Interview:

2003-11-03 Amorphis

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Sänger Pasi Koskinen wollte gleich nach der Geburt seines Kindes mit dem Vocal Coach fremdgehen, bei den Plattenaufnahmen gab es Frostbeulen, die Regisseurin war vielleicht doch ein Regisseur, uns werden in den nächsten Jahren rohe Death Metal Bands mit brutalem Elchtod und einem Altersschnitt über 30 überschwemmen. Und dann sage noch einer, AMORPHIS würden jetzt langweilig einen auf brave Familienväter machen... InterviewAMORPHIS sind momentan auf Deutschland-Tour. Bis zur deutschen Grenze sind die Finnen mit PARADISE LOST getourt, die prompt am arbeitsfreien Abend in der Hansestadt geblieben sind und zusammen in Hamburgs berüchtigtester Sauna auf die alten Zeiten getrunken haben. Am Wochenende in Zürich werden sich beide Bands wiedersehen. Mir im Tourbus gegenüber sitzen Gitarrist Esa Holopainen und Keyboarder Santeri Kallio:




Ihr wart schon einige Male mit Paradise Lost auf Tour, das letzte Mal richtig lang auf der Draconian Times-Tour, als ihr Elegy betourt habt, zudem habt ihr eine Zeit lang eine Crew aus dem Umfeld von PL gehabt - ist das nicht ironisch, dass ihr euch jetzt wieder zusammen über den Kontinent her macht?


Esa: Darüber haben wir gerade gestern mit ihnen gelacht. Sande: ... was schon allein ein großer Spaß war... Esa: Ich finde es gut, mal wieder mit jemandem zu touren, den man schon so lange kennt, da wissen beide, worauf sie sich einstellen müssen und es gibt keine bösen Überraschungen. Vielleicht haben wir noch eine Show in London zusammen. Das ist aber noch nicht raus, für uns ist das ziemlich teuer, nur für eine Show die ganze Strecke von Helsinki über die Ostsee und den Kanal zu fahren.


Solltet ihr jetzt nicht eigentlich viel, viel mehr in London und allen möglichen englischen Städten spielen? Schließlich seid ihr jetzt bei der englischen Plattenfirma unter Vertrag - "Good old aunt EMI", wie Robbie Williams mal sagte.


Esa: Stimmt. Aber deswegen läuft es trotzdem nicht immer so glatt. (Lacht und rollt mit den Augen.)


Also seid ihr noch nicht für die englischen Rockfestivals nächstes Jahr gebucht?


Esa: Mal abwarten. Wir haben ja überhaupt noch nie in England gespielt, DAS ist wirklich ironisch. Aber die Leute beim Label in England scheinen ganz glücklich über unser Album zu sein. Hoffentlich werden sie auch einiges dafür tun.


Haben die euch denn schon der englischen Presse zum Fraß vorgeworfen?


Esa: Nein, das nicht. Ich denke, sie haben da eine andere Strategie, und die wird natürlich viel besser sein (Das Grinsen in Esas Gesicht wird hintergründiger und bereiter). Allein, wir wissen sie noch nicht. Aber sie sind die Engländer, also warten wir jetzt ab. Vielleicht wollen sie uns auch vorher erst einmal kennenlernen.


Na dann viel Glück! Themenwechsel: Vor Jahren habt ihr Pasi mal als euren "Schamanen" vorgestellt. Dann musst du, Esa, aber der Prophet sein (Esa prustet), denn der Bandname AMORPHIS passt nach 13 Jahren immer noch wie angegossen.


Esa: Stimmt. Das war schon prophetisch damals, aber ich erinnere mich kaum noch daran. Es war eigentlich eher ein Zufall. Was ich noch weiß, ist, das Tomi Koivusaari, Jan Rechberger und ich damals viel darüber telefoniert haben, "Hallo, ich habe gerade eine Idee, wie hört sich das hier an? Oder das hier?". Irgendwann haben wir dann beschlossen, dass die Band AMORPHIS heißen soll. Das ist auch gut so. Amerikaner mögen den Namen zum Beispiel, weil sie denken, er bedeute gar nichts, und hört sich einfach cool an. Ich glaube, es ist vor allem besser als "Rotten Sound" oder so was.


Dabei ist Rotten Sound als Motto doch gar nicht schlecht. Schließlich heißt eins deiner Hobbys momentan Chaosbreed.


E: Ach ja. Na ja. Es ist eben - ganz nett. Nett mal wieder solche Sachen zu machen.


Nett ist gut. Bei CHAOSBREED zocken namhafte finnischer (Ex-) Rockstars übelsten Death Metal im alten Stockholm-Stil - außer Esa sind noch Taneli Jarva, der frühere Sänger von Sentenced, Olli-Pekka Laine (Ex-Amorphis) und die beiden lokalen Größen Nalle Östermann (Ex-Suomi Finland Perkele, Ex-Gandalf) und Marko Tarvonen (Moonsorrow) dabei.


