Interview:

2014-06-04 Distant Satellites - Ein ANATHEMA Interview mit Danny Cavanagh

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Im Rahmen der Veröffentlichung des neuen ANATHEMA Albums „Distant Satellites“ sprachen wir mit Danny Cavanagh über die neue Scheibe, Produzenten und der Verbindung zur Metal-Szene.Interview

Hey Danny, vielen Dank, dass Du dir für uns Zeit genommen hast. Damit wir keine Zeit verlieren, können wir gleich mit den Fragen anfangen.
Ich hatte vor unserem Interview nicht die Gelegenheit, mich mit dem neuen Material ausführlich auseinanderzusetzen. Könntest Du uns erzählen worin sich „Distant Satellites“ vom Vorgänger „Weather Systems“ unterscheidet?

Zwischen beiden Alben gibt es gravierende Unterschiede. Du musst dir aber das Album selbst komplett anhören, um diese Unterschiede zu hören. „Distant Satellites“ nimmt dich auf eine Reise. Wenn ich es mir anhöre, dann auch nur von vorne bis hinten. Ich möchte niemanden vorschreiben, wie er dieses Album zu hören hat. Das muss jeder selbst entscheiden. Aber es wurde als Gesamtkunstwerk geschaffen. Nur wenn man es in einem Rutsch durchhört, sind die Unterschiede zu erkennen. Es gibt auf jeden Fall einige Überraschungen zu entdecken.

Als ich mir „Distant Saltellites“ das erste Mal anhörte, war ich sehr überrascht über die Songs, die am Ende der Platte stehen. Diese sind doch sehr elektronisch ausgefallen. Kannst Du uns sagen, wie es zu dieser Ausrichtung gekommen ist?

Die Idee, elektronische Elemente zu benutzen hatten wir schon lange. Es war immer unser Schicksal, diese Richtung einzuschlagen. Wir haben aber immer auf den richtigen Moment gewartet. Es hat vorher nie wirklich gepasst. Erst jetzt hat es sich richtig angefühlt.

Ich habe gehört, dass diese elektronischen Songs aber schon ziemlich alt sind.

Exakt! Das ist die Ironie daran. Denn hierbei handelt es sich um die ältesten Songs des neuen Albums. Die ersten sechs Lieder hören sich an wie typisches ANATHEMA Material wie von zum Beispiel „Waether Systems“ oder „We're Here Becouse We Are Here“. Die sind alle höchstens zwei Jahre alt. Die letzten vier Titel haben sechs bis  zehn Jahre auf dem Buckel, wenn nicht sogar mehr. Und diese sind diejenigen, die sich am unterschiedlichsten anhören. 

Und als diese Songs damals geschrieben wurden, hörten sie sich schon so elektronisch an? Oder habt ihr sie für „Distant Satellites“ extra bearbeitet?

Nee, sie waren schon immer in dieser Form.

Hörst Du denn viel Elekro? Sowas wie Trip Hop, Dubstep oder Ambient?

Ja, das machen alle aus der Band. Vielleicht sind es Vincent (Cavanagh, Gesang/Gitarre) und John (Douglas, Schlagzeug), die diese Musik am meisten lieben. Aber ich höre es auch. Letztes Jahr gab's für mich so was wie einen magischen Augenblick in dieser Musikrichtung. Ich war bei einem ATOMS FOR PEACE Konzert. Das ist eine sehr energetische Band, die elektronische Elemente mit einer Liveband kombiniert. Sie sind in der Lage, tolle Songs mit großartigen Melodien zu schreiben und es zu einem großen Ganzen zusammenzumischen. Sie scheinen ein Bindeglied zwischen elektronischer und organischer Musik zu sein. Die Entdeckung ihrer Musik hat für mich vieles verändert. Und für uns als Band ist es der nächste Schritt, ebenfalls die beiden musikalischen Welten zu verbinden. 

Könntest Dir vorstellen, dass ANATHEMA ein komplett elektronisches Album auf den Markt bringt?

Nein! Auf keinen Fall. Aber Elektronik ist nun ein wichtiges Element von uns. Ich kann mir vorstellen, dass es irgendwann die gleiche Gewichtung haben wird wie die Gitarren und das Klavier. Aber ein Album ohne Gitarren ist für mich nicht vorstellbar. Beziehungsweise ist ein ANATHEMA Album, wo wir uns auf ein Instrument oder Stilart konzentrieren nicht vorstellbar. Höchstens als ein „Experimental Album“ wie „Falling Deeper“ oder „Hindsight“. Ein richtiges Studioalbum ist immer eine vollwertige Mischung aus verschiedenen Elementen, keine Fokussierung auf etwas Bestimmtes.

