Interview:

2010-02-04 Motorpsycho

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Letztes Jahr konnten die Norweger MOTORPSYCHO ihr 20-jähriges Bestehen feiern. Über die Jahre haben sie sich eine eingeschworene und zu 100 Prozent treue Fan-Gemeinde erspielt, und das, obwohl sich ihr Sound immer wieder stark verändert hat. Angefangen bei einer Art Metal-Grunge über Alternative und Psychedelic Rock bis hin zu Hippie-Pop, sind sie sich im Grunde aber immer treu geblieben, weil sie immer genau das gemacht haben, worauf sie gerade Lust hatten. Vor dem Konzert im Schweizerischen Freiburg im November letzten Jahres unterhielt ich mich mit Gitarrist Hans Magnus Ryan alias Snah über die Vergangenheit, aber auch die Zukunft der Band.Interview

Ihr feiert ja mit dieser Tour das 20-jährige Bestehen von MOTORPSYCHO. Als ihr angefangen habt, hättet ihr da gedacht, dass es die Band 20 Jahre später noch geben würde?

Überhaupt nicht. Wir hatten gar keine Ambitionen, so lange zu bestehen. Und immer noch machen wir nur Pläne für die nächsten sechs Monate. Wir halten uns an kurzfristige Planung, so dass wir nicht ständig diese unermessliche Zukunft vor uns haben, die viel von unserer Energie blockiert. Das macht nur schlechte Laune. Wir wollen viele verschiedene Dinge tun, und deshalb ist es völlig okay, nicht zu viele Pläne im Voraus zu haben. Für uns war es sicher wichtig, dass wir nie langfristig geplant haben, damit wir so lange als Band bestehen konnten.

Über die Jahre hat sich euer Sound immer wieder verändert. Was sind für dich die hauptsächlichen Veränderungen?

Wir verwenden alles, jedes Werkzeug aus unserer Werkzeugkiste. Jede Möglichkeit, die wir umsetzen können, müssen wir in unserer Musik verwenden, ohne Rücksicht auf den Stil. Alles ist möglich, und wir haben uns nie irgendetwas verschlossen. Die letzten Alben sind wieder mehr in Richtung Rock gegangen, und ich glaube, das ist auch richtig so. Das ist das, was wir derzeit am besten können. Und wir tun immer das Beste, das wir können, in jedem Augenblick, unabhängig von Genre oder Stil.

Was waren anfangs eure musikalischen Einflüsse? Und welche sind es heute?

Unser musikalischer Background war anfangs Hard Rock und Heavy Metal. Ich habe Gitarre spielen gelernt mit DEEP PURPLE, BLACK SABBATH, all dem üblichen Heavy-Kram. In meiner Heimatstadt konnte ich keine anderen Platten bekommen, wir hatten nur einen wirklich schlechten Plattenladen, also bin ich bei Heavy Metal gelandet. Aber über die Jahre hat sich das verändert, denn ich verließ meine Heimatstadt und lernte neue Freunde kennen, die größere Plattensammlungen als ich hatten. Ich wurde in eine andere Art musikalischen Denkens hineingezogen, habe immer wieder neue Musik erlebt. Die Einflüsse ändern sich kontinuierlich. Jetzt bin ich wieder dabei, viel Rock-Musik zu hören, denn mein 12-jähriger Sohn spielt viel AC/DC und JUDAS PRIEST und all so was. Und ich mag das wirklich sehr! Auch IRON MAIDEN und die RAMONES… Es gab auch eine Zeit, wo ich nur Jazz gehört habe. Und einige Zeit war ich auch von klassischer Musik fasziniert, einfach, weil ich nicht imstande war, so etwas zu spielen. Ich wurde vom Unbekannten angezogen. Ich höre auch viel Ambient und Techno. Es ist wirklich ein Mischmasch aus allem, unabhängig von Stil oder Genre. Es gibt für mich keine intellektuellen oder politischen Gründe, irgendetwas nicht zu mögen. Ich möchte auf Musik aus dem Bauch heraus reagieren und nicht darüber nachdenken, warum ich es mag oder nicht. Sonst kann ich nichts erlauben, mich zu beeinflussen. Das gilt auch genauso für Film und Literatur. Das alles ist einfach ein riesiges Universum. Ich bin nicht wirklich nur ein Metal- oder Punk Rock- oder Prog-Head. Wir sind facettenreiche Menschen.

