Festival:

Summer Breeze Open Air 2022 - Donnerstag

Festival vom 18.08.2022

Nachdem mich der nachts einsetzende Regen sanft in den Schlaf getrommelt hatte, erwachte ich erstaunlich ausgeruht (wohlgemerkt im Zelt auf Luftmatratze und Schlafsack) und lauschte zunächst, ob da noch was plätscherte. Zu meiner Freude war es still. Lediglich die Zeltnachbarn husteten sich den Staub vom Vortag aus der Lunge. Hier musste ich kurz mit einsteigen und erhob mich dann von meinem Schlaflager. Nach unserem traditionellen Weißwurstfrühstück bei nahezu wolkenlosem Himmel war die Welt erst mal in Ordnung.

Die erste Attraktion an diesem Tag war die Piratenfuncombo aus Osnabrück MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN, deren Set um Drei auf der Main Stage startete. Als die Truppe 2016 das erste Mal auf dem Summer Breeze (damals Camel-Stage) für Stimmung sorgte, feierten lediglich 1000 Fans mit. Dieses Jahr waren es doch deutlich mehr. Das Battlefield war, soweit ich das vom Bühnenrand (Fotograben) sehen konnte, picke packe voll. Bühnenbild und Band, die passend gewandet war, gaben ein harmonisches, stimmiges Bild ab und mit “Affentotenkopp“ ging die Wilde Fahrt vom ersten Ton an los. Die Spießgesellen auf dem Battlefield hüpften, tanzten, klatschten, sangen und feierten, was das Zeug hielt. Zu einer der erforderlichen Kernkompetenzen gehörte wenig überraschend auch das Trinken (die anderen beiden waren Lautstärke und Tanzen). Wie es der Zufall dann so wollte, fiel kurzzeitig der Ton auf der Bühne aus, was die Piratenmannschaft zunächst verunsicherte. Sehr schnell wurde diese Gelegenheit genutzt, Trinksprüche los zu lassen und die Bierkrüge zu stemmen. Auch hierbei wurden sie vom Gesinde tatkräftig unterstützt. Zu “Unser Untergang“ erging zum erten Mal die Aufforderung, es müsse jetzt gerudert werden. Befehl ist Befehl und wurde sogleich umgesetzt. Der nächtliche Regen hatte nicht gereicht, die Untergrundverhältnisse nachhaltig zu beeinflussen, deshalb setzte sich der Großteil der Menge unter gewaltigem Gejohle in den Staub und begann freudestrahlend mit Ruderbewegungen. Als alle wieder standen, ging das Crowdsurfen so richtig los. Nahezu jedes Lied wurde lautstark mitgesungen. Auch wir ließen uns gerne davon anstecken. Da es sich um deutsches Liedgut handelte, war es nicht schwer wenigstens beim Refrain mit einzusteigen. Die Truppe machte einfach einen Heidenspaß.

 

 

BEAST IN BLACK hatten beim letzten Mal hier an Ort und Stelle richtig abgeliefert und das sollte heute nicht anders sein. Nach epischem Intro ging's mit “Blade Runner“ los. War beim letztem Mal der Platz so leidlich gefüllt, hatten sich heuer deutlich mehr versammelt, um diesem furiosen Gig beizuwohnen. Ob das aktuelle Album “Dark Connection“ dafür verantwortlich oder einfach die Tatsache, dass hier tatsächlich eine Liveband am Start war, die den Begriff LIVE mit soviel Leben erfüllte, wie kaum eine andere. Da ist zum einen der überragende Sänger Yannis Papadopoulos, der wie ein Irrwisch von einem Bühnenrand zum andern stürmte, dabei sprang, tanzte und wild gestikulierend jeden einzelnen im Publikum abholte. Andererseits gibt die Musik an sich viel Energetisches her. Zwischen zuckersüßem AOR und Heavy Metal werden Hooks, Riffs und temperamentvolle Soli kombiniert und das Ganze zu Mitgröhlrefrains, die sich im Ohr wahrlich festbeißen. Als Verbindungselement fungiert das überaus präsente Keyboard hervorragend. Es hatte sich vermutlich herumgesprochen, dass die Finnen ein Partyfeuerwerk par excellence entfachen.
Alte und neue Songs wurden munter gemischt und fügten sich nahtlos ineinander. Bei “Moonlight Rendezvous“, der poppigsten Nummer, lieferte Yannis wohl die beste Gesangsleistung des Tages ab. Mit “One Night In Tokyo“ wurde dann auch der Letzte im Publikum zum Mitmachen animiert. Arme – mit und ohne Pommesgabel – wurden gen Himmel gereckt, geklatscht, gehüpft und gestampft. Während “Blind And Frozen“ liefen die beiden grandiosen Gitarristen Anton Kabanen und Kasperi Heikkinen zur Höchstform auf. Es wurde gefuddelt als gäbe es kein Morgen. “End Of The World“ beendete die Sause und für die glückselige Menge lief dann noch der Klassiker “Burning Heart“ (SURVIVOR) vom Band.