Um wieder auf euer neues Album zurückzukommen. Warum habt ihr es „Distant Satellites“ (Entfernte Satelliten) genannt? Welche Bedeutung steckt dahinter?

Der Titel stammt von unserem Schlagzeuger John Douglas und hat etwas mit einer persönlichen Geschichte zu tun. Dabei geht es nicht um den Weltraum, sondern viel mehr um Menschen und ihren Beziehungen zueinander. Wie sie manchmal zueinander stehen und ihre Leben in verschiedenen Bahnen verlaufen. Manchmal verliert man sich aus den Augen und driftet ab, und manchmal kommt man wieder aufeinander zu. John hat mir seine Geschichte erzählt und was hinter dem Albumtitel steht, und es hat mich zu Tränen gerührt, denn ich kann es sehr gut nachempfinden.
Es zeigte mir, wie aufopferungsvoll John ist und was für eine schöne Seele er besitzt. In einer gewissen Weise lässt sich der Titel auch auf uns als Band, als Team beziehen. Es geht um uns, um Menschen, um Familie, um Liebe und unsere Geliebten und unsere Lebenswege. Manchmal sind wir uns näher, manchmal driften wir ab. Ich denke es ist ein schöner und tiefgreifender Titel, der schöne Bilder hervorruft. Aber die Metapher dafür sind im Großen und Ganzen Menschen, deren Leben manchmal zusammen und getrennt voneinander verlaufen.

Ihr habt auf dem neuen Album einen Song „The Lost Song“, der in drei Parts geteilt ist und auf dem Album verteilt zu finden ist. Warum habt ihr ihn so genannt? Ist er ein Überbleibsel alter Studiosessions?

Der Grund, warum das Lied so heißt, ist folgender: Ich habe wirklich mal ein Lied verloren.      
Ich habe es mal auf meinem Rechner aufgenommen und irgendwie wurde es aus Versehen gelöscht. Ich konnte mich danach auch in keinster Weise mehr daran erinnern, wie es ging. Es war ein klassischer ANATHEMA Song. Ich habe alle aus der Band gefragt, ob noch irgendjemand davon eine Kopie hat. Aber auch da Fehlanzeige. In dem Prozess, bei dem ich versucht habe mich an ihn zu erinnern und wie er geht, entstand „The Lost Song“.   

Und worum geht es textlich in dem Song?

Ich spreche bei unserem neuen Album nicht über meine Texte. Es ist ein schwieriges Album für mich, und ich überlass es lieber unseren Hörern sich ein eignes Bild davon zu machen. Sie sollen es für sich interpretieren können. 

Zwei Songs wurden auf „Distant Satellites“ von Steve Willson (Porcupine Tree) gemixt. Wie ist es eigentlich mit dem neuen „Godfather of Prog“ zusammenzuarbeiten?

Es ist großartig! Er ist so gut darin, in dem was er tut. Er ist in so vielem involviert. Doch das, was er am besten kann, ist das mixen und abmischen von Alben. Er war uns 2010 eine große Ehre mit ihm bei „We're Here Because We Are Here“ zusammenzuarbeiten. Es hat uns und unserer Karriere sehr geholfen. Für das neue Album haben wir wieder mit Christer-André Cederberg zusammengearbeitet. Er wurde aber während der Aufnahmen sehr krank und musste ins Krankenhaus. Dadurch ging eine ganze Arbeitswoche verloren. Die Ärzte rieten ihm zu einer Ruhepause, doch er hat sich dem widersetzt, weil er das Album fristgerecht beenden wollte. Er arbeitete bis zur Schmerzgrenze, bis es nicht mehr weiterging. Er hat einen fantastischen Job abgeliefert. Dennoch musste die eine Woche aufgeholt werden, in der der letzte Teil des Albums gemischt wurde. Wir brauchten daraufhin jemanden in letzter Minute, der Christer für die letzten beiden Titel ersetzten konnte. Da haben wir uns an Steven gewandt. Er war der einzige, dem ich zugetraut habe, dass er diese Aufgabe zu unserer Zufriedenheit erfüllt.   

