Interview:

2021-05-12 MOTORPSYCHO

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Bei MOTORPSYCHO sollte man ja mittlerweile daran gewöhnt sein, das Unerwartete zu erwarten. Trotzdem haben die Norweger ihre Fans völlig überrascht, als sie Mitte Februar verkündeten, schon wieder ein neues Album vollendet zu haben – und das gerade mal ein gutes halbes Jahr, nachdem der Vorgänger erschienen ist. Noch dazu kommt "Kingdom Of Oblivion" über weite Strecken mit ungewohnter Hard Rock-Kante daher. Sind das beides Auswirkungen der Corona-Pandemie? Apropos: Was treibt eine Band, deren Live-Konzerte mit ihren langen Improvisationsteilen so wesentlich für sie sind, in diesen Zeiten eigentlich? Wir haben bei Bassist und Sänger Bent Sæther nachgefragt, der uns bereitwillig Auskunft gegeben hat.Interview

Offensichtlich habt Ihr die Pandemie-bedingt tourfreie Zeit genutzt, um an Eurem neuen Album "Kingdom Of Oblivion" zu arbeiten. Was macht Ihr sonst gerade noch so?

Neue Projekte ins Leben rufen, Musik schreiben, aufnehmen … Das Übliche eigentlich, aber ohne die normalen Pausen und Veröffentlichungen. Es ist ein bisschen so, als wenn wir eine merkwürdige Art von tantrischem Rock´n´Roll praktizieren würden. Der Fokus und die ununterbrochene Konzentration auf die kreative Seite, die diese Zeit bietet, sind auf eine gewisse Art großartig, aber … etwas Wesentliches fehlt!

Gibt es außer der Corona-Pandemie noch weitere Gründe dafür, dass "Kingdom Of Oblivion" so schnell nach "The All Is One" erschienen ist?

Es ist immer gut, Musik zu veröffentlichen, solange sie neu für einen selbst ist. Wenn die Zeit zwischen dem Schreiben beziehungsweise Aufnehmen und der Veröffentlichung zu lang wird, zieht man weiter, und die Musik fühlt sich für einen … weniger relevant an. Man ist fertig … und weiter geht’s zur nächsten Sache. Ich glaube, das trifft auf alle kreativen Menschen zu: Wenn man etwas beendet hat, lässt man es hinter sich und zieht weiter. Wenn also der zeitliche Abstand zwischen der Aufnahme eines Songs und der Veröffentlichung zu groß ist, hat man schon wieder ganz viel neuen Kram geschrieben, und die Platte fühlt sich weniger echt an.

Der Großteil von "Kingdom Of Oblivion" wurde schon 2019 aufgenommen, daher wollten wir nicht länger als unbedingt nötig mit der Veröffentlichung warten. Da wir ja derzeit nicht touren und unser Publikum treffen können, dachten wir uns auch, dass es eine nette Geste wäre, den Leuten mit dem Album eine Art Postkarte zu senden und uns zu melden!

All unsere Lieblings-Bands haben pro Jahr mindestens ein Album veröffentlicht, und wir machen das auch schon seit 30 Jahren so. Das passt zu uns und unserem Workflow, und wir werden das auch weiterhin so machen, auf welche Pandemie oder Kritik oder Reaktion auch immer wir stoßen werden. Es ist ja nicht so, dass man sich das alles anhören muss, wenn es neu ist – für alle außerhalb der Band ist die Musik in einem Jahr wahrscheinlich immer noch genauso gut. Aber für uns würde das einfach bedeuten, unser eigenes System zu blockieren.

Wie ist es derzeit überhaupt so für Euch als eine Band, die normalerweise regelmäßig Konzerte spielt?

Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen wie das Fegefeuer an. Ständig müssen wir uns fragen: "Wird es klappen oder nicht?", "Findet der Gig statt oder nicht?", "Was können wir wann tun?", usw.. Etliche Projekte oder Ideen mussten verschoben oder gestrichen werden, und es ist schwierig, inspiriert und fokussiert zu bleiben, wenn etwas zum vierten Mal verschoben wurde. Und alte Ideen sind für uns wie Hausaufgaben. Also haben wir versucht, kreativ und konstruktiv zu bleiben, aber … das ist schwierig! Das einzig Gute daran, zu versuchen, etwas zu machen, ist, dass es in dem Moment allem ein Gefühl von Sinnhaftigkeit verleiht. Auch wenn nichts dabei herauskommt – es tut gut!

Ursprünglich wolltet Ihr mit "Kingdom of Oblivion" ja ein Hard Rock-Album aufnehmen, aber am Ende seid Ihr dann doch auch wieder in Psychedelic Rock eingetaucht, außerdem gibt es auch einige sehr melodiöse, Folk-inspirierte Stücke zu hören. Ist das während des Aufnahmeprozesses einfach so passiert?