Esa: Hinter der Band steckt eine "Hilfe, ich bin 30"-Krise, also...

Sande: Ihr seid eine Midlife-Crisis-Band, um das mal auszusprechen. In Finnland gibt es so viele Death Metal Bands, die kommen und gehen - mit richtig alten Musikern.

Esa protestiert: So viele gibt es gar nicht!

Aber bald!, besteht Sande mit einem übermütigen Lachen.


Dann steht uns in der nächsten Zeit ja eine Menge Lärm ins Haus. Als ich anfänglich von Chaosbreed gehört habe (also nur von der Entstehung des Projekts, und noch keinen Ton) dachte ich ja, es würde auf so eine Sache wie Bloodbath hinauslaufen, aber nun hört sich euer Tonträger hauptsächlich an wie Entombed vor 10 Jahren...


Esa: So hat es auch angefangen mit CHAOSBREED. Nalle Östermann war schon immer ein großer Fan von Entombed, richtig besessen von dieser Band. Irgendwann hatten die anderen Jungs die Idee und haben mich gefragt, ob ich nicht mitmachen wollte. Natürlich macht es Spaß, und es ist auch eine gute Ausrede, sich zum Bier trinken zu verabreden. Aber durch denselben Business-Scheiß wie mit AMORPHIS muss ich wirklich nicht noch einmal durch! Aber, zugegeben: Es ist sogar ein großer Spaß!


Auf der offiziellen Bandpage gibt es als Feature ein Video, auf dem Esa und Pasi ein interessantes und nett gemachtes Interview geben (erreichbar entweder über News -> Electronic Press Kit oder direkt: http://www.amorphis.net/farfromthesun/downloads/real/Amorphis-EPK.ram. Darauf erzählt Esa, dass "Far From The Sun" eher eine Teamarbeit war als die vorangegangenen Alben.


Esa: Und das ist es auch. Wir haben es selbst produziert und größtenteils auch selbst aufgenommen, vieles bei Sande und Niclas Etelävuori, unserem Bassisten, in deren CCPC-Studio.

Sande: Auch nicht alles, wir haben nur ein paar Overdubs dort gemacht. Im Seawolf Studio, der alten Burg vor den Toren Helsinkis haben wir den Gesang aufgenommen.


Wie? Auf Suomenlinna, der alten Festungsinsel mitten in den Schären ist ein Studio? Dann war es bestimmt schön malerisch, drum herum still, fern von der Hektik der Stadt und ihr durftet das letzte Boot nicht verpassen?


Sande: Es war entsetzlich! Es war Dezember, ein völlig kalter Winter und die Ostsee war total zugefroren. Manchmal, wenn wir zur Fähre gegangen sind, waren es zwischen -25 und -27 °C. Oft kam das Boot wegen des Eises nicht pünktlich, hatte Verspätungen bis zu einer Stunde. Zu allem Überfluss haben sie über den Winter die Empfangshalle umgebaut und man musste draußen unter einem Unterstand warten.


Noch in Gedanken daran frieren Esa und Sande und spielen eine allabendliche Szene nach: "Kannst du die Fähre schon sehen?" - "Ja, am Horizont." - "Super, dann wird sie in einer Stunde wohl da sein." Sande fährt fort: Also war es tatsächlich ein märchenhafter, sehr, sehr, sehr stiller und friedlicher Ort, um Pasis Gesang aufzunehmen, aber für uns andere, die nur mit rübergekommen waren um zuzuhören, abzuhängen und das eine oder andere Bier zu verhaften war es heftig.


Ihr hattet so eine Art "Vocal Coach" für Pasi?


Esa: Ja, einen Typen namens John McGregor, einen Freund von uns. Sande kennt ihn besser als ich.

Sande: Kennen ist zu viel gesagt. Er hat mal bei einem meiner Projekte gesungen. In unserem Booklet steht, glaube ich, er hätte den Gesang produziert. Eigentlich war er nur eingeladen, weil er eben Engländer ist, und er sollte ein bisschen Pasi dabei...

Esa: ...helfen...

Sande: ...na ja, bei der Betonung helfen, und bei den Texten mal auf Grammatik und englische Insider-Geschichten gucken. Ich habe keine Ahnung, was die beiden letztendlich gemacht haben, aber Pasi war schier aus dem Häuschen. Er hat gesagt...

Esa: ... er will John heiraten.

