Interview:

2011-04-05 Dropkick Murphys

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Fast dreieinhalb Jahre mussten die Fans der DROPKICK MURPHYS auf ein neues Studioalbum warten, länger als jemals zuvor in der 15-jährigen Bandgeschichte. Jetzt ist die Scheibe draußen, und die Bostoner stehen in den Startlöchern für die kommende Europa-Tournee. Drummer Matt Kelly berichtete uns, was in der Zwischenzeit alles passiert ist und erzählt vom neuen Album, europäischen Fans und deutschem Bier. InterviewEuer letztes Album, „The Meanest Of Times”, ist im Herbst 2007 erschienen. Was ist seitdem passiert?


Zuerst sind wir ziemlich heftig getourt. Und da einige der Bandmitglieder mittlerweile weiteren Nachwuchs bekommen hatten, haben sie danach viel Zeit mit den Kindern verbracht, und diejenigen ohne Kinder mit ihren Frauen und Familien. Außerdem haben wir auf einigen großen Festivals gespielt, wie etwa dem „No Sleep ´Til…“ in Australien, sind an einigen Orten getourt, an denen wir eine Weile nicht waren und haben den Claddagh Fund gegründet, um Geld für wohltätige Zwecke zu sammeln, das an Waisenkinder, verletzte Kriegsveteranen und Menschen, die mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit zu kämpfen haben, geht. Im August 2010 haben wir angefangen, unsere Songideen und Texte zu sammeln und aus diesen Mengen an Ideen neues Material zu schreiben. Die Zeit von September bis Anfang November haben wir in meiner Küche und im Proberaum verbracht und die Songs fertig gestellt, und November und Dezember haben wir damit verbracht, sie aufzunehmen. Die letzten paar Jahre waren insgesamt also nicht besonders stressig, dafür war das Jahresende 2010 SEHR stressig!


Durch euren Song „I’m Shipping Up To Boston“ seid ihr auch beim Mainstream-Publikum bekannt geworden. Was hat sich seitdem für euch verändert?


Manchmal sieht man ein oder zwei sehr gelangweilte Leute vor der Bühne, die ziemlich verloren aussehen, bis wir diesen Song spielen, haha. Aber abgesehen davon können vor allem unsere Großeltern und Verwandten Ihren Freunden von unserer Band erzählen, und die wisse jetzt, worum es geht. Die Gigs sind nur ein bisschen größer geworden, denn ich glaube, die Leute, die wirklich auf uns stehen, haben uns schon vor dem Mainstream-Durchbruch von „Shipping…“ gekannt. Die meisten eher beiläufigen Musik-Fans, die nur einen Song einer Band mögen, werden nicht unbedingt zu einem Gig zu gehen, denn sie stehen eigentlich nicht per se auf die Band – sondern nur auf den Song. Den subkulturellen Effekt bekommen sie überhaupt nicht mit, und das ist auch gut so. „Shipping…“ ist nicht komplett bezeichnend für unseren Sound, und ich glaube, dass es viele Menschen gibt, die diesen Song mögen, aber so etwas wie „Citizen C.I.A.“ oder „Never Alone“ absolut hassen. Insgesamt glaube ich, dass wir, seit „Shipping…“ für den Film „The Departed“ verwendet wurde, in Boston als einheimische Band bekannt geworden sind, wohingegen wir vorher zwar schon diese großen Gigs gespielt und eine ordentliche Anzahl Platten in ganz Nordamerika und Europa verkauft haben, das Mainstream-Publikum in unserer eigenen Stadt aber noch nie von uns gehört hatte.


„Going Out In Style“ ist eine Art Konzeptalbum, das von einem Mann namens Cornelius Larkin handelt. Ist dieser Charakter an eine reale Person angelehnt?


Ja, Connie Larkin ist eine Zusammensetzung von Erfahrungen aus dem Leben meiner Bandkollegen, unserer Großeltern und anderer Vorfahren. Der Name Cornelius stammt eigentlich von James’ Großvater, Cornelius Lynch, der nach Amerika auswanderte, im Koreakrieg kämpfte, nach Massachusetts zurückkehrte und seine Liebste heiratete. Das ist die Geschichte, die den Song „1953“ inspiriert hat.


Woher hattet ihr die Idee für die ganze Geschichte?


