Interview:

2005-04-19 Napalm Death

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Viele Worte braucht man über NAPALM DEATH nicht mehr zu verlieren, denn wer die Band kennt, weiß, was der mittlerweile wieder zum Quartett geschrumpfte Haufen zu leisten imstande ist. Ein weiterer beachtlicher Qualitätsbeweis ist den Birminghamern mit ihrem neuen Werk "The Code Is Red… Long Live The Code" gelungen, hat man sich zur Verstärkung gleich drei Gastsänger ins Studio geholt. Bassist Shane Embury lässt sich daher gerne ausfragen, welche Message die "extreme Musik mit extremem Inhalt" der Band im Jahre 2005 hat. InterviewZuerst einmal: was ist denn mit Eurem zweiten Gitarristen Jesse Pintado passiert?



Es gab in den letzten Jahren einige Probleme zwischen ihm und uns und die Dinge liefen nicht so, wie sie sollten. Daher dachten wir, es sei das Beste, wenn wir als Vier - Mann - Band weitermachen. Er hat in den letzten Jahren kaum Musik zur Band beigesteuert und die Probleme wurden zu groß, so dass wir uns zu dem Schritt entschlossen haben. Er ist wieder nach Los Angeles zurückgekehrt und das alles ist wirklich schade, aber wir müssen uns jetzt damit abfinden. Es ist für eine Band immer ungünstig, ein Mitglied zu verlieren, aber in diesem Fall war es nötig.



Habt Ihr Euch denn schon nach einem Ersatz umgeguckt, um den typischen, gewohnten Sound von NAPALM DEATH zu erhalten?



Wir haben ja ursprünglich als Vier - Mann - Band angefangen. Wir fühlen uns damit absolut glücklich und wenn die Leute uns live sehen, werden sie merken, dass der Angelegenheit nichts von unserer Power zum Opfer gefallen ist. Wir vier haben immer noch genug Energie, auch, wenn der Verlust von Jesse uns nicht leicht gefallen ist. Es gibt sogar Leute, die uns ohne zweiten Gitarristen besser finden, aber das ist letztendlich Geschmacksache. Wichtig ist nur, dass wir vier mit der Lage zurechtkommen und dabei glücklich sind. Und das sind wir im Moment.



Lass uns mal über Euer neues Album reden. Man hört Eure Punk - Einflüsse auf dem Album sehr stark heraus. In wie fern würdet Ihr Euch heute als Punk - Band bezeichnen?



Oh, das kann ich gar nicht so genau sagen. Meine Wurzeln liegen im Metal und dann habe ich mich in den frühen 80ern dem Hardcore - Punk zugewandt. Aber rein musikalisch würde ich uns irgendwo in der Schnittmenge aus Grindcore, Hardcore, Death Metal, Punk und Industrial einordnen. Es sind schon eine Menge Sachen, die uns beeinflusst haben, aber unsere Attitüde ist vielleicht "Punk", weil wir sehr bodenständig sind. Wir haben keine überzogenen Egos und keine typische Rockstar - Mentalität, sondern wir machen, was wir wollen und ziehen einfach unser Ding durch. Das neue Album ist rein musikalisch gesehen eine Mixtur aus Punk und Metal, denn es sind darauf viele Metal - Einflüsse vorhanden. Wenn ich es in Prozent angeben müsste, wäre es schon sehr schwer, aber es sind definitiv beide Genres in der Musik vorhanden.



In wie weit unterscheidet sich denn Deiner Meinung nach das neue Album von Euren letzten?



Meinst Du denn, es sei so anders? Ich denke, die neue Scheibe klingt ein wenig roher und hat einen heavieren, livemäßigen Sound. Musikalisch unterscheidet es sich nicht wirklich von den Alben zuvor. Es besitzt die gleichen musikalischen Strukturen und hat die gleiche Identität wie die letzte Scheibe oder die davor. Textlich behandelt Barney ähnliche Themen und vielleicht ist es etwas schneller als der Vorgänger. Einige Riffs, die wir geschrieben haben, sind "noisier" und der letzte Track auf dem Album ist ganz anders als der Rest. Wir haben einen solchen Song lange Zeit nicht mehr gemacht. Aber ansonsten ist es schwierig… NAPALM DEATH tun, was NAPLAM DEATH immer am Besten konnten. Unterschiede zu nennen, ist nicht einfach; das neue Album klingt etwas wilder als die letzten beiden, aber musikalisch gibt es kaum Differenzen. Es hat nur ein wenig mehr Power.



