Interview:

2008-02-23 Porcupine Tree

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Die Briten PORCUPINE TREE gelten seit 20 Jahren als Lieferanten ganz besonders hochwertiger Musikkunst und haben die progressive Gemeinde erst im letzten Jahr mit dem Werk „Fear Of A Blank Planet“ begeistert. Nun steht ein Mini-Album mit dem Titel „Nil Recurring“ an, dessen Songs aus denselben Sessions stammen, aber separat veröffentlicht werden. Den Grund dafür verrät uns Mastermind Steven Wilson, bei dem die progressive Kunst eher in der Kürze der Würze liegt… InterviewWarum veröffentlicht Ihr das Mini-Album „Nil Recurring“ so kurz nach dem letzten Album „Fear Of A Blank Planet“?



Das sind Songs, die in derselben Zeitperiode entstanden sind wie die von „Fear Of A Blank Planet“. Es ist ein begleitender Release zu dem Album; die Schwester, wenn Du so willst und jetzt gut neun Monate her, dass das Album veröffentlicht wurde. Ich denke, es ist jetzt eine gute Zeit, diese Extra-Songs verfügbar zu machen.



Das wirft trotzdem die Frage auf, warum Ihr das Album nicht als Doppel-CD veröffentlicht habt, also inklusive „Nil Recurring“.



Das hatte zwei Gründe. Zuerst einmal war „Fear Of A Blank Planet“ ein sehr Konzept-orientiertes Album, besonders was die Texte betrifft. Speziell diese Songs passten einfach nicht in das Konzept des Albums. Und zweitens bin ich der Meinung, dass gerade Alben heutzutage viel zu lang ausfallen. Ich bin in den 80er Jahren aufgewachsen, dem Ende des großen Zeitalters der Vinyl-LPs. Diese LPs waren 40 oder maximal 45 Minuten lang. Egal, ob man „Sgt. Pepper“, „Dark Side Of The Moon“ oder „Reign In Blood“ von SLAYER nimmt; diese Alben waren maximal 40 Minuten lang. Einer der großen Nachteile des CD-Zeitalters ist, dass Alben heutzutage auf bis zu 80 Minuten aufgeblasen werden. Das ist einfach zu lang. Ich denke, dass sich niemand so lange auf ein Stück Musik konzentrieren kann, ich kann das zumindest nicht. Meiner Meinung nach waren die alten LPs mit ihren 40, 45 Minuten genau richtig, aber auch „Fear Of A Blank Planet“ ist ein bisschen länger ausgefallen und gut 50 Minuten lang. Es ist deswegen aber noch kein überlanges Doppelalbum. Stattdessen bin ich dafür, dass immer ein konstanter Fluss an Musik vorhanden ist und nicht alle drei Jahre ein 80-Minuten-Album. Es ist besser, die Musik aufzuteilen und sie besser dosiert fließen zu lassen.




Es ist ungewöhnlich, dass gerade Du als Prog-Musiker der Ansicht bist, dass eher kürzere Alben besser seien. Normalerweise steht speziell dieses Genre für überlange Scheiben im Gegensatz zu eher härteren Gangarten wie Thrash- oder Death Metal. Du schreibst ja auch sehr komplexe Musik.



Ja, aber schau Dir doch mal die großen Progressive Rock-Alben der Rockgeschichte an, wie „Close To The Edge“ von YES, das ist 36 Minuten lang. „Dark Side Of The Moon“ von PINK FLOYD hat 40 Minuten… das sind alles keine langen Alben. Ich denke, dass komplexe Musik nichts mit Länge zu tun hat! Und man kann auch so argumentieren, dass es, gerade weil die Musik so komplex ist, besser ist, sie in kleinen Portionen zu verabreichen. Progressive Musik enthält eine Menge an Informationen, die man in zu großer Menge gar nicht aufnehmen kann. Da wäre es umgekehrt eher sinnvoller, eher Ambient Music auf 80 Minuten aufzuweiten, da sie nicht so viele Informationen enthält und leichter konsumierbar ist. Falls „Fear Of A Blank Planet“ so lang geworden wäre, hätte das Album kaum jemand aufnehmen können. Das Gehirn schaltet sich nach gewisser Zeit einfach ab, das geht mir nicht anders. Davon abgesehen bin ich mir auch gar nicht sicher, ob ich mich wirklich als typischen Prog-Musiker bezeichnen kann. Prog-Rock ist sehr weit dehnbar, und einige Alben aus diesem Bereich handeln von Science Fiction oder Fantasy. Aber bei PORCUPINE TREE ist das nicht so, das bin nicht ich, denn unsere Texte handeln, im Gegensatz zu vielen anderen progressiven Bands, von persönlichen Erfahrungen. Es gehen in der Welt genug bizarre Dinge vor sich, die wesentlich interessanter sind als fiktive Themen. Wie sagt man doch so schön: „The truth is stranger than fiction!“.