Ken und ich haben schon seit über zehn Jahren mit der Idee für ein Konzeptalbum herumgespielt, waren aber immer wegen der Falle besorgt, in die viele Bands geraten, die ein Konzeptalbum schreiben. Sie beginnen mit einer kompletten Storyline und stecken dann irgendwann fest, weil sie strikt innerhalb der Parameter der Geschichte schreiben. Das kann dazu führen, dass es Songs gibt, die für sich alleine überhaupt keinen Sinn machen und dazu verdammt sind, ein Teil eines Ganzen zu sein, das die Summer seiner Teile benötigt, um Sinn zu machen. Die eigentliche Geschichte von Cornelius Larkin kam WÄHREND des Prozesses des Texteschreibens zusammen. Nachdem die ersten Texte aufgeschrieben waren, setzten wir uns zurück und sahen, dass es einen roten Faden gab, und da entschieden wir uns, diese Songtexte zusammen zu verwenden und eine Geschichte aus ihnen zu machen, anstatt es andersherum vorzugehen. Auf diese Weise können alle Songs sowohl für sich alleine stehen als auch bestens zusammen eine Erzählung des Lebens dieses Mannes ergeben.


Der Autor Michael Patrick MacDonald hat einen Nachruf für Cornelius Larkin sowie eine Zusammenfassung seines Lebens für das Album-Booklet geschrieben. Jetzt wird er die Arbeit an dieser Figur fortsetzen. Wird es einen Roman über Cornelius Larkin geben?


Only time will tell, my friend!


In Bezug auf eure Musik scheint sich etwas geändert zu haben: Die Gitarren befinden sich eher im Hintergrund, und stattdessen gibt es mehr akustische Folk-Instrumente als jemals zuvor zu hören. Wolltet ihr den Punkrock in eurer Musik reduzieren und den Folk betonen?


Die Songs wurden hinsichtlich des Einsatzes von Folk-Instrumenten immer noch genauso gespielt, wie wir das seit „Sing Loud, Sing Proud” getan haben, da wir seitdem sechs Instrumentalisten sind. Es hat sich dieses Mal einfach so ergeben, dass wir mit einem Produzenten gearbeitet haben, der das Album so abgemischt hat, dass die akustischen Instrumente besser als zuvor zu hören sind. Vom Sound her klingt das Album größer und kraftvoller als irgendeines unserer vorherigen. Das Songwriting und die Songstrukturen sind eigentlich mehr, wie wir sie auf „Do Or Die“ und „The Gang’s All Here“ hatten, als irgendetwas, das wir seitdem bis jetzt gemacht haben. Alle Songs dieser beiden Platten wurden auf akustischer Gitarre geschrieben, genau wie die Songs auf „Going Out In Style“. Wie auch immer, wenn die Leute kommen, um die Band zu sehen – wo es dann wirklich drauf ankommt – gibt es immer noch und wird es immer eine Gitarrenwand geben, die sie voll ins Gesicht trifft! Worauf es hinausläuft, ist, dass wir niemals dasselbe Album zwei Mal aufnehmen wollen. Die Veränderung vom ersten zum zweiten Album war – abgesehen davon, dass Al unser Lead-Sänger wurde – offensichtlich, wie es auch der Fortschritt vom zweiten zum dritten war. Der Schlüssel ist, dass wir jedes Mal das bestmögliche Album machen wollen. Es geht immer darum, wie die DROPKICK MURPHYS zu klingen und diese Power zu haben. Man braucht nicht immer ein prasselndes Feuer, um das Fleisch zu braten, manchmal funktionieren glühende Kohlen besser.


Der Sound scheint mir insgesamt trotzdem weniger typisch für die DROPKICK MURPHYS zu sein als vielmehr für FLOGGING MOLLY. Siehst du das genauso?


Nicht wirklich. Sie spielen Irish Folk mit einem Punk-Einschlag, wie etwa die POGUES, und wir spielen Punkrock mit einem Irish Folk-Einschlag. Ich glaube – und das soll natürlich keine Beleidigung von FLOGGING MOLLY sein – dass unsere Musik mehr muskulös ist, wohingegen ihre subtiler ist.


Kennt ihr euch eigentlich? Und was hältst du von ihrer Musik?


Natürlich kennen wir uns. Immer wenn wir in Los Angeles gespielt haben, haben wir sie uns im Molly Malone’s angesehen, schon sehr früh, einige Zeit, bevor ihr erstes Album herauskam. Sie sind großartige Musiker, und was sie machen, machen sie gut… aber ich werde es immer mehr mögen, wie Daves Stimme bei FASTWAY geklungen hat!