Wenn ich mir das Cover des neuen Albums anschaue, dann zeigt es das typische, apokalyptische Szenario. Meint Ihr, dass die nukleare Bedrohung heutzutage immer noch up - to - date ist, wie in den 80er Jahren?



Es ist eine Mischung. Diese vier oder fünf Figuren auf dem Cover stellen einige der "Weltführer" dar, aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Sie sind natürlich nicht direkt für einen Nuklearkrieg verantwortlich, aber es gehen viele verlorene Menschenleben auf ihr Konto. Ich denke, dass unsere Welt heute gefährlicher ist, als sie es vorher lange Zeit war, das bezieht sich nicht unbedingt auf einen möglichen Atomkrieg. Es geht darum, dass es immer Mächte hinter den vordergründigen Mächten gibt und dass Krieg immer ein großes Geschäft ist. Hinter den Kulissen spielen sich noch viel größere Sachen ab, als wir jemals im Fernsehen zu sehen bekommen und diese verborgenen Mächte kontrollieren die Medien. Und irgendwann, vielleicht in ein paar Jahren, wird sich die ganze Situation einem kritischen Punkt nähern, denke ich. Das Cover drückt diese Zusammenhänge aus, es geht dabei nicht ausschließlich um nukleare Bedrohung. Die ganze Welt ist ein sehr unsicherer Ort geworden, nicht nur dadurch, dass die Regierungen einiger finanzstarker Saaten ihre eigenen Interessen verfolgen und das Artwork beinhaltet diese Problematik.



Auf "The Code Is Red… Long Live The Code” sind mit Jello Biafra (DEAD KENNEDIES, LARD), Jamey Jasta (HATEBREED) und Jeff Walker (CARCASS) drei Gastsänger vertreten. Wie konntet Ihr diese Herren für das Album gewinnen?



Jeff Walker ist ein langjähriger Freund von uns aus alten Tagen. Als wir uns dazu entschlossen, Gastsänger für das Album zu verpflichten, sind wir spontan auf Jeff gekommen. CARCASS haben seit Ewigkeiten nichts mehr gemacht und Jeff wollte wahnsinnig gerne wieder etwas einsingen und zum Metal zurückkehren. Daher fiel die Wahl gleich auf ihn. Als wir das Album in Wales aufnahmen, spielten HATEBREED nicht weit weg vom Studio und Jamey ist auch ein alter Schulfreund von uns. Er hatte schon früher Shows von uns promotet und so war auch das nicht schwierig. Er fand die Idee großartig, weil NAPALM DEATH eine seiner absoluten Lieblingsbands sind. Was Jello Biafra betrifft, erfolgte die Annäherung über einen Freund von mir, Billy Gould von FAITH NO MORE. Wir haben ja auch vor vielen Jahren schon "Nazi Punks Fuck Off" von den DEAD KENNEDIES gecovert. Ihn zu verpflichten, fand ich eine sehr gute Idee, da seine Stimme absolut einzigartig ist. Ich habe daraufhin einen Freund von mir angemailt, der bei Alternative Tentacles, Jello Biafra’s Label, arbeitet und er hat Jello dann gefragt. Da er sofort einverstanden war konnten wir seine Gesangslinien aufnehmen, als wir letztes Jahr in San Francisco auf Tour waren. Es kam alles sehr leicht zustande, aber es war eine gute Idee, finde ich, da wir noch nie zuvor mit Backing - Vocals gearbeitet hatten. Sie werten die Scheibe zusätzlich auf.



Aber warum sind sie nur auf insgesamt vier Songs zu hören und nicht über das gesamte Album hinweg? Das hätte sich doch angeboten?!