Sande: ... er will ab jetzt immer alles zusammen mit John aufnehmen. Wir hatten eigentlich nur die Idee, dass er mal vorbeischaut, aber Pasi hat nach dem ersten Tag drauf bestanden (Sande imitiert einen müden, aufgeregten Pasi mit tiefer Stimme): "John muss jetzt jeden Tag hier sein." Also kam er jeden Tag und nahm mit Pasi zusammen auf. Als Produzenten für die Gesangsspuren hatten wir eigentlich Hannu Leiden bestellt, den alten Sänger von Havanna Black, einer finnischen Band, die in den Achtzigern und frühen Neunzigern eine Reihe von Alben veröffentlicht hat. Der saß nun auch den ganzen Tag da und hat seinen Teil produziert, insgesamt also eine interessante Kombination.


Für diese "Liebesbeziehung" sind dabei aber die dunkelsten Texte rausgekommen, die Pasi jemals geschrieben hat - auch im Gegensatz zu eurer diesmal eher straight rockenden Musik.


Esa: Die dunkelsten? Kann gut hinkommen.

Sande: Ich glaube, er wurde Vater kurz bevor er sich hingesetzt und geschrieben hat und war eher ratlos. Wenn er jemanden drauf angesprochen hat, haben ihm alle immer nur geantwortet, "schreib doch, was du willst". Das hat er dann wohl getan.


An dieser Stelle werfen Esa und Sande interessante Blicke hin und her. Wer von euch hat denn alles schon Kinder? Bisher wusste ich es nur von Tomi.


Esa: ... und eben Pasi, und ich.


Und wie bekommt man das hin, zu Hause ein Kind zu haben und auf Tour zu gehen?


Esa: Nicht so gut. (Lacht darüber und spricht sehr ernst weiter) Es geht aber, es ist eine Sache der Einstellung, denke ich. Dafür kommen wir jetzt auch gern wieder nach Hause. Ich denke, eine kurze Pause ist ganz gut für jede Beziehung, und auch für familiäre Beziehungen. Manchmal respektiert man Leute danach wieder mehr. Es ist eher eine Abwägung als ein Problem. Immerhin arbeiten viele Leute im Ausland, müssen auf Geschäftsreisen oder Montage und sind Wochen oder Monate von zu Hause weg, und danach fragt auch niemand.

Sande: Es kommt drauf an. Pekka, unser letzter Schlagzeuger, musste die Band verlassen. Er hatte eine zweijährige Tochter, und dann bekam seine Freundin Zwillinge. Er hat sich schon über die Kinder gefreut, aber auch rumgeschrieen: "So ein Mist, jetzt kann ich wirklich nichts mehr machen und nirgendwo mehr hin." Pekka ist jetzt Hausmann.


Und wo habt ihr Jan Rechberger nach all der Zeit wieder ausgegraben?


Esa: Wir waren mit Jan ja all die Jahre weiter befreundet, nachdem er Mitte der Neunziger Amorphis verlassen hatte. Mit Tomi zusammen hatte er ein Projekt. Das Pekka aufhören würde konnten wir uns schon einige Monate vorher denken. Als Pekka es dann selbst ausgesprochen hat, haben wir mit ihm noch eine grandiose Abschiedsshow in Istanbul gehabt, mit der dementsprechend großen Party danach und haben uns dann gleich nach dem Heimflug auf die Suche nach "einem neuen superguten Schlagzeuger" gemacht. Das schien erst unmöglich zu sein. Niclas hatte dann, glaube ich, die Idee, mal bei Jan zu fragen. Immerhin war er schon mal in der Band, ist mit uns seit Jahren befreundet und kennt alle Songs. Das war auch schon die ganze Geschichte.


Warum ist er nicht mit?


Esa: Er hatte einige familiäre Probleme zu klären. Aber er macht mit uns weiter, auf der nächsten Tour wird er bestimmt selbst dabei sein.


Und wie heißt euer Ersatzmann am Schlagzeug?


E: Atte Sarkima. Auch der ist schon seit Jahren mit uns befreundet, Sande, Tomi und Niclas spielen bei Verenpisara mit ihm zusammen. In Finnland ist er als Studio-Schlagzeuger bekannt, und er ist wirklich gut (... und nebenbei war er auch bei der anfangs schon erwähnten Eighties-Rock-Truppe Havanna Black dabei - Anm. d. laetti). Er hat alle unsere Songs in weniger als einer Woche gelernt.

Sande: Und wir hatten wirklich nicht viel Zeit, insgesamt haben wir uns nur vier oder fünfmal kurz gesehen und sind die Songs durchgehechelt, mehr nicht. Aber er schafft es trotzdem, den Songs einen gewissen besonderen Kick zu geben. Ich bin richtig beeindruckt.


Wer hat eigentlich eure letzten beiden Videos gemacht? Die Videos bis dahin waren ja ohne eigentliche Handlung und sehr nah am Thema des jeweiligen Albums dran.