Ihr habt auf dem Album einen berühmten Gastsänger: Auf „Peg O’ My Heart“ hat Bruce Springsteen einen Teil der Lead-Vocals übernommen. Wie ist es dazu gekommen?


Noch nie von dem gehört… haha! Bruce ist zu einem unserer Gigs in New York City gekommen, weil sein Sohn ein Fan der DROPKICKS ist. Sie kamen zu uns, und wir haben uns ausführlich unterhalten. Für einen legendären Rock-Star ist Bruce sehr bodenständig und bescheiden. Wir haben uns sehr gut verstanden, und er hat uns eingeladen, um ihn und die E Street Band zu sehen, wenn sie das nächste Mal in Bosten spielen würden. Natürlich haben wir sein Angebot angenommen! Als sie das nächste Mal im Boston Garden gespielt haben, sind Tim, Jeff und Ken – die größten Springsteen-Fans in der Band – hingegangen und haben auf der Bühne einen Song mit der E Street Band gespielt. Da muss für die Jungs ein Traum in Erfüllung gegangen sein, sie schwebten auf Wolke sieben. Nach dem Song bat Tim seine Freundin auf die Bühne und machte ihr einen Heiratsantrag… und natürlich sagte sie ja. Nachdem diese Verbindung zwischen den DROPKICKS und Bruce entstanden war, erwähnte er, dass wir „irgendwann einmal etwas zusammen machen“ sollten. Wirklich eine unbestimmte Aussage, und eine Menge Menschen würden das in so einem Moment sagen, aber es ist offensichtlich, dass er es auch wirklich meinte! Als wir in Australien auf Tour waren, ergab es sich, dass er in den USA im Studio war. Durch die Macht des Internet schickten wir ihm den Song „Peg O’ My Heart“, und er legte eine unglaubliche Gesangs-Action hin… er hat aus einem Song, von dem wir dachen, es sein ein Spaß-Song, einen wirklich GROSSARTIGEN Song gemacht. Wir waren hin und weg, wie gut er geworden war.


Wie war es denn, als der Boss höchstpersönlich im Studio war und einen eurer Songs gesungen hat?


Es war eine surreale Begebenheit, von der ich nicht glaube, dass sie sich irgendjemand in der Band hätte vorstellen können. Wir fühlen uns gesegnet, dass uns so etwas Fantastisches passiert ist! Gerade letztens, am 18. März, kam Bruce im House Of Blues in Boston auf die Bühne, und wir spielten „Peg“, gefolgt von seinem eigenen Song „Badlands“ und „I’m Shipping Up To Boston“. Der ganze Laden ist ausgerastet! Mann, was das für ein aufregender Abend war!


Hat euch die Musik von Bruce Springsteen inspiriert, als ihr das Album geschrieben habt, oder hat sie das auch schon vorher getan?


Wie ich schon erwähnt habe, sind zwei oder drei der Jungs GROSSE Bruce Springsteen-Fans, und sie waren es auch schon immer, daher glaube ich nicht, dass seine Musik uns mehr als auf den Alben davor inspiriert hat. Wir haben keine Lust auf einen GASLIGHT ANTHEM-Sound oder so was. Wir sind die DROPKICK MURPHYS, deshalb schreiben wir DROPKICK MURPHYS-Songs.


Wie wichtig ist Punkrock für dich? Und hat sich das über die Jahre verändert?


Wohl oder übel wird mein Leben von Punkrock aufgebraucht. Die Musik, die ich höre, ist und wird immer ein großer Teil meines Lebens sein. Ich kaufe Schallplatten und CDs, helfe dabei, Gigs zu organisieren und schaue mir Gigs an, und ich spiele in anderen Bands, wenn ich nicht mit den DROPKICKS auf Tour bin. Davon abgesehen habe ich mir zu dem, was in Politik und Gesellschaft passiert, von der Musik, die ich höre, noch nie vorschreiben lassen, was ich denke. Das ist dumm, schwachsinnig und kollektivistische Schwarm-Mentalität – fuck that, my life is my own! Ich bin ein Skinhead gewesen, seit ich 15 war, also habe ich mich nie als Punk gesehen. Ich glaube, dass ich heute von der physischen Erscheinung her mehr eine amerikanische Version eines Casuals bin – allerdings gibt es so etwas wie einen Casual in den USA nicht. Aber ich gehe immer noch zu so vielen Gigs und kaufe so viele Platten wie eh und je, und ich werde bei neuen Oi!- Punk- und Hardcore-Platten immer auf dem Laufenden bleiben. „I like the beat, I love the sound!“


Wie kommt ihr eigentlich in Irland an? Mögen die Iren euren Sound?