Zum Pflichtprogramm gehörten heute das Phänomen ELECTRIC CALLBOY, die seit ihrer Bewerbung zum ESC mit dem Song “Pump It“ in puncto Popularität so richtig durch die Decke gingen. Da wir bis dahin aber noch massig Zeit hatten, beschlossen wir, eine Kleinigkeit zu essen und uns wenigstens einen Teil (zeitliche Überschneidung mit ELECTRIC CALLBOY) des Auftritts von DEATH ANGEL auf der T-Stage zu gönnen.
Angesichts der in der Pandemie erschienen Liveplatte (ohne Publikum) mit dem Titel “The Bastard Tracks“, in der Songs gespielt wurden, die es bisher nicht in die Setlist geschafft hatten, erhoffte ich mir eine ähnliche Zusammenstellung. Ganz so mutig waren sie dann doch nicht, aber die ein oder andere seltene Perle war dabei. Zu meiner großen Freude bekam ich endlich mal wieder was von der “Act III“ auf die Ohrmuscheln. “Seemingly Endless Time“ folgte direkt nach dem Opener “Mistress Of Pain“ vom ersten Output. Frontmann Mark Osegueda war wie gewohnt sehr gut bei Stimme und die messerscharfen Gitarren von Rob Cavestany und Ted Aguilar taten ihr Übriges, um den Songs das richtige Feuer zu geben. Die Jungs aus der Bay sind ja ohnehin immer eine Bank. Nach einer guten halben Stunde Haupthaarschüttelns machten wir uns dann auf den Weg zur Mainstage, wo uns ein ziemliches Kontrastprogramm erwartete.

In bunten 80er Jahre Trainingsanzügen stürmte ELECTRIC CALLBOY die Bühne und brachte die zahlreich versammelte Menge mit ihrem Smashhit “Pump It“ sofort zum Ausflippen. Schon beim kurzen Intro entstand ein kleiner Circlepit...warum auch immer. Die Technopopbeats versetzten das komplette Areal in Wallung. Hartgesottene Metalheads klatschten, hüpften und sangen die Discohymne lautstark mit. Mir war die Truppe aus Castrop-Rauxel zwar namentlich (auch unter ihrem ursprünglichen Namen ESKIMO CALLBOY) bekannt, hatte aber bis dato noch keine Berührungspunkte, vom Medien gehypten Eröffnungssong mal abgesehen. Irgendwie passten die auch nicht so recht in mein musikalisches Beuteschema. Nichtsdestotrotz konnte selbst ich diesem Auftritt so allmählich etwas abgewinnen. Die beiden Sänger Kevin Ratajczak und Nico Sallach (erst seit 2020 dabei) wirkten sehr sympathisch und waren echte Rampensäue, denen man den Spaß an der Sache voll abnahm. Die Stimmung, die die bunten Vögel da abzogen, steckte irgendwie an. Festivals scheinen auch so ganz ihr Ding zu sein. Bei dem Blick auf ihren Tourneeplan zählt man seit 03.Juni 2022 zwanzig Festivals in Folge, Chapeau!
Es kam auch der ein oder andere Titel im Laufe des Programms, der selbst mich zum Kopfwackeln brachte, wie z.B. “MC Thunder II (Dancing Like a Ninja)“ und “Back In The Bizz“. Da wurde ein bisschen geschimpft und die Gitarren agierten etwas rauer, dafür die Keys etwas dezenter, quasi so im Stile der alten PAPA ROACH Sachen. Zur Abwechslung bekam man mit “Best Day“ auch was mit Melodie geboten. “Hypa Hypa“ hinterher, war aber so gar nicht meine Baustelle, alle anderen um mich herum gingen allerdings so was von steil. Circlepit, Crowdsurfer ohne Ende, springende und tanzende Menschen unten, Feuer und Rauch oben auf der Bühne. Zwischendurch zogen sich die verrückten Callboys auch immer mal wieder um. Sowohl Klamotten als auch Perücken kamen hierbei zum Einsatz. Es wurde im Folgenden immer ekstatischer. Bevor “Crystals“ angestimmt wurde, initiierten Kevin und Nico erst mal zwei Circlepits, die den gesamten Platz in eine Staubwolke hüllten und passend zum “Fuckboy“ verteilten die beiden Entertainer Kondome unter der Menge.
Kurz vor Ende schaute auch noch Kabarettist Sebastian Pufpaff (TV Total), in Kutte und Schottenrock für eine Slapstickeinlage vorbei. Nachdem die 75 Minuten dauernde Party endete, war ich mir ziemlich sicher, dass das gerade der heimliche Abräumer des Festivals war. In diesem Jahr sollte es auch keine Band mehr schaffen, den Platz vor der Hauptbühne so zu füllen und ihn zudem während des gesamten Auftrittes dermaßen in Schwingung zu versetzen. Die Musik war zwar nicht immer auf meiner Welle, was aber vollkommen egal war, Spaß hat´s im Großen und Ganzen trotzdem gemacht.

