiben wie den von "Inch´Allah", aber gleichzeitig respektvoll an die Musik und ihre Wurzeln heran gehen. Quite sophisticated!


Tja... Dieser Song handelt allgemein von menschlichen Koexistenzen und davon, wie man seine Persönlichkeit entwickelt. Der ursprüngliche Text hat keine Verbindung mit der arabischen Welt. Allerdings passt der Titel sehr gut zum Text, und so haben wir dann die Verbindung gezogen, und dann kam diese Musik dazu. Am Ende haben wir den Teil mit den Geigen dann verändert, und das hat die Stimmung des gesamten Songs gewandelt. Interessant zu sehen, wie ein Song während des Aufnahmeprozesses auf links gezogen werden kann.


Zurück zu den neuen Musikhörern von heute: Ihr plant ein Video zu "Telepath"?


Ja, planen wir, und ich hoffe, wir bekommen es vor der Tour noch fertig. Wahrscheinlich machen wir für diesen Song also unseren ersten Videoclip. Und dann warten wir mal ab, und wenn alles gut geht, kommt ein zweiter Videoclip nächstes Jahr hinterher. In den USA erscheint das Album nämlich erst nächstes Jahr, und promotions-technisch wäre es schon gut, dann ein neues Video am Start zu haben. Im Anschluss erscheint der Clip dann natürlich auch in Europa.


Ist das jetzt nicht viel schwieriger? Ihr habt jetzt eure eigene Plattenfirma, das bedeutet doch auch, dass ihr für solche Sperenzchen selbst und direkt zahlen müsst?


Ähhmmm... Ja, offensichtlich. Aber wir werden finanziell von der Plattenfirma unterstützt, die uns lizenziert hat, wir haben eine Art Kooperationsvertrag. Wir tragen zwar unsere Auslagen selbst, aber die Platte wird von denen hergestellt. Der Rest ist unser Geld, aber wir können es dort ausgeben, wo wir es sinnvoll finden. Wir haben wirklich eine gute Zusammenarbeit mit dieser Plattenfirma, business-technisch ist das ein interessanter Mix. Und die Vertriebssituation ist auch gut, wir müssen so nicht mit jedem Land selbst verhandeln. Es läuft gut für uns.


Und wie ist es so als Labelchef?


Wir haben das Label gegründet, um eine Plattform zu haben, von der aus wir alles regeln können, was SAMAEL und unsere Nebenprojekte betrifft. Das ist die Idee dahinter, und wir wollten von vornherein mit einem anderen Label zusammenarbeiten. Es geht also nicht so viel Arbeitszeit für den Bürokram drauf, es ist kein volles Label, in dem du deine Acts entwickeln musst, mit ihnen arbeiten, neue Künstler signen. Wie haben es aufgebaut, um endlich die Kontrolle darüber zu haben, was mit SAMAEL passiert.


Ihr habt für dieses Album vier Produzenten oder Aufnahmetechniker verschlissen. Warum haben so viele verschiedene Leute da dran gewerkelt?


Wir hatten die Idee, hier in der Schweiz aufzunehmen, damit wir jederzeit zu Hause an die Bänder rankönnen, wenn wir etwas ändern wollen oder eine neue Idee haben. Also haben wir alles in verschiedenen Studios in der Schweiz aufgenommen - einige Sachen bei uns zu Hause, und die Gitarre und besonders den Gesang in unterschiedlichen Studios. Dadurch hatten wir unterschiedliche Techniker für unterschiedliche Instrumente. Wir konnten es uns so leisten, uns einige Dinge auszuleihen und sind mit den Aufnahmen gut voran gekommen. Und wir hatten jederzeit Zugang zu unseren Aufnahmen und konnten es uns immer mal wieder mit frischen Ohren anhören. Oder gewisse Sachen anders kanalisieren. Ab dem Moment, in dem Vorph die finalen Gesangsspuren eingesungen hatte, konnte ich mit dem Programmieren anfangen. Für uns war das eine interessante Art zu arbeiten. Wahrscheinlich ist dieses das Album, an dem wir am intensivsten gearbeitet haben. Durch unsere Arbeitsweise hatten wir viel mehr Zeit zur Verfügung, wir mussten nicht auf die Uhr gucken, kein Produzent saß uns mit Plan und Arbeitszeit im Rücken. Wenn man sich eine ganz reguläre Studiozeit bucht, arbeitet man doch nach strengen Zeitplänen, hat genaue Tage im Studio und anschließend ist schon der Mix gebucht.


Mixen musstet ihr trotzdem, hattet ihr dafür denn genauso viel Zeit?


Wir haben in Schweden gemischt. So war das von Anfang an geplant, aber erst während der Aufnahmen haben wir unsere Zeiten gebucht. Wir wollten nicht alles in der Schweiz machen. Das war dann doch etwas anderes. Insgesamt bin ich drei Wochen in Schweden geblieben, zwei Wochen davon haben wir abgemischt, das ist die längste Zeit, die wir je für einen Endmix zur Verfügung hatten. Aber ich glaube, es war es wert, das Album hat so viele kleine und große Details in jedem Song versteckt, und wir hatten die Möglichkeit, so weit zu gehen wie wir wollten. Auch der Mix ist ein guter Schritt von "Eternal" aus - "Eternal" war mit immer zu dick. Das hier ist kompakt und farbenfroh. Ja, hell und farbenfroh. Es hat einen kristallklaren Sound, den ich schon länger so suche. Und ich glaube, mit diesem Album haben wir ihn erreicht.


Nun habt ihr euer Ding durchgezogen und am Ende die Kontrolle über - hmm, euer Baby - errungen. Fünf vergebene Jahre, die ihr drauf gewartet habt, endlich ein Album unter eurer Kontrolle rauszubringen, die ganze Mühe. War es das wert?


Ja, glaube ich. Wir waren in einer Situation angekommen, wo es nicht mehr möglich war, in eine andere Richtung zu gehen. Wir brauchten diese Art von kreativer Kontrolle, und wir wollten dem weiter folgen, was wir getan haben. Du nennst es "Baby", natürlich ist es nicht unser Kind, aber da liegt ein Körnchen Wahrheit drin. Wenn man etwas erschafft, möchte man auch das alles weiter besitzen, was damit zusammenhängt, und man möchte es nicht einfach jemandem anders geben und dann abwarten müssen, was der damit tut. Ja, es war es wert. Vielleicht mussten wir auch durch diese Situation durchgehen. Wenn man den Weg nicht geht, kann man auch niemals woanders ankommen. Also werden wir sehen, was uns die Zukunft bringt.


Also habt ihr eure Lektion gelernt?


So ähnlich. Manchmal sind auch Probleme etwas positives. Man muss sie lösen. Und wenn man sich anschließend daran erinnert, wie man sie gelöst hat, kann man daraus lernen. Wir haben dadurch sehr viel mehr über die Business-Seite des Musikbiz gelernt, von der wir wirklich keine Ahnung hatten. Zumindest viel weniger, als wir gebraucht hätten. Und das ist sicher für uns noch ganz nützlich in der Zukunft. Also: Ende gut, alles gut.


Ich bin jetzt auch am Ende mit meinen Fragen. Hast du noch typische letzte Worte? Die Standard-Antwort wäre jetzt entweder "wir sehen uns auf Tour" oder "kauft unser Album".


Dann könnte ich mir eine davon aussuchen, ja? Unsere Grüße gehen an die Leser von Metal-Inside.de und danke dass ihr euch die Zeit genommen habt, das alles hier durchzulesen. Und ich hoffe, wir sehen uns auf Tour.




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