Seit wir 1999 im Slattery's in Dublin gespielt haben, werden wir von unseren irischen Cousins immer mit offenen Armen empfangen. Sie sind sich bewusst, dass wir eigentlich nicht „irisch“ sind, aber sie sehen, dass wir mithelfen, in der irischen Diaspora eine Folk-Tradition am Leben zu erhalten. Ich bin sicher, dass es dort auch Leute gibt, die auf uns schimpfen und von uns als „Plastic Paddies“ oder was auch immer denken, aber diese Art von Menschen neigt dazu, nur die Oberfläche zu sehen und nicht wirklich zu wissen, worum es bei der Band vor allem geht. Diese Leute waren wahrscheinlich noch nie in Boston oder kennen die Geschichte unserer großartigen Stadt.


Um den St. Patrick’s Day herum spielt ihr ja traditionell mehrere Konzerte am Stück in Boston, die immer komplett ausverkauft sind. Das muss eine großartige Erfahrung sein…


Dieses Jahr haben wir drei Gigs im House of Blues in Boston gespielt, dann einen Gig in der Tsongas Arena in Lowell, Massachusetts und dann noch einen kleineren Gig im Paradise Rock Club, ebenfalls in Boston, von denen alle Einnahmen an den Claddagh Fund gegangen sind. Letzten Jahr haben wir sieben Shows am Stück im House of Blues gespielt, aber dieses Jahr wollten wir nicht noch einmal alles genauso machen, also haben wir in Lowell in einer Arena mit einer Kapazität von 6.500 Leuten gespielt. Ich glaube, das war gut so, denn so konnten mehr Leute aus dem nördlichen New England mit Zug und Bus zum Konzert kommen. Es war wie immer eine großartige Erfahrung und ein Beweis für die Treue unserer fantastischen Fans und Anhänger. Sie kommen von überall her – einige Kids haben dieses Jahr wieder die Anreise aus Norwegen auf sich genommen, genauso wie einige Freunde aus Deutschland! – und bleiben normalerweise die ganze Woche in Boston, und viele von ihnen kommen zu allen Gigs. Wirklich fantastisch ist, dass diese Leute es uns ermöglichen, unseren Traum zu leben und den besten Job zu haben, den man überhaupt nur haben könnte. Die meisten der Bandmitglieder kommen aus ärmlichen Verhältnissen und sind sich sehr bewusst, dass wir unseren Fans dankbar für ihre Unterstützung sein müssen, und wir achten sie mehr, als sie sich vorstellen können. Man könnten sich denken, dass uns dies große Egos verleihen würde, aber der Support unserer Fans ist einfach so überwältigend, dass er uns unglaublich bescheiden macht.


Freut ihr euch schon auf die Europa-Tournee im April und die Festival-Shows im Sommer?


Hell yeah! Ich liebe es, in den verschiedensten Ländern unterwegs zu sein, die unterschiedlichen Menschen und Kulturen kennenzulernen, das Bier auszuprobieren – besonders das Bier, das durch das Reinheitsgebot gesegnet ist!!! Ich liebe die deutschen Lagerbiere, sie sind so frisch und köstlich. Obwohl ich glaube, dass ich auf belgische Biere fast genauso sehr abfahre, besonders die aus dem Westvleteren-Kloster! Außerdem muss man wirklich etwas über die europäischen Fans sagen: Wenn wir Amerikaner zu Konzerten gehen, sind wir sehr zurückhaltend und haben Angst davor, dass man sich über uns lustig macht, während wir eine gute Zeit haben. Europäische Fans haben einfach eine gute Zeit auf unseren Konzerten, ohne sich dazu rum kümmern, ob sie dabei wie Idioten aussehen (das ist übrigens ein Kompliment!). Konzerte in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Teilen von Frankreich sind einfach herausragend. Die Energie, die dort an den Tag gelegt wird, ist immer wieder überwältigend. Davon abgesehen mag ich wirklich die europäischen Open Air-Festivals – besonders verglichen mit den amerikanischen – aber ich bevorzuge die Club-Gigs, da sie intimer und verrückter sind. Punkrock und Sonnenlicht kann man meiner Meinung nach nicht mischen, haha. Okay, VIELEN Dank für das Interview, wir freuen uns schon drauf zu spielen!



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