 

 

ENSIFERUM, eine meiner diesjährigen Favoriten, sollten so in knapp zwei Stunden auf der T-Stage spielen. Das gab uns nochmal Gelegenheit die trockene Kehle zu benetzen und ein wenig zu entspannen, bevor wir uns ins heutige Nachtprogramm stürzten.
Darauf angesprochen, dass man ihren Stil dem Vikingmetal zuordnen würde, entgegneten die Finnen von ENSIFERUM einmal, dass die Wikinger nicht aus Finnland kämen und sie sich als Warrior sähen. Folglich wäre ihre Musik dann Warriormetal. Letztendlich ist es einerlei, den Spagat zwischen mal mehr, mal weniger hartem Metal (mit und ohne Growls) und folkloristischen Elementen beherrschen sie jedenfalls perfekt. Live war mir dieses Vergnügen leider erst einmal vergönnt und das war im Oktober 2009 in unserem Colos-Saal. Deshalb freute ich mich wie ein Schneekönig auf den bevorstehenden Event.
“Rum, Women, Victory“ aus dem letzten Longplayer brachte den Kahn auch sofort in volle Fahrt voraus. Dieser und “Andromeda“, der obendrein zu später Stunde ebenfalls zum Besten gegeben wurde, sind meiner Meinung nach die stärksten Tracks von “Thalassic“ dem Seefahreralbum. “Twilight Tavern“ lud die begeisterte Gefolgschaft an der T-Stage zunächst zum Nackenmuskeltraining und hinterher zum gemütlichen Biergesang ein. Das nächste Seemannsgarn “Run From the Crushing Tide“ wurde im Duett von Petri Lindroos und Pekka Montin gesponnen. Alter Schwede, hat der Pekka ein Goldkehlchen. Beide wurden durch die absolut präzise gespielten Riffs von Markus Toivonen exzellent unterstützt. Höhepunkt des späten Abends war allerdings das von Mr. Toivonen im Klargesang persönlich vorgetragene “Lai Lai Hei“. Die finnische Weise wurde in über neun Minuten mit der, trotz leichten Regens, gut gelaunten Menge famos zelebriert und Petri durfte zeigen, dass auch er sein Saiteninstrument prima beherrscht. Beim klassischen Rausschmeißer “Iron“ gaben Band und Zuschauer nochmal Alles.

Für uns war aber immer noch nicht Schluss. Vor drei Jahren mussten wir die Frage auf dem Zeltplatz: “Habt Ihr AVATAR gesehen?“ verneinen, was uns direkt eine Schelte einbrachte. Das sollte uns in diesem Jahr nicht passieren. Trotz fortgeschrittener Stunde eilten wir fix von der T-Stage zur Hauptbühne, auf der die Freakshow von AVATAR um fünf vor halb Zwölf begann. Beim Erreichen der Bühne war das Spektakel schon in vollem Gange. Für die ersten beiden Nummern “Colossus“ und “Let It Burn“ stand Drummer John Alfredsson in der Mitte der Bühne an einem kleinen Schlagzeug, das lediglich aus Snare Drum, Hi-Hat, einem Ride-Becken, Bass Drum und einer kleinen Tom Tom bestand. Um ihn herum sprang wild gestikulierend und Grimassen schneidend Johannes Eckerström, das Enfant terrible der Schweden. Vor zwölf Jahren hatte ich diese Band zufällig in einem kleinen Club in Frankfurt (Nachtleben) einmal erlebt. Die Truppe hat sich seitdem erstaunlich weiterentwickelt. Aus dem profanen Melodic-Death-Metal Akt ist eine aparte Mischung geworden. Bei dem Versuch der Zuordnung zu einem bestimmten Genre würde man sich in AVATARs selbst kreiertem Dschungel verlaufen. Die Musik selbst spielte jedoch nicht die übergeordnete Rolle, vielmehr stand die Selbstinszenierung im Vordergrund. Alle Protagonisten waren geschminkt und erinnerten optisch an eine Zirkuskapelle und an vorderster Front agierte Johannes als Dompteur. Sein Äußeres war eine Mixtur aus Alice Cooper und bösem Clown, der mit seinen überaus skurrilen in gebrochenem deutsch vorgetragenen Ansagen die Zuschauer zu animieren suchte. Bezeichnender Weise war er nach zwei Songs bereits vollkommen nass geschwitzt und das strähnige Haar vervollständigte das Bild eines wahnsinnigen Predigers. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, auf irgendeine Weise erinnerte er mich ein wenig an Marilyn Manson.  Entsprechend dem musikalischen Umherspringen zwischen den einzelnen Genres agierte das Ensemble auch visuell auf der Bühne. Dazu wurde das vielschichtige Referenzwerk “Hail The Apocalypse“ aus 2014 folgerichtig am Meisten zitiert. “Puppet Show“ und das in deutsch gesungene “Tsar Bomba“ würde ich als obskure Highlights bezeichnen. Vom Vorgänger “Black Walz“ entschied man sich für die schrägsten Nummern, wie z.B. “Smells Like a Freakshow“. Bei dem der gute Johannes für dessen Ankündigung genussvoll an seinen Achseln schnupperte. Der Titel aus dem o.g. Referenzwerk beendete die spektakuläre Zirkusvorstellung, bei der im Übrigen auch alle Anderen neben dem Direktor Eckerström einen nicht minder phantastischen Job gemacht haben.

Fotsetzung folgt...