Was hat sich in den letzten 20 Jahren außer eurer Musik noch für euch verändert?

Es ist schwierig, genau zu bestimmen, was sich verändert hat. Die Musik ist natürlich in alle möglichen Richtungen geflossen, da gab es über die Jahre viele „twists and turns“. Wir haben uns aber auch als Menschen verändert. Wir sind jetzt in den 40ern, ich und Bent zumindest, unser Drummer Kenneth ist erst 30. Wir haben Veränderungen um die Band herum und im Musik-Business wahrgenommen. Wir haben Bands kommen und gehen sehen, ihre Wiedervereinigungen und Comebacks, wir haben gesehen, wie das Musik-Business alle drei Jahre kollabiert. Vielleicht sind wir auch nicht mehr so blauäugig, haben keine Illusionen mehr darüber, wie die Dinge laufen. Wir haben einen gewissen Realitätssinn entwickelt. Und wir sind mehr praktisch orientiert geworden. Anstatt Zeit mit sinnlosen Grübeleien zu verschwenden, packen wir die Dinge an, machen unsere Arbeit und machen sie ernsthafter als früher. Und natürlich haben sich auch unsere Lebenssituationen als Privatpersonen verändert. Das hat wiederum beeinflusst, was wir als Künstler getan haben. Die Situation in der „Homebase“ ist überhaupt entscheidend dafür, wie das Ergebnis unserer Musik ausfällt. Was sich nicht verändert hat, sind die Motive dafür, Musik zu machen. Die Motivation blieb als eine Konstante, und auch unsere Situation. Wir sind wirtschaftlich nicht etabliert, aber gleichzeitig sind wir unabhängig, und wir konnten über die Jahre immer diesen unabhängigen Kurs beibehalten. Gleichzeitig behalten wir unsere Stabilität als unabhängige Arbeitseinheit bei. Musik ist für uns immer noch eine Leben-oder-Tod-Situation, auf der Bühne wie im Studio. Wir stehen immer noch unter Strom, wenn wir unsere Musik spielen.

Gibt es ein Album von euch, das du als das beste bezeichnen würdest?

Das letzte Album, das wir aufgenommen haben: „Heavy Metal Fruit“. Das ist das beste MOTORPSYCHO-Album. Es ist ein absoluter „Motherfucker“. Es ist abgefahren und völlig trippig. Wirklich tighte, schwere Songs mit schönen Melodien und extremem Jamming.

Gibt es auch ein Album, das du im Nachhinein nicht magst?

Natürlich gibt es auch eine Menge Kram, den ich nicht mehr mag. Aber es sind eher einzelne Takes oder Songs, die sich als nicht wirklich gut herausgestellt haben. Ich weiß jetzt im Nachhinein, dass es sich ausgezahlt hätte, wenn wir mehr an so etwas gearbeitet hätten. Um das Jahr 2000 herum haben wir ein paar Pop-Alben gemacht. Es stellte sich heraus, dass sie live wirklich schwierig umzusetzen waren. Wir hatten Schwierigkeiten, diese Songs für die Bühne zu übersetzen, denn sie waren so detailliert und vielschichtig, und es war schwierig, die Arrangements live zu spielen. Das war keine gute Erfahrung, und es war unbefriedigend für uns. Ich denke, dass diese Alben immer noch gute Alben sind, aber sie sind daran gescheitert, dass wir nicht rausgehen und sie gut live spielen konnten. Das war eine Enttäuschung. Aber ein Album herauszupicken, das ich nicht mag, das kann ich nicht, das wäre zu hart.

Euer letztes Album „Child Of The Future“ wurde nur auf Vinyl veröffentlicht. Warum?

