Interview:

2020-04-28 Hard Rock, Stunts und Holz hacken (Jessica Wolff)

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Das finnische Mulitalent Jessica Wolff hat dieser Tage mit "Para Dice" eine mehr als überzeugende neue Scheibe veröffentlicht. Außerdem hat sie als Stuntfrau und Kampfsportlerin sicherlich auch noch andere spannende Dinge zu erzählen. Gründe sie aus der Idylle ihrer Insel vor den Rechner zu bitten gibt es also mehr als genug.Interview

Das neue Album „Para Dice“ klingt um einiges heavier als die vorhergehenden Alben. War das eine bewusste Entscheidung nach der Tour für „Grounded“?

Ja, das war es. Unser Livesound ist heavier als er auf dem letzten Album war. Es fühlte sich einfach mehr nach mir und den anderen Bandmitgliedern an, dass neue Album mehr nach unserem Bühnensound klingen zu lassen. Ich bin nach wie vor mit den ersten beiden Alben sehr glücklich, aber nun habe ich wirklich den Stil gefunden, der am besten zu mir passt.

War es kompliziert die richtige Balance zwischen einem härteren Sound und den typischen melodischen Elementen, für die du bekannt bist zu finden?

Nein, das war überhaupt nicht schwierig. Ich habe meine Art Songs zu schrieben nicht verändert und auch die Songwriter, mit denen ich zusammengearbeitet habe, sind zum größten Teil dieselben. Die Demos klingen auch noch poppig, aber mit den magischen Händen meines Produzenten und meiner anderen Bandmitgliedern haben wir die Songs richtig schön „aufgerockt“.

Auf den ersten Blick wirkt Jessica Wolff wie ein Soloprojekt, schaut man aber genauer hin scheint ihr eine richtige Band zu sein. Wie groß ist denn der Einfluss der einzelnen Mitglieder und hat das Touren euch geholfen zusammen zu wachsen?

Das Touren hat uns definitiv geholfen als Band zusammen zu wachsen.

Jessica Wolff war immer schon ein Soloprojekt. Aber ohne meine Jungs wäre es nicht dasselbe und ohne sie könnte ich es auch gar nicht machen. Ich kümmere mich um einen Großteil des Songwritings, mache die Promotionarbeit, organisiere die Touren, kümmere mich um die Proberäume etc. aber ohne sie wäre sowohl der Live- als auch der Studiosound komplett anders. Sie haben im Studio auch viel freie Hand und können sich dort einbringen.

Kannst du dich an ein paar besondere Momente während der Tour für „Grounded“ erinnern?

Das HEAT Festival war das absolute Highlight.

Ich hatte jeden Tag mit den Jungs aus der Band so viel Spaß. Im Prinzip haben wir die ganze Tour durchgelacht.

Ich erinnere mich auch noch sehr gut an die erste Show. Ich hatte eine Nasennebenhöhlenentzündung und obendrauf dann auch noch einen entzündeten Zahn mit den wohl heftigsten Schmerzen, die ich in meinen Leben jemals gefühlt habe. Und kurz bevor ich auf die Bühne musste, gab mein In-Ear den Geist auf, welches 7 Jahre tadellos funktionierte.

Hätte mich jemand vor der Tour gefragt, ob ich unter solchen Umständen würde auftreten können, hätte ich „no chance“ gesagt. Aber in solch einem Moment kannst du nicht viel machen. Also bin ich raus auf die Bühne und habe festgestellt, dass ich eigentlich nicht hören kann. Aber wir waren super vorbereitet und eingespielt und ich konnte die Schwingungen spüren und mein Körper wusste was er zu tun hatte. Dieses über Grenzen gehen, war ein sehr wichtiger Schritt für mich. Danach hatte ich das Gefühl, dass ich alles schaffen kann.

Lass uns über die Texte auf „Para Dice“ sprechen. Es hat den Eindruck, dass die meisten deiner Texte sehr persönlicher Natur sind. Ist es schwer für dich diese privaten Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen?

Normalerweise beginnt es mit einem Gefühl, Gedanken oder einer Erfahrung. Aber sobald der Song selbst die Kontrolle übernimmt, gebe ich mich meiner Fantasie hin und lasse mich auf meinen Gefühlen treiben. Alle meine Songs haben eine Verbindung zu meinem wahren Leben.

Ich denke es ist wie das Einfangen eines Gefühls, um ihm dann seine eigene Geschichte zu geben

Aber andere Songs wiederum handeln direkt von meinem Leben, so wie „Sunny Side Of Bay“ zum Beispiel. Nahezu jedes Wort kommt aus meinem Leben. Ich habe es für meinen Mann geschrieben, wie sehr ich ihn auf Tour vermisst habe und wie sehr ich wünschte er hätte bei mir sein können.

Verwendest du auch Geschichten, die du Beispielsweise von Freunden erzählt bekommst?

Ja, das mache ich. Aber ich muss eine Verbindung zu der Geschichte haben und ich muss die dort enthaltenen Gefühle verstehen. Ich denke, man würde es auf der Bühne sehen, wenn ich den jeweiligen Song nicht „fühlen würde“.

Ist es wichtig für dich, dass andere Menschen sich in deinen Texten wiederfinden können?

Ja, ich möchte immer, dass meine Texte eine gewisse Tiefe oder verschiedene „Ebenen“ haben. Es ist immer mein Ziel die Menschen emotional zu berühren und sie auf ihre Weise eine Verbindung zu meinen Texten finden zu lassen. Ich habe immer das Gefühl, dass ein Song nicht komplett ist, bis die Message der Texte mit dem Sound des jeweiligen Songs zusammenpassen.

