Interview:

2005-07-12 Integrity

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INTEGRITY kommen ursprünglich aus Cleveland/Ohio und haben von dort aus Metal-Geschichte geschrieben: Die erste Hardcore-Band, die ihren Hardcore gleichzeitig mit Dunkelheit und Melodie würzte. Mit der Dunkelheit haben Bandkopf Dwid Hellion und seine später nur noch durchrotierenden Sidekicks es teilweise übertrieben, weite Teile der Bandhistorie sind Mythos oder Legende. Ein wenig Licht ins Dunkel bringt Dwid im 32-seitigen Booklet der in Kürze erscheinenden Compilation "Sliver In The Hands Of Time". In Benelux wird "Sliver..." auf Goodlife erscheinen, für Deutschland und um zu haben sich Dockyard 1 die Rechte gesichert.InterviewHallo Dwid. Was für Songs sind auf dieser Compilation enthalten, um was für Raritäten handelt es sich?


Zunächst einmal bin ich selbst sehr gespannt auf die Veröffentlichung von "Sliver In The Hands of Time". Ed (der Chef von Goodlife Recordings - Anm. d. laetti) ist ein guter Freund von mir und ich bin glücklich, dass ich endlich etwas bei ihm auf dem Label rausbringen kann. Auf "Sliver" sind Songs vertreten, die ursprünglich auf 7-Inches und Samplern veröffentlicht wurden und jetzt schon länger nicht mehr im Handel sind. Es sind nicht alles B-Seiten und nicht jeder Song ist wirklich rar, aber der Oberbegriff stimmt schon. Ich hatte vor Jahren mal ein eigenes Label namens Dark Empire, und während dieser Zeit habe ich eine Reihe von limitierten Editionen in sehr kleinen Auflagen rausgebracht, so in 500er bis 1000er Stückelungen. Einige dieser Songs sind jetzt auf "Sliver in The Hands Of Time". Und außerdem eben noch ein paar andere Songs, die nur in kleiner Auflage veröffentlicht wurden.


Dwid ist vor eineinhalb Jahren aus den USA nach Belgien gezogen. Eine kleine Weile, aber auch noch nicht so lange her. Also nehme ich mal an, dass du immer noch neue Eindrücke sammelst, wenn du in Europa unterwegs bist?


Na klar! Es ist ein großer Unterschied, ob du hier lebst oder nur mit einer Band durch den Kontinent hetzt. Mal abgesehen davon, dass man hier nicht dauernd angeschrieen wird, man solle seinen Arsch zurück in den Bus befördern um schneller in die nächste Stadt zu kommen. Wenn du mit einer Band auf Tour bist, bekommst du viel zu wenig von der Umgebung und der Kultur mit, denn du musst schon wieder in den Bus und weg von hier.


Hast du denn jetzt mehr Zeit? Zum Beispiel für die alten flämischen Maler des 16. Jahrhunderts?


Erwischt. Ich war schon immer ein großer Fan der flämischen Schule, schon bevor ich hierher gezogen bin. Ich bin schon lange ein großer Fan von Bosch und Breughel und Jan van Eyck, ich begeistere mich schon sehr lange für deren Werk.


Hattet ihr nicht sogar mal ein Gemälde von Hieronymus Bosch als Plattencover? Und von wem ist das Cover von "Sliver..."?


Wir haben für unser Debüt-Album "Those Who Fear Tomorrow" das Bosch-Gemälde "Die Versuchung des St. Antonius" benutzt. Das heißt, auf der Original-Pressung war ursprünglich das Bild "Painting 1946" von Francis Bacon abgebildet. Allerdings starb er leider genau zu der Zeit, zu der das Album heraus gebracht werden sollte (Francis Bacon starb am 28.04.1992 - laetti). Vorher hatten wir uns nicht einen Deut um rechtliches geschert und hatten natürlich keine Erlaubnis, das Bild zu benutzen. Unerwartet hat sich das Album dann gut verkauft und wir hatten ganz plötzlich einen hart arbeitenden Vertrieb im Nacken, also haben wir es mit der Angst bekommen, dass sich eventuell plötzlich der Anwalt der Hinterbliebenen melden könnte. Also haben wir das Cover geändert und das Bild von Bosch benutzt. Das Cover von "Sliver" habe ich selbst gestaltet, für die Vorderseite habe ich einige Sachen von Albrecht Dürer verfremdet, auf der Rückseite ist ein Detail aus dem Bosch-Gemälde "Das Schlaraffenland".


Bosch war ein Visionär und seiner Zeit weit voraus. Hast du dich intensiver mit ihm beschäftigt?


Seine Bilder sind so unglaublich detailliert. Man hat so viele kleine Einzelheiten, an denen man sich Stunden lang aufhalten kann - kleine Charakterisierungen, die Landschaft, darin wiederum neue Details. Jedes Mal, wenn man es sich anguckt, sieht man etwas neues. Thematisch beschäftigt er sich mit der Offenbarung, also dem letzten Buch der Bibel. Bilder über das Ende der Welt und das Jüngste Gericht. Ich habe zu seiner Bilderwelt eine innige Beziehung.


Ich dachte immer, Bosch sei einer der ersten gewesen, der eben nicht ausschließlich im Auftrag der Kirche gemalt hat und daher auch außerhalb dieses Kontextes böses gemalt hat, oder?


Nein, er hat im Auftrag der Kirche gemalt, seine gewagten Figuren sollten das Gute und das Böse ausdrücken. Er hat das Böse nicht unterstützt, aber dargestellt.