Aus einem Spaß heraus ist die Idee entstanden, ein Heavy Metal-Album mit vier bis fünf Songs aufzunehmen. Aber wir haben keine Reihenfolge und auch keinen Flow gefunden, um aus diesen Stücken ein komplettes Album zu machen. Es hat sich immer halbherzig und eindimensional angefühlt, und das war uns einfach nicht gut genug. Wir fanden, dass dadurch, dass wir kleine Inseln der Ruhe eingefügt haben, die großen Rocker mehr Wirkung hatten, und die Reihenfolge, bei der wir am Ende gelandet sind, führte dazu, dass sich das Album mehr wie eine runde Hörerfahrung und ein ordentliches MOTORPSCHO-Album anfühlte, nicht nur wie eine cartooneske Genre-Übung. Man könnte dagegenhalten, dass einiges davon unnötig oder überflüssig ist, aber alles zusammen trägt für uns letzten Endes zu einem besseren Flow und einer besseren Albumerfahrung bei. Das ist dieses alte Jimmy-Page-Ding von "Licht und Schatten". Das ist tatsächlich sehr zutreffend.

Wir machen Alben, keine Tracks, daher ist diese Herangehensweise wirklich wichtig für uns. Ein Album ist ein Narrativ, in dem man die Hörer*innen durch eine Reihe von Emotionen führt. Wir sind zu eitel, um einfache Auswege und schnelle Lösungen anzustreben, was dazu führt, dass unsere Musik normalerweise weniger direkt und schwieriger auf Anhieb zu verstehen und dadurch fordernder ist. Das spricht nicht alle an, aber für uns ist das etwas, das Kunst nahekommt, und wir versuchen und geben unser Bestes, genau das zu machen.

Für uns ist es ein Hard Rock-Album. Für andere mag es zu vielfältig für diese Art von Label sein.

Wie ist denn überhaupt diese Idee entstanden, ein Hard Rock-Album zu veröffentlichen?

Unsere Arbeitsweise ist diese: Keine Idee wird zensiert. Alles, was wir an Musik schreiben, ist potentiell brauchbar. Wir arbeiten an allen Ideen, und wenn wir ins Studio gehen, bringen wir eine Menge Ideen mit, von denen wir glauben, dass sie funktionieren. Während des Aufnehmens verändern sich die Dinge immer ins Unerwartete, und am Ende haben wir ein anderes Set an Variablen, also Songs, mit denen wir dachten, ins Studio zu gehen. Dann wird die Arbeit konzeptuell: Was haben wir hier gemacht? Wovon erzählt es, was sagt es uns, und was ist die hauptsächliche Richtung? Wenn man sich auf all das fokussiert, ergeben sich manchmal verschiedene starke Stränge mit musikalischen Inhalten, bei denen man das Gefühl hat, dass sie sich gegenseitig aufheben.

Bei dem, was wir letztes Jahr gemacht haben, fühlte es sich so an, als ob das Material zu zwei verschiedenen Strängen gehörte, also haben wir alles, von dem wir dachten, es gehörte zur "Gullvåg-Trilogie", auf "The All Is One" platziert und andere Sachen zur Seite gelegt. Als wir uns dieses Material dann letztes Jahr noch einmal angehört haben, erschien es uns ungewöhnlich riffig und metallisch, daher fühlte es sich für uns wie ein Hard Rock-Album an. Unser Prozess führte dann zu "Kingdom Of Oblivion" und damit zu einer multidimensionalen musikalischen Erfahrung anstatt zu einem eindimensionalen Riff-Fest – und zu einem besseren, echteren MOTORPSYCHO-Album.

Ich denke, viele Eurer Fans zählen "The All Is One" zu Euren Meisterwerken. Habt Ihr Druck verspürt, als Ihr "Kingdom Of Oblivion" aufgenommen habt?

Nö, überhaupt nicht! Wir können nicht kontrollieren, wie Dinge aufgenommen werden, also kümmern wir uns auch nicht besonders darum. Das liegt außerhalb unseres Einflussbereichs und ist nichts, auf das wir uns in irgendeiner konkreten Art und Weise beziehen, oder das wir nutzen können. Es kommt nicht darauf an, welchen Anklang es findet – wir mussten es machen, haben es auf die Art gemacht, von der wir dachten, dass es die beste sei und ziehen jetzt weiter zu neuem Material.

Wir registrieren natürlich, wie unsere Musik aufgenommen wird, und natürlich sind wir glücklich, wenn die Leute verstehen, was wir zu machen versuchen. Aber wenn wir uns dadurch diktieren lassen, wie wir über unsere Musik denken, sind wir auf dem falschen Weg. Das ist kein demokratischer Prozess – es ist nicht so, dass die meisten Stimmen bestimmen, wo es langgeht.

"The All Is One" ist zumindest teilweise sehr komplex und herausfordernd, wobei ich da besonders an das 40-minütige Herzstück "N.O.X." denke. Glaubst Du, dass Ihr manchmal zu viel von Euren Fans verlangt?