An erster Stelle aus rein ästhetischen Gründen. Wir dachten, das wäre eine rundum perfekte Sache, die Verbindung des Artworks mit dem tollen Sound. Wir haben überhaupt nicht in Erwägung gezogen, das Album als CD zu veröffentlichen, denn die Idee einer Vinyl-only-Veröffentlichung hat uns völlig begeistert. Letzten Endes hat das aber einige Aufregung verursacht, zumindest in Norwegen. Viele Leute waren sauer, haben uns als elitär und arrogant bezeichnet und sogar als Wichser und Arschlöcher beschimpft. Aber auf der anderen Seite ist gerade das auch cool, dass die Leute anfangen, über ihre eigene Rolle als Konsumenten nachzudenken. Denn wir kaufen alles über das Internet, in all diesen minderwertigen Formaten mit wirklich schlechtem Sound. Und wir zahlen auch noch bereitwillig Geld dafür. Ich finde, dass es Zeit dafür ist, dass die Leute gute Formate für Musik verlangen – wie man sie ja auch für Filme hat, wie DVD und Blu-ray. Auch für Musik brauchen wir die hochauflösenden Formate, und das gibt es ja auch, aber ein wirklich guter CD-Player ist sehr teuer, und High-Resolution-CDs sind nur eine Sache für Spezialisten. Diese Vinyl-Veröffentlichung von „Child Of The Future“ war daher eine coole Sache. Sie hat diese Art von Diskussion provoziert, speziell in Norwegen. Und außerdem sind die Vinyl-Verkäufe generell während des letzten halben Jahres in Norwegen gestiegen, und es wurden auch mehr Plattenspieler verkauft. Dieses Format ist aufgrund seiner klanglichen Überlegenheit einfach zeitlos.

Für „Child Of The Future“ habt ihr in den USA Gitarren-, Bass- und Schlagzeugspuren aufgenommen und diese dann in Norwegen zu Songs verarbeitet. Sucht ihr nach neuen Wegen, Songs zu schreiben?

Auf jeden Fall. Und diese Art von Prozess war ziemlich überraschend. Wir wurden gefragt, ob wir auf einem Festival in den USA spielen würden, und das haben wir mit einer Aufnahme-Session in Steve Albinis Studio „Electrical Audio“ in Chicago verbunden. Wir hatten nur rudimentäre Formen der Songs, sie waren noch in keiner Weise fertig, und es gab noch überhaupt keine Texte. Aber wir hatten einige gute Riffs, ein paar Melodien und Ideen für Arrangements. Wir haben drei Tage lang aufgenommen, und das Ergebnis war etwa eine Stunde Musik. Wir nahmen die Aufnahmen mit zurück nach Norwegen und vergaßen sie für ein halbes Jahr. Dann begannen wir, uns das Material wieder anzuhören und erkannten irgendwann, dass es die Möglichkeit bot, ein komplettes Album daraus zu machen. Wir brauchten nur einige zusätzliche Ideen und mussten noch ein paar Melodien und Texte schreiben. Wir haben dann etwa eine Woche in Trondheim damit verbracht, zusätzliche Parts und Overdubs aufzunehmen. Und plötzlich war das Album auf einmal fertig, ziemlich aus heiterem Himmel. Das war eine tolle Sache, und es war auch sehr cool, mit Steve Albini zu arbeiten. Wir waren in einer neuen Situation, und unsere Vorgehensweise hat sich als gut erwiesen, denn neue Dinge sind passiert. Es war alles andere als Routine-Arbeit und sehr inspirierend.

Ihr spielt bei jeder Show eine andere Setlist. Wann stellt ihr sie jeweils auf?

Auf die Setlist einigen wir uns etwa zwei Stunden vor der Show. Danach müssen wir herausfinden, welche Tunings die Songs haben und müssen die Gitarren entsprechend für die Show vorbereiten. Die Setlist hängt immer davon ab, in was für einer Stimmung sich jeder einzelne befindet. Heute sind wir alle krank und erschöpft, also kann es gut sein, dass es eine Space-Night wird.

Auf der Bühne jammt ihr viel. Wie groβ ist jeweils der Anteil an Improvisation und festgelegten Parts?

Das hängt vom jeweiligen Song ab. Manchmal haben wir in einem Song z. B. eine Strophe, einen Chorus und eine Bridge, und die verlängern wir und gehen auf einen kleinen musikalischen Spaziergang, um dann wieder zur Strophe oder zum Chorus zurückzukehren. Manchmal verwenden wir nur ein kleines Detail eines Songs als Ausgangspunkt für irgendwas, das passieren wird, wir wissen das oft selbst nicht. Das ist immer wieder eine extreme Herausforderung. Man muss auf der Bühne ständig absolut wach sein, die Ohren offen halten und sehr flexibel sein, um Dinge aus dem Stehgreif zu erfinden. Es kann vorkommen, dass bei einer Show von anderthalb Stunden eine Stunde davon reine, auf Songs basierende, Improvisation ist. Normalerweise ist etwa die halbe Show rein improvisiert oder „jammed out“, oder wie immer man es nennen mag. Wir haben unsere eigene Art, unser Repertoire zu spielen. Und wir kennen einander sehr gut, zwischen uns gibt es großes Vertrauen. Es ist eine Art musikalischer Extremsport. Man kann dabei nicht verletzt werden, aber es kann alles auseinander fallen. Es ist ein großes Risiko, das man auf sich nimmt. Ich denke, das ist auch das, was diese Band wirklich besonders macht. Wir heben uns dadurch ab, dass wir dieses Risiko auf uns nehmen. Ich würde diese Haltung gerne auch bei anderen Rockbands sehen. Im Jazz ist das ja normal. Es gibt so vieles, das man mit den Instrumenten machen kann. Natürlich basieren unsere Improvisationen vor allem auf dem Songwriting, da ist immer die Verbindung zu unserem Material. Also… wir haben immer einen Plan! Ha ha…