Dann hätte sich die Idee vermutlich totgelaufen und es ist nicht leicht, Gastsänger in den Sound zu integrieren. Ich denke, so ist es genug und wir laufen nicht Gefahr, dass es zuviel wird und der Effekt irgendwann ausgelutscht klingt. Da war für uns weniger eben mehr und die Aktion dominiert nicht auf dem Album.



Ihr habt den Song "The Great And The Good" außerdem für eine Compilation im Rahmen der Tsunami - Flutopferhilfe Eures Labels zur Verfügung gestellt. Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf diesen Track?



Dieser Song hat sich als eines der Highlights auf dem Album entpuppt. Außerdem ermöglichte es Jello Biafra, zu dem Song ein paar Worte über die Katastrophe für das Booklet zu verfassen. Das sind die Hauptgründe, aber hinzukam, dass es so nicht nur ein typischer NAPALM DEATH - Song war, sondern der eine Spezielle mit Jello als Gastsänger.



Abgesehen von Euren apokalyptischen Visionen, die sich in Eurer Musik, den Texten und dem Cover - Artwork widerspiegeln… wie wichtig sind aktuelle politische Geschehnisse für Euch?



Politik war immer ein wichtiger Einflussgeber für die Band. Barney hat fast alle Texte der letzten Alben selbst verfasst und er ist auf diesem Gebiet schon gut auf der Höhe. Aber für mich, ob vor meiner Zeit bei NAPALM DEATH oder später in der Band, war stets die Musik der ausschlaggebende Punkt. Mir ist bewusst, dass Politik ein großer Bestandteil von NAPALM DEATH ist, aber ich bin in erster Linie Musiker. Es geht Hand in Hand, denn es ist extreme Musik mit extremem Inhalt und das ist eine gute Sache.



Gutes Stichwort: welche Bands haben Dich denn persönlich während der ganzen Zeit begleitet?



Aufgewachsen bin ich mit BLACK SABBATH, JUDAS PRIEST, SAXON und dann kamen DISCHARGE, THE EXPLOITED, G.B.H.,… ab 1985 auch verstärkt DEATH, REPULSION und eine ganze Menge Hardcore - Bands, von denen ich meine Einflüsse als Musiker bei NAPALM DEATH beziehe. In den 90ern kamen dann Bands wie HELMET, SONIC YOUTH oder TODAY IS THE DAY hinzu, die meinen Gitarrenstil auch ein wenig beeinflusst haben. Es ist die gesamte Mischung; von Metal über Hardcore, Noise und ich mag sogar einige Sachen aus dem Black Metal - Bereich.



Es hieß vor ein paar Jahren, dass Ihr eine Tour durch Vietnam plant…



Ja, aber am Ende ist es nicht dazu gekommen. Es gab die Idee, aber sie wurde nie umgesetzt.



Es war aber fast ein Skandal, dass eine Band mit dem Namen NAPALM DEATH in Vietnam spielen sollte. Denkst Du denn nicht, dass die Leute dort ziemlich verärgert gewesen wären?



Das könnte schon sein. Die Bevölkerung hätte vielleicht einen falschen Eindruck von uns bekommen, wenn sie den Bandnamen gelesen hätte. Aber wenn man sich dann näher mit den Inhalten und den Texten der Band beschäftigt hätte, dann hätte man schon gesehen, dass sie sehr kritisch ist. Wir sind absolut gegen Krieg, gegen Sklaverei und gegen Korruption, so dass ich glaube, dass eine Auseinandersetzung mit der dortigen Presse sehr interessant gewesen wäre. Aber am Ende ist ja alles nicht zustande gekommen und es wäre schon schwer gewesen, dort zu spielen.



Freut Ihr Euch denn wenigstens schon auf unsere deutschen Sommer - Festivals? Soweit ich weiß, spielt Ihr unter Anderem auf dem "Up From The Ground" und dem "Party.San".



Das wird interessant werden! Es ist immer gut für uns, wieder auf Tour zu sein. Wir haben in der Hinsicht dieses Jahr noch viel vor, denn wir müssen ja unser neues Album promoten. Ich hoffe nur, es ist dann auch schön warm…



… und falls nicht, können uns NAPALM DEATH ja ordentlich einheizen!