Interview:

2011-09-16 Neal Morse

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Dass Neal Morse ein begnadeter Musiker und Komponist ist, dürfte wohl außer Frage stehen. Mit SPOCK’S BEARD hat er (Prog-)Musikgeschichte geschrieben, mit TRANSATLANTIC hat er drei großartige Alben veröffentlicht, und auch sein letztes Solo-Album „Testimony 2” sprüht nur so vor Ideenreichtum und altem Prog-Geist. Fraglich ist eher seine extreme Hinwendung zum Christentum und dem damit verbundenen missionarischen Eifer, der zu seinem Ausstieg bei SPOCK'S BEARD führte und ihn dazu bewegte, mit geistlichen Liedern auf Gottesdienst-Tourneen zu gehen. Im Interview haben wir versucht, beiden Seiten von Neal Morse gerecht zu werden. Also lest, was der Mann zu berichten hat, und macht euch euer eigenes Bild.InterviewEigentlich hast du deine musikalische Karriere als Singer-Songwriter begonnen. Wie bist du zum Progressive Rock gekommen?


Die erste Musik, die ich wirklich geliebt habe, war die der BEATLES. Ich mochte auch immer schon Singer-Songwriter wie SIMON AND GARFUNKEL, aber schließlich bin ich total im Prog aufgegangen. Es gab einen bedeutenden Wendepunkt in meinem Leben, das war, als ich YES als Opener für BLACK SABBATH sah. YES waren zu diesem Zeitpunk noch ziemlich unbekannt, aber sie haben mich einfach umgehauen. Und dann wurde ich ein echter Prog-Freak, bis ich mich ungefähr 1976 davon löste und so wirklich erst wieder 1991 dazu zurückkehrte. Also ging ich in meinen frühen 30ern von meiner nicht existierenden Singer-Songwriter-Karriere zurück zu meiner ersten Liebe: Prog meets THE BEATLES – und SPOCK'S BEARD waren geboren.


Warum gibt es ein „Testimony 2“? Hattest du das Gefühl, das noch nicht alles gesagt war?


Ja, es gab vieles, das auf „Testomony 1“ fehlte. Ich meine, bis zur zweiten Hälfte der zweiten CD hatte ich noch nicht einmal geheiratet. Also habe ich ungefähr von 1995 bis 2001 vorgespult. „Testimony 2“ nimmt deshalb die Jahre zwischen 1996 und 2001 genau in Augenschein.


Es gibt auf „Testimony 2“ einige Parts, die musikalisch sehr an deine Alben mit SPOCK'S BEARD erinnern, wie z. B. der mehrstimmige Gesang bei „Time Changer“. Können diese Passagen als Zitate verstanden werden, da ja auch die Texte von deiner Zeit mit SPOCK'S BEARD handeln?


Als ich „Time Changer“ geschrieben habe, hatte ich tatsächlich die Idee, so ein SPOCK'S BEARD-mäßiges Gesangs-Ding zu machen. Ich dachte mir, wie cool es wäre, wenn die Musik diesen Zeitabschnitt reflektieren würde. Deshalb gibt es auch dieses Boogie-Feeling bei „Nighttime Collectors“, denn das war die Art Musik, die ich zu dieser Zeit spielte.


Die Mitglieder von SPOCK'S BEARD haben dann ja sogar als Gäste bei „Time Changer” mitgewirkt.


Ich finde es so cool, dass die Jungs zugestimmt haben, vorbeizukommen und den Part zu singen! Das war, wie einen biographischen Film zu sehen, der auf der Leinwand gezeigt wird.


Es scheint, als wärst du noch oder wieder eng mit SPOCK'S BEARD verbunden, musikalisch wie persönlich. Warum vereint ihr euch nicht einfach wieder?


Na ja, es hat sich einfach nicht so angefühlt, als wäre es an der Zeit für so etwas. Ich glaube, zur Zeit sind alle glücklich und mit ihren Projekten und ihrer Arbeit beschäftigt. Und es hat sich für mich einfach nicht so angefühlt, als sei es die nächste große Sache, die ich angehen sollte. Aber es ist großartig, dass wir uns alle gut verstehen und uns an einem Festival wie dem High Voltage treffen, zusammen spielen und eine gute Zeit haben können.


Was hältst du von den Alben, die SPOCK'S BEARD aufgenommen haben, nachdem du die Band verlassen hattest?


Ich finde, sie haben großartige Arbeit abgeliefert! Ich freue mich für sie und bin froh, dass alles so gut läuft.


Zur gleichen Zeit wie „Testimony 2“ ist auch dein Buch „Testimony“ veröffentlicht worden. Worum geht es da?


Es ist meine komplette Lebensgeschichte, mit einer Betonung auf dem Spirituellen. Darüber hinaus steckt auch eine Menge Material über meine musikalische Karriere darin, verschiedene Geschichten aus meinem Leben. Ihr solltet mal reinschauen! Vielen Leuten hat es wirklich gefallen.


Wie ist deine letzte Tour gelaufen? Standen auch Songs von SPOCK'S BEARD und TRANSATLANTIC auf der Setlist?


Die Tour war überwältigend! Eine der besten Touren, die ich je gespielt habe. Zwei Bands, zwei Kontinente. Es ging weit über meine Erwartungen hinaus. An speziellen Abenden haben wir auch einige Sachen von TRANSATLANTIC und SPOCK'S BEARD gespielt, aber sie waren eigentlich nicht auf der Setlist. Sie waren mehr Überraschungs-Extras.