Es gibt nicht wenige Leute, die INTEGRITY ebenfalls als Visionäre sehen. Zu Beginn des aktuellen Metalcore-Hypes konnte man eigentlich täglich lesen, dass sich irgendeine weitere Band auf INTEGRITY als Einfluss berufen hat. Wie beurteilst du den aktuellen Metalcore-Hype? Teilweise hat sich die Hälfte davon auf euer Album "Humanity Is The Devil" als entscheidenden Einfluss auf ihr jugendliches Gehör bezogen.


Oh, das wusste ich gar nicht, das macht mich verlegen. Wir haben damals die Platten gemacht, die ausdrücken sollten, wie wir uns gefühlt haben. Besonders "Humanity" war etwas, das ich unbedingt ausprobieren wollte. Ich habe damals versucht, ein Album nach einer durchgehenden Geschichte zu schreiben. Um es ein mehrdimensionales Erlebnis zu machen, lag damals der ersten Auflage von 3000 Stück ein Buch bei, dass sich näher mit dem Thema beschäftigte, und ich hatte damals ein Thema, das sich durch alle Songs zog. Ich fühlte mich wie auf den Spuren von KING DIAMOND.


Hast du mal wieder Kontakt zu den Jungs aus der "Humanity" Besetzung?


Der Gitarrist und Hauptsongwriter auf "Humanity Is the Devil", Aaron Melnick, hat jetzt zusammen mit einem Freund ein eigenes Label für Lo-Fi Punk und es heißt Non-Commercial Records. Wenn ich das richtig verstanden habe, sind die beiden komplett gegen kommerziell veröffentlichte Musik, also die gesamte Musikindustrie in Bausch und Bogen. Der andere Gitarrist Frank spielt bei TERROR und ist damit ja auch recht erfolgreich. Und die neue Band unseres Schlagzeugers Chris Dora heißt SOULLESS.


Schreibst du im Moment neue Songs oder...?


Ich schreibe immer an irgendetwas. Jetzt gerade arbeite ich an einem Plan, mit dem ich einige Kurzgeschichten, die ich geschrieben habe, zusammenfassen möchte. Natürlich haben diese etwas mit dem Horror-Genre zu tun, vergleichbar mit Edgar Allen Poe, ganz klassischer Horror, geheimnisvolle Geschichten. Dann habe ich vor, diese Geschichten in Songs zu übertragen, aufzunehmen, die Story zum Song zu filmen und mit der Musik zu synchronisieren. Und daraus soll dann eine Serie von Kurzfilmen werden.


Was inspiriert dich denn im Moment?


In der Vergangenheit habe ich immer in einer Form von Prosa geschrieben, die den Leuten erlaubt hat, die Geschichten für sich selbst so zu verstehen, wie sie sich fühlen. Die Leute konnten also total verschiedene Bedeutungen in ein und demselben Song erkennen, je nach ihrer eigenen Situation. Jetzt schreibe ich Kurzgeschichten, das schränkt diese Freiheit natürlich ein. Ich kann nicht so viel Platz für Interpretationen lassen, denn ich will ja die Geschichte erzählen, aber ich lasse Platz für Illusionen, baue Referenzen ein und lasse Platz für andere Wege, in die die Geschichte weitergehen könnte. Diese Kurzgeschichten befassen sich mit Horror im weitesten Sinne. In London gibt es ein Metal Magazin, das heißt Zero Tolerance. Dort habe ich meine regelmäßige Kolumne, und darin habe ich angefangen, meine Kurzgeschichten zu erzählen. Aber du hast mich nach meiner Inspiration gefragt, und das sind im Prinzip die kleinen Ideen, die ich im Kopf habe wenn ich durch meinen Tag gehe, und ich schreibe mir immer wieder kleine Notizen dazu, bis ich das Gesamtbild in meinem Kopf zusammensetzen kann. Dann seziere ich diese kleinen Schnipsel noch einmal und versuche sie wie ein Puzzle neu zusammen zu setzen um dadurch zu erfahren, was mein Unterbewusstsein mir erzählen wollte. Daraus setze ich dann die Story zusammen und gebe ihr einen Fluss. Der Gedanke hinter meinem neuen Projekt ist der, die Geschichte, die Musik und die bewegten Bilder dazu zusammenzufassen. Als Kind war ich ein großer Fan von Radiohörspielen mit Vincent Price oder Orson Welles in der Hauptrolle, das sind meine Vorbilder, nur versuche ich, Bilder dazu zu addieren.


Horror, das Böse, die dunkle Seite, das sind Dinge, die dich immer noch ganz generell interessieren, stimmts?


Ja, definitiv. Gerade vor zwei Tagen hat mich meine Mutter gefragt, warum. Es war schon immer meine Leidenschaft, so lange ich denken kann.


Und das hat sich über die vergangenen 15, 20 Jahre nicht verändert?


Seitdem ich ein kleines Kind war, bin ich vom Horror-Genre fasziniert. Die ersten Filme, an die ich mich erinnern kann, waren Horror-Filme. Ich mag keinen Splatter, ich für mich sollte ein Film im Sinne einer "gothic romance" sein. Ich schätze Filme, bei denen die Story im Vordergrund steht - vor Schock-Effekten oder Nacktheit. Blut und Gedärme werden doch oft nur ins Bild geschmissen, um von der schwachen Story abzulenken. Ich bin ein großer Fan von Hammer, den alten Universal-Horrorfilmen und Roger Corman.


Letzte Frage: Wovor hast du selbst Angst?


Ich habe Angst vor der Zeit. Ich befinde mich in einem ständigen Wettrennen mit der Zeit, und mir kommt es vor, als könnte ich nicht gewinnen.




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