Wollt ihr in Zukunft mit Steve Willson noch ein Album aufnehmen?

Nein, eher nicht. Außerdem nimmt Steve keine Alben auf, sondern mischt diese nur ab. Wenn überhaupt nimmt er nur seine eignen Alben auf. Er ist auch viel beschäftigt. In Christer-André Cederberg haben wir unseren Mann gefunden, der uns vom Beginn bis zum Ende des Albums zur Seite steht. Er produziert alles und mischt es im Nachhinein auch mit uns zusammen. Er hilft uns in jedem einzelnen Prozess der Entstehung, vom Demo bis zum finalen Mix. Auch wenn Steve uns bei „Distant Satellites“ geholfen hat, ist es zu 98 Prozent Christers Album. Man sollte das Augenmerk auf ihn legen und nicht auf Steve. Auch wenn Willson immer gute Arbeit abliefert und ein Freund von uns ist, wäre es Christer nicht gerecht, ihn nicht zu erwähnen. Versteh mich da bitte nicht falsch. Es ist Christers Album! Steve musste uns nur drei Tage helfen. Christer ist mittlerweile fast ein Bandmitglied, da er soviel hinter der Bühne für uns macht. Er hat zum Beispiel unsere letztes Livealbum „Universal“ gemischt. Er ist für uns so was Nigel Godrich für RADIOHEAD.

Lass uns nochmal über was anderes sprechen: Auch wenn ihr euch musikalisch sehr weit geöffnet habt, und auch keinen Metal mehr spielt, findet ihr in dieser Szene immer noch sehr viel Beachtung. Kein Metalmagazin, in dem man nicht über euch lesen kann. Fühlt ihr euch dieser Szene noch irgendwie verbunden?

Hmmm, ja vielleicht? Es wird immer ein Teil unsere Geschichte sein und wir werden das niemals bestreiten. Unsere Musik kann jeder hören, der möchte. Wir werden keinen Metal-, Progressive oder Alternativefan bei unseren Konzerten vor die Tür setzen. Es steht jedem frei uns zu mögen, so wie es uns frei ist, die Musik zu machen, die wir machen wollen. Ich glaube an unsere Musik und wenn Leuten unsere Musik gefällt und sie uns unterstützen wollen, dann freut mich das für sie und für uns. Ich möchte da auch nicht generalisieren. Bei uns ist jeder willkommen. That's it!

Hörst Du denn noch manchmal Metal?

Manchmal komm ich auf die alten Sachen zurück wie das Schwarze Album von Metallica, AC/DC oder Iron Maiden. Aber es gibt nur noch wenige Bands, die ich von früher höre und die bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Das meiste Innovative, das mir wirklich gefällt ist außerhalb des Metals.  

Was mir bei ANTHEMA sehr gut gefällt, ist der Stil deiner Gitarrensoli. Du versucht gar nicht erst der schnellste Gitarrist der Welt zu sein. Du spielst meist wenige Noten, diese aber sehr gefühlvoll und voller Leidenschaft. Wer zählt denn zu deinen Gitarrenhelden, wenn Du denn welche hast?

Ah Danke! Da gebe ich Dir recht. Also als Nummer Eins wäre Mark Knopfler (DIRE STRAITS) zu nennen, David Gilmour (PINK FLOYD) und Derek Trucks, den ich über Youtube entdeckt habe. Und andere Gitarrenhelden? Hmm ich weiß nicht. James Hetfield (METALLICA) vielleicht? Tony Iommie, Jimmy Page, Paul McCartney und George Harrison hatten einen großen Einfluss auf mich. Eigentlich kann man sagen, viele Gitarristen, die auch gute Songschreiber sind. Mark Knopfler ist zum Beispiel einer, genauso wie die Beatles. Kurt Cobain war ein guter Songschreiber. Die Liste ist unendlich. Für mich bedeutet es Gitarre zu spielen, dem Song zu dienen. Das ist das ganze Geheimnis dahinter. Der einzige, der bei dieser Aufzählung aus dem Rahmen fällt ist Derek Trucks. Ich weiß nicht, wie er als Schreiber ist, aber er spielt die ausdrucksstärksten und gefühlvollsten Soli, die ich kenne.     

Danny, vielen Dank für das Gespräch!