Dann magst Du zum Beispiel auch die langen Epen von DREAM THEATER nicht?



Zu DREAM THEATER bin ich schon oft gefragt worden, aber das ist echt nicht meine Musik! Es ist wunderbare Musik, wundervoll gespielt, wundervoll produziert und umgesetzt, aber es ist nicht meine Baustelle. Ich mag eher Musik, die weniger geschliffen, sauber und technisch klingt. Das ist für mich so etwas wie mathematische Musik, aber Mathematik ist nun mal keine Musik. „Reign In Blood“ von SLAYER ist 30 Minuten lang, und mit jeder Minute mehr würde es anfangen, schlechter zu werden. Das ist aber nur meine Meinung!



Steckt denn auch ein Konzept hinter „Nil Recurring“? Wovon handelt das Mini-Album?



Das Konzept hinter der Scheibe ist, dass sie kein Konzept hat. Es sind die Songs, die außerhalb der Thematik von „Fear Of A Blank Planet“ stehen. Die Stücke passen auch zu nichts anderem. Der Titelsong ist ein Instrumental, „Cheating The Polygraph“ handelt vom Musikgeschäft und ist einer der ersteren Songs, die ich über das reine Business geschrieben habe. Das Geschäft hinter der Musik ist oftmals sehr hinderlich für die Kreativität. Bei „What Happens Now?“ geht es darum, ein Flugzeug zusammen mit einem Terroristen zu besteigen. Alle diese Stücke hängen nicht in einem Konzept zusammen. Wir finden sie genauso gut wie Songs des Albums, aber sie haben nicht dorthin gepasst, das ist einfach Fakt.



Ihr habt nach der Veröffentlichung des Albums auch das Label gewechselt und seid von Roadrunner zu Peaceville gegangen. Warum denn das?



Wir haben gar kein Label! PORCUPINE TREE arbeiten so, dass wir bei keiner Plattenfirma unter Vertrag stehen. Wir machen das jetzt so wie es RADIOHEAD auch getan haben und bezahlen für die Aufnahmen unserer Platten selbst. Wenn die Aufnahmen beendet sind, entscheiden wir uns, welches Label die Lizenz dafür bekommen soll. So eine Lizenz ist etwas völlig anderes als bei einem Label unter Vertrag zu stehen. Wenn man unter Vertrag steht, gehört dem Label die Musik, aber wenn man sie nur lizenziert, dann gehört einem die Musik weiterhin und man bekommt die Rechte nach fünf Jahren zurück. Danach kann man sich entscheiden, was weiterhin damit passieren soll. Bei „Fear Of A Blank Planet“ hatten wir uns umgeschaut, welches Label das Beste für das Album ist. In Europa waren es Roadrunner, in den USA Atlantic und in Japan auch ein anderes Label. Wir haben Roadrunner auch die EP angeboten, aber sie haben verständlicherweise deutlich mehr Interesse an unserem nächsten Album gezeigt. Das Mini-Album war ihnen nicht so wichtig, denn sie wollten lieber das Album weiter promoten. Daraufhin haben wir die Initiative ergriffen und uns an ein anderes Label gewandt, das wir ebenfalls sehr hochklassig finden, und das sind Peaceville. Aber all diese Deals sind wirklich nur Deals; die Musik gehört weiterhin der Band!



Dann wollt Ihr also auch in Zukunft die Herren über Eure Musik sein?!