Ganz im Gegenteil – ich denke, gerade diese Weigerung, die Erwartungen aller zu erfüllen, ist das, was die Leute an MOTORPSYCHO mögen. Es gibt in der Musik generell keine großen Bemühungen mehr, um die Hörer*innen herauszufordern. Das gilt für jede Art von Musik. Daher glaube ich, dass die Leute genau für diese Herausforderung zu uns kommen. Wenn sie diese nicht wollen, können sie sich ja etwas anderes anhören, das ist für uns völlig in Ordnung!

Für mich sind Herausforderungen eine gute Sache. Wenn ich alles in 30 Sekunden analysieren kann, langweile ich mich. Das Leben ist zu kurz, um langweilige Musik zu hören!

Außerdem – und das ist ein Geheimnis, sag das nicht weiter! – ist das alles gar nicht so komplex! Das ist alles nur Blendwerk, haha!

Mit "The Watcher" habt Ihr ein HAWKWIND-Cover aufgenommen. Schon in der Originalversion ist es eigentlich kein Rock-Song, aber Ihr lasst ihn sogar noch psychedelischer klingen – und das ausgerechnet auf einem über weite Strecken Hard Rock-inspirierten Album. Wie seid Ihr darauf gekommen?

Ich habe mir das erste MOTÖRHEAD-Album gekauft, als ich 12 war und kenne all die verschiedenen Versionen des Songs schon seit langer Zeit. Das Stück hat einen großartigen Text, der sehr gut zu den anderen Stücken auf "Kingdom Of Oblivion" passt, auch von seiner Stimmung her. Also wollten wir versuchen, es irgendwie einzubauen. Wenn Du meinst, dass es bei uns noch psychedelischer klingt, liegt das wohl daran, dass wir in das Stück die Filmmusik "The Crimson Eye" eingebaut haben, die wir vor einigen Jahren für einen animierten Film geschrieben haben. Wir mögen sie sehr und wollten sie irgendwie verwenden. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie wir darauf gekommen sind, die beiden Stücke zu kombinieren, aber das Ergebnis hat uns umgehauen.

Dieser völlig abstrakte Kram ist etwas, das wir seit "Demon Box" von 1992 immer wieder mal machen und ist ein natürlicher Teil unserer Sound-Palette. Das gilt auch für das Covern alter Lieblings-Songs. Das ist also eine Win-Win-Situation!

Das ist jetzt schon das vierte Album, das Ihr mit Tomas an den Drums aufgenommen habt, und Ihr habt ja auch schon einige Touren zusammen gespielt. Kannst Du beschreiben, wie sich die Zusammenarbeit zwischen Euch entwickelt hat?

Als Kenneth ausgestiegen ist, hat sich das verbreitet, und Tomas hat uns eine E-Mail geschickt, in der er schrieb, dass er es gerne probieren würde, wenn wir der Meinung wären, dass das eine Möglichkeit wäre. Das taten wir, und es fühlte sich gut an, und drei Monate später haben wir "The Tower" aufgenommen. Easy, wirklich!

Er ist ein sehr musikalischer Typ, der sich für Musik interessiert, nicht nur für Schlagzeug. Daher ist er auch gegenüber vielem von unserem seltsameren Kram offen. Ich glaube, er mag die Musik, die Snah und ich schreiben und mit uns abzuhängen und Musik zu machen.

Je mehr man mit jemandem zusammen spielt, desto leichter wird es, und so ist es auch hier. Wir sind mittlerweile eine ziemlich wilde kleine Rock-Combo, und wir alle mögen, wo wir gerade sind. Es fühlt sich an, als wären wir an einem guten Ort, was ein bisschen merkwürdig ist, weil unsere Welt zurzeit so seltsam ist, aber so ist es.

Was sind Eure Pläne für die Zukunft? Bereitet Ihr Euch schon für die Zeit vor, wenn Live-Shows wieder möglich sein werden, oder plant Ihr eine Streaming-Show? Oder schreibt Ihr schon an neuer Musik?

Ja, nein und ja! Demnächst werden wir einige lokale Gigs spielen, falls die Pandemie nicht wieder zuschlägt. Daher proben wir dafür und auch für einige andere Shows in Norwegen, die für diesen Sommer geplant sind. Für den Herbst sind auch einzelne Shows in anderen europäischen Ländern geplant, und ich hoffe, sie können stattfinden. Es hängt eben alles von der Pandemie und den Impfungen und all dem ab. Eine richtig große Europa-Tour ist für dieses Jahr nicht gebucht worden, aber 2022 sollten wir wieder da draußen unterwegs sein. Lasst uns dafür die Daumen drücken!

Wir schreiben und nehmen auch auf, das haben wir den ganzen Winter über gemacht. Aber wir haben noch nicht herausgearbeitet, was wohin kommt und was es überhaupt ist. Aber letzten Endes wird sich das zeigen. Da bin ich sicher. Das tut es immer.

Keine Streaming-Pläne. Dieser Kram sieht immer so billig und lahm aus. Daher: lieber nicht. Warum sollte man noch mehr mittelmäßigen Content auf YouTube hinzufügen? Nee … Wir haben unseren Teil geliefert, also werden wir hierbei aussetzen.

Rock on!



Motorpsycho