Wer ist zum Beispiel Ella aus „Ella’s Song“?

Ella ist ein Mädchen, mit der ich über eine Wohltätigkeitsorganisation in Kontakt kam. Ihre Mutter versuchte über die Organisation etwas Geld für Ellas Hobby zu bekommen. Ella wurde in ihrer Schule so sehr gemobbt, dass sie sich nicht einmal mehr traute überhaupt das Haus zu verlassen. Ihr Schicksal berührte mich so sehr, dass ich ihre Mutter kontaktierte und anbot vorbei zu kommen, um mit Ella Zeit zu verbringen. Wir gingen spazieren, machten Sport zusammen und redeten. Nach einiger Zeit öffnete sie sich und sie erzählte mir ihre Geschichte. Irgendwann durchfuhr mich die Idee einen Song über sie schreiben zu müssen wie ein Blitz. Sie war davon begeistert. Also schickte ich während des Songwritings im Studio immer wieder den Text, um abzuklären ob er zu ihren Gefühlen passen würde.

Es geht ihr Heute viel besser aber wir haben immer noch regelmäßigen Kontakt.

Habe ich das richtig verstanden, dass deine Mutter den Text zu „Strangers“ geschrieben hat?

Ja! Das muss so 2007 oder 2008 gewesen sein.

Sie hat schon immer meine „Balladen-Stimme“ geliebt. Ich begann mit Pop/Rock als ich 17 war. Sie ist Schriftstellerin und ich fragte sie, ob sie für mich und meinen guten Freund Janne Rintala (welcher auch ein großartiger Komponist ist) eine Ballade schreiben könnte. Eines Tages, während der „Grounded“ Tour, trank ich ein paar Bierchen mit Nico von unserem Label. Wir unterhielten uns über das nächste Album und hörten uns einige alte Demos von mir an. Als Nico „Strangers“ hörte, meinte er, dass dieser Song auf jeden Fall auf dem nächsten Album landen muss. Ich war sehr glücklich darüber, wenn auch sehr überrascht. Der Song liegt mir ziemlich am Herzen aber meine ehemaligen Manager und meine alten Labels haben ihn immer abgelehnt. So, vielen Dank Nico und Mom.

Du bist nicht nur eine Sängerin und Texterin; du bist ebenfalls eine Kampfsportlerin und Stuntfrau. Es wirkt als wärest du ein Adrenalinjunkie. Sind die Gefühle auf der Bühne mit denen vergleichbar, die du hast, wenn du einen Stunt ausführst?

Die Bühne ist extremer als Free Diving oder wenn du einen Stunt machst. Stuntkämpfe sind sehr physisch und machen eine Menge Spaß. Wenn etwas daneben geht, dann hörst du ein lautes „Cut“ und du musst es dann eben nochmal machen. Aber auf der Bühne zu sein ist wie von einer Klippe zu springen oder in einer Höhle zu tauchen. Wenn du einmal losgelegt hast, dann gibt es kein Zurück mehr. Keiner ruft „Cut“ und du bekommst eine zweite Chance. Außerdem darf man die Energie, die vom Publikum kommt, nicht vergessen. Das ist wirklich magisch.

Auf der Bühne kannst du ziemlich frei und spontan agieren aber als Stuntfrau sollte jedes noch so kleine Detail im Vorfeld geplant sein. Bist du manchmal versucht Dinge auf der Bühne im Vorfeld mehr zu planen oder im Umkehrschluss bei Stunts mehr zu improvisieren?

Ich würde niemandem empfehlen bei Stunts zu improvisieren haha! Dann bekommst du nämlich sicher eine gepfeffert oder du verletzt jemanden.

Normalerweise gehe ich im Vorfeld den Ablauf einer Stuntperformance ganz genau durch. Ich mache mir dann eine Art Karte für den Stunt. Es ist etwas auf, dass ich zurückgreifen kann, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert oder wenn man sich droht zu verlieren.  Auf der Bühne hingegen lasse ich mich von meinen Gefühlen leiten. Allerdings ist ein „Spin Kick“ fest in der Performance verankert, so dass mein Bassist weiß, wann er sich zu ducken hat.

Was sind deine Pläne für die Zukunft? Im Moment ist es natürlich schwer über bevorstehende Touren oder ähnliches zu sprechen. Aber was sind deine Hoffnungen?

Meine größte Hoffnung ist, dass sobald wie möglich alles wieder „normal“ wird und wir mit der Planung für die nächste Tour beginnen können.

Im Moment befinde ich mich auf einer kleinen Insel in meinem Sommerhaus. Ich bin schon seit sechs Wochen hier und es sieht so aus, als würde ich wohl den Großteil des Sommers hier verbringen.

Habe ich vergessen dich irgendwas zu fragen, von dem du aber denkst, dass es interessant ist?

Also im Moment ist mein Leben ziemlich anders als normal. Meine Tage bestehen aus: Bäume fällen, Holz hacken, Hausarbeiten erledigen, Gemüse anpflanzen, malen, lernen wie man diesen Rubik Würfel löst, soweit es möglich ist Sport zu machen und einfach zu chillen.

Danke dir Jessica, dass du dir die Zeit genommen hast alle meine Fragen zu beantworten.

 

Zum Review von "Para Dice" geht es hier: Jessica Wolf - Para Dice



Jessica Wolff