Wie sieht die Musik-Szene in Trondheim aus? Gibt es eine groβe Band-Szene?

Als wir angefangen haben, gab es dort fast keine Bands. Und vor allem gab es kaum Bands, die außerhalb Norwegens gespielt haben. Das hat sich in den letzten fünfzehn, zwanzig Jahren stark verändert, wie auch die Anzahl der Bands in Norwegen überhaupt extrem angestiegen ist. In Trondheim habe ich viele Freunde, die in verschiedenen Bands spielen. Ich helfe immer mal wieder in anderen Bands aus, spiele ein bisschen Gitarre auf einem Song, produziere ein Album oder nehme für ein Projekt irgendwelche seltsamen Geräusch-Tapes auf. Da gibt es also viel Austausch, für mich persönlich speziell seit ungefähr fünf Jahren. Trondheim hat aufgrund seines Musikkonservatoriums auch eine wirklich gute Jazz-Szene. Es gibt es eine gewaltige Anzahl extrem guter Musiker, die aus dem Konservatorium kommen. Unseren Drummer Kenneth haben wir auch von dort. Aber viele Bands, die durch Europa reisen oder so, gibt es heute eigentlich immer noch nicht. Vielleicht sind die Jazz-Bands internationaler ausgerichtet und arbeiten mehr außerhalb Norwegens als die Rock-Bands.

Wird es eine weiteres „Roadwork“-Album geben?

Wir nehmen seit Jahren jede Show, die wir spielen, digital auf 24 Spuren auf, und vorher haben wir alles auf digitalen 8 Spur-Tapes aufgenommen. Derzeit arbeiten wir an einem Plan, wie wir damit umgehen. Die Bezeichnung „Roadwork“ werden wir sicher beibehalten, aber wir wissen noch nicht, ob es weiterhin physische Veröffentlichungen, also auf CD oder Vinyl, geben wird. Vielleicht wird es eher so sein, dass man stattdessen im Internet komplette Shows runterladen kann. Bei dieser gewaltigen Menge an Live-Shows, die wir in den letzten zehn Jahren angesammelt haben, ist es fast unmöglich, diesen oder jenen Song auszuwählen und unabhängige Veröffentlichungen zusammenzustellen. Ich denke, schöner wäre es, die Konzert-Mitschnitte abzumischen und sie den Leuten zum Download zur Verfügung zu stellen. Dann können sie das komplette, ungeschnittene Konzert hören, mit allem Drum und Dran. In den 90ern, als die „Roadwork“-Alben herausgekommen sind, hatten wir diese Möglichkeit noch nicht. Und wir hatten auch nicht die Zeit und Energie, um die Reihe fortzusetzen. Angesichts der Hunderten von Konzerten, die wir aufgenommen haben, ist allerdings noch eine enorme Arbeit zu leisten.

Ihr spielt ja im Mai schon wieder eine Deutschland-Tour. Das sind also keine Zusatztermine zur laufenden Tour, sondern es ist die reguläre nächste Tour zum neuen Album?

Ja! Im März gehen wir in Norwegen auf Tour, zusammen mit dem Improvisations-Trio SUPERSILENT. Diese Tour wird aber mit dem neuen Album nichts zu tun haben, es wird etwas völlig anderes sein, und es wird nur improvisierte Musik sein. Und dann wird es eben noch eine Tour im Mai geben, auf der das Album supportet wird, wo wir dann wahrscheinlich … äh… Songs vom Album spielen werden. Ha ha… Ich weiß noch nicht, wie das laufen wird. Wir müssen noch einige musikalische Probleme lösen, bevor wir auf diese Tour gehen.



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