Ja, absolut! Das machen jetzt aber viele Bands so, wie eben RADIOHEAD oder auch NINE INCH NAILS. Sie sind sehr stolz darauf, nie wieder bei einem Label unter Vertrag zu stehen. Dadurch können sie immer die optimale Firma für sich finden oder die Musik sogar zum Download anbieten, so dass die Fans direkt zuschlagen können. Diese Vorgehensweise wird sich in den nächsten paar Jahren noch weiter verbreiten.



Seit der Gründung der Band im Jahr 1987 habt Ihr fast ausschließlich viel umjubelte Alben herausgebracht. Du hast es vorhin schon einmal kurz angesprochen: woher nehmt Ihr auch heute noch die Ideen für Eure Musik und Texte?



Das ist eine gute Frage und schwer zu beantworten, weil sie alles hinterfragt. Aber ich denke mir, dass es dafür nötig ist, ein wirklich komischer Typ zu sein. Ich selber bin so ein komischer Typ! Ich bin sehr daran interessiert, neue Musik, neue Filme oder Bücher kennen zu lernen oder die Nachrichten zu gucken. Ich unterhalte mich auch viel mit meinen Freunden über deren Erfahrungen, und all diese Dinge werden von Deiner Persönlichkeit absorbiert und können Dich dabei inspirieren, neue Songs zu schreiben. Am heutigen Punkt meiner Karriere ist der größte Einflussfaktor aber immer noch das Leben! Die gesamte Mischung aus Treffen, Reisen, Gucken, Lesen, Hören, Reden, wieder Hören,… all das verändert Deine Person, also deine Einstellungen und Vorstellungen. Und wenn sich Dein Input immer wieder verändert, dann ist Dein Output auch immer frisch. Ich vertraue auf diesen Prozess und werde es auch weiterhin so handhaben.



Beim Durchstöbern Eurer Diskografie taucht ein älteres Instrumental mit dem Titel „Tinto Brass“ auf, was ich ganz witzig finde, denn der Mann selben Namens ist ein italienischer Pornofilm-Regisseur (der unter Anderem auch den abgefahrenen Streifen „Caligula“ mit Malcolm McDowell und Peter O´Toole gedreht hat – Anm. d. Verf.)…




Ja, das stimmt! Ich fand einfach, dass sich sein Name sehr schön anhört. Außerdem mag ich solche Kontraste, denn die Tatsache, dass Tinto Brass Pornofilme macht, ist auf der einen Seite so gesehen etwas Schäbiges, aber andererseits klingt der Name wunderbar. Dieser Klang gefiel mir einfach, und wenn man ein Instrumental schreibt, dann hat man ja keine Texte, an die man sich bei der Titelwahl halten muss. Da hat man freie Wahl, und ich wollte schon immer einen Song mit dem Titel „Tinto Brass“ schreiben, weil ich den Namen liebe. Ich sage damit nicht, dass ich seine Filme so großartig finde, hahaha! Aber sie sind ganz sicher einzigartig, weil er seinen eigenen Stil und Look hat.



Wie viel steuern eigentlich die anderen Musiker von PORCUPINE TREE zum Songwriting bei?



Auf das Songwriting haben sie nicht so großen Einfluss, dafür aber eine Menge auf die Arrangements. Der Sound der Band lebt von der Fusion der vier Bandmitglieder. Die Strukturen der Songs sind sehr persönlich für mich, aber ich sage den anderen nicht, wie sie ihre Instrumente zu spielen haben. Wenn ich ihnen einen Song gebe, dann arbeiten sie ihre eigenen Parts komplett selbst aus. Die Stücke passt sich jeder seinem eigenen Stil und seiner Persönlichkeit an. Das macht die Band auch aus, es soll keine Diktatur sein, das ist nicht der Sinn der Sache. Ich bin dabei als Songwriter nur der Kern, wenn Du so willst.



Du hast neben PORCUPINE TREE auch noch zahlreiche Projekte und eine Soloband laufen. Füllt Dich die Band nicht völlig aus?



Nein, überhaupt nicht! Meine musikalischen Einflüsse und mein Geschmack reichen von Ambient Music bis hin zu Black Metal inklusive allem dazwischen. PORCUPINE TREE stellen nur so etwas wie die progressive Seite meiner Persönlichkeit dar.

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