Deine Live-Band besteht aus Musikern, die nicht das Album eingespielt haben. Warum ist das so? Und wie ist es, mit Musikern zu proben, für die alle Songs neu sind?


Es ist großartig, wenn sie das Material lernen. Auf den Alben spielen viele Leute, und einige von ihnen sind Session-Musiker, die nicht gerne die Stadt verlassen. Und ich dachte mir, dass es Spaß machen würde, in den USA so viele der ursprünglichen Bandmitglieder zusammenzubringen, die aus der alten „Testimony“-Band stammen und auch auf der DVD gespielt haben. Und es war großartig! Und mein Freund Collin hat für Europa eine ebenso fantastische Band zusammengestellt. Es war außergewöhnlich!


Mike Portnoy spielt schon seit vielen Jahren auf deinen Alben, und zusammen mit ihm hast du auch TRANSATLANTIC gegründet. Was verbindet euch, musikalisch wie persönlich?


Mike ist, natürlich, einer der besten Drummer der Welt. In seinem Spiel hat er so viel Feuer und Leidenschaft, es ist einfach unglaublich. Es ist eine wirkliche Ehre, mit ihm spielen zu können. Ich habe aber auch gelernt, mich auf seine Meinungen und seine Fähigkeiten als Produzent zu verlassen. Viele wisse das gar nicht über ihn, aber Mike ist ein fantastischer Arrangeur und hat großartige Vorstellungen darüber, in welche Richtung die Musik jeweils gehen sollte. Er hilft mir auch bei meinen Solo-Alben. Persönlich ist er ein großartiger Freund geworden. Ich respektiere und schätze ihn sehr.


Du bist extrem produktiv. Fast jedes Jahr veröffentlichst du ein neues Album, und dazwischen erscheinen auch noch Live-CDs, -DVDs und die „Worship Sessions“. Woher nimmst du all die Ideen und Inspirationen?


Natürlich glaube ich, dass das alles von Gott kommt. Ich fühle mich einfach immer inspiriert, um weiterzuschreiben. Im Geiste höre ich ständig verschiedene Melodien und einzelne Teile von Musik. Oft ist es so, als ob ich nicht schreiben würde, sondern vielmehr versuche, alles richtig zu hören. Und wenn die Kreativität auf diese Weise fließt, ist Schreiben eine sehr leichte und wunderbare Sache. Aber dann gibt es auch noch den Teil der Arbeit. Die Arbeit müssen wir eben auch erledigen, damit die Musik heraus kann.


Wie ist die Idee zu den „Worship Sessions“ entstanden?


Als wir zum ersten Mal auf einigen Gottesdiensten in Europa gespielt haben, haben wir all diese „Worship“-Songs gesungen, und dann kamen die Leute zum CD-Tisch und haben nach den Songs gefragt. Wir hatten aber keine CDs, auf denen diese Songs waren. Also haben wir angefangen, die Songs aufzunehmen, die die Herzen der Menschen auf den „Worship“-Gottesdiensten berührt haben.


Was genau ist der „Inner Circle”?


Der „Inner Circle“ ist so etwas wie ein Fan-Klub. Die Mitglieder zahlen jeden Monat ein bisschen Geld und erhalten dafür einen Newsletter mit Bildern, alle paar Monate eine Veröffentlichung in Form einer DVD oder CD mit wirklich coolem Kram wie Out-Takes oder Live-Tracks. Sie erhalten außerdem andere spezielle Dinge wie Videos mit mir im Studio zum Downloaden.


Ende Juni und Anfang Juli hast du einige „Acoustic Worship Services” in Deutschland, Österreich und den Niederlanden gespielt. Waren das mit Musik untermalte Gottesdienste, oder wie muss man sich das vorstellen?


Ja, manchmal spielen wir viel Musik. Etwas Musik spiele ich immer, das hängt davon ab, was wir gerade fühlen. Aber normalerweise spiele ich etwas Musik und singe und wir beten zusammen. Und dann sage ich auch etwas, oft auch andere Leute. Ich erzähle meine Geschichte und sage, was immer ich fühle, das Gott möchte, das ich sage. Es ist wirklich großartig, ihr solltet einmal kommen.


Sind viele Leute zu diesen Gottesdiensten gekommen? Und waren auch Fans von dir da, oder wussten die meisten gar nicht, wer du bist?


Es ist immer eine interessante Mischung. Manchmal sind vielleicht ein Drittel Prog-Fans da, ein Drittel junge Leute, die einfach zeitgenössische Musik mögen, und dann vielleicht ein Drittel ältere Menschen, die nur zur Kirche gehen und mich gar nicht kennen. Aber meistens entwickelt es sich wirklich fantastisch! Es fühlt sich für mich an, als wenn die Menschen wirklich gute Dinge aufnehmen. Es gab schon einige sehr gesegnete Abende.


In deiner Diskographie findet man unter anderem einen seltsamen, aber sehr witzigen Albumtitel namens „Neal Morse's Bavarian Polka Odyssey”, von dem ich mal ausgehe, dass er ein Fake ist. Was ist die Geschichte dahinter?


Mein PR-Mann, Bill Evans, hatte die Idee dazu. Großartig, oder? Hast du die Songtitel gelesen? Die sind auch super witzig!


Vielen dank für deine Zeit!


Ich danke dir! Gott segne dich!

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