Esa: Eine finnische Regisseurin hat für "Evil Inside" Regie geführt, Taku Kaskela. Sie hat in Finnland bereits einen Namen als Regisseurin von Musikvideos. (Beide mussten bei Ertönen ihres Namens lachen.)


Also ist das auch ihr Konzept?


Sande: Er hatte... sie hatte... Nein. Er oder sie hatte eine Menge Ideen, bevor wir mit dem Dreh angefangen haben, und diese gefiel uns am besten. Wir wussten zwar vorher nicht, wie es aussehen würde, aber über den Kreis, und darüber, dass wir in dessen Mitte spielen sollen, haben wir vorher geredet. Aber er hatte noch andere Ideen, äh, sie.


Taku Kaskela ist im Index der Uni Helsinki immer noch unter ihrem Taufnamen Tarja registriert, aber offensichtlich war es nicht so einfach, mit der Persönlichkeit zusammen zu arbeiten. Hat sie euch gesagt, was sie mit dem Kreis aussagen will, oder ist das nur was fürs Auge?


Esa: Sie hat uns wirklich nur die Grundrisse dessen erzählt, was sie weshalb machen wollte. Uns war es wichtiger, dass es kein Video mit einer echten, ablaufenden Handlung ist, in der z.B. Zwerge oder so ein Unsinn mitspielen.

Sande: Oder in dem sich einer gerade eine Nadel setzt.

Esa: Das war auch eine Idee von ihr, ein Video, in dem Drogen die Hauptrolle spielen.

Sande: Oder was mit Piercing.

Esa: Sie wollte gern schocken. Aber das passt weder zu uns noch zu dieser Musik. Sande: Am Ende hörte sich wenigstens alles richtig an und sieht auch gut aus.


Stimmt. Und weil das Video wenig Airplay in Deutschland bekommen hat, ist es auch auf der Homepage relativ gut versteckt, nämlich unten auf der Startseite unter dem Link "Jukebox". Oder direkt unter: http://www.amorphis.net/farfromthesun/downloads/real/Evil_Inside_Video.ram. Ein bisschen hat es mich ja an "Song 2" von Blur erinnert, mit Leuten, die gegen eine Wand geworfen werden. Aber ich hab auch schon das Konzept zu "Alone" nicht verstanden...


Sande: Da hatten wir einen anderen Regisseur. Tuuka Temonen ist Bassist einer in Finnland sehr erfolgreichen Band, aber seine Brötchen verdient er mit Videos.


Und bei welcher Band spielt er?


(unisono) Apulanta.


Nie gehört.


Esa: Ins Englische übersetzt heißt das "help shit".

Sande: Apulanta machen Teen Punk, na ja. Tuuka wollte ein etwas jugendlicheres Lebensgefühl ausdrücken. Etwa so, dass sich auch jüngere Zuschauer in unserem Video entdecken können. Wir haben uns totgelacht: Ok., machen wir ein schnelles Video. Und wir hatten auch nur ganz wenig Zeit. Zum Glück waren wir dann mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. Er scheint da auch seinen Beruf draus machen zu wollen.


Immerhin wurde "Alone" auch ordentlich bei MTVIVA im Nachtprogramm gespielt.


Sande: Das ist wirklich schade, dass "Evil Inside" kaum irgendwo im Fernsehen gelaufen ist. In Finnland gab es einen Kabelkanal, auf dem sehr viele Musikvideos liefen. Ausgerechnet an dem Tag, als "Evil Inside" fertig geschnitten war und verschickt wurde, ist dieser Kanal pleite gegangen. Sonst gibt es in Finnland nur noch Pepsi-TV und MTV international, also läuft nur noch Rap-Scheiße auf allen Programmen.


Na dann ein Dankeschön an Viva, das es ein neues Metal-Format gibt - auch wenn es nur eine halbe Stunde ist.


Unisono: Darüber würden wir uns in Finnland momentan schon freuen.


Kommen wir zu einem kleinen Spiel: Ich gebe euch etwas vor, und ihr vervollständigt den Satz.


Helsinki ist...

Esa: ... die Hauptstadt von Finnland.

Sande: ... verdammt kalt.



... etwas, auf das man sich verlassen kann

Sande: Wir verlassen uns auf Juha, das ist unser Busfahrer.


Euer persönlicher Lieblings-Newcomer aus Finnland.

Esa: Ich glaube, da gibt es keinen.

Sande: Chaosbreed

E: Ok., stimmt. GRINS.

v.r.n.l.: Esa Holopainen, Santeri Kallio, Pasi Koskinen, Jan Rechberger, Niclas Etelävuori, Tomi Koivusaari Amorphis_1 Amorphis_2