M´era Luna 2024 - Sonntag
Der zweite Festivaltag startete um 11 Uhr mit JANREVOLUTION auf der Main Stage, gefolgt von EXTIZE auf der Club Stage. Mancher Festivalgänger blinzelte erst noch verschlafen aus seinem Zelt oder klammerte sich übernächtigt an seinem Kaffee fest, die Sonne hingegen lachte schon mit voller Kraft über dem Hildesheimer Flugplatz. Spätestens STAHLMANN dürften mit Neuer Deutscher Härte-Klängen á la „Asche Zu Asche“ und „Der Schmied“ dann auch noch die letzte Schlafmütze aufgeweckt haben, so dass sowohl vor den Bühnen als auch vor den Verkaufständen der Andrang wieder zunahm. ZERAPHINE kredenzten melodiösen Dark Rock und kommentierten ihr Set trocken mit den Worten „Uns gibt es jetzt ja auch schon über 20 Jahre - da geht man dem Publikum nicht mehr mit neuen Songs auf den Geist, sondern spielt hauptsächlich die alten. Und genau das machen wir jetzt auch!" Warum auch nicht, wenn man Material wie „Be My Rain“, „Die Macht In Dir“ und „Ohne Dich“ im Gepäck hat? Das Publikum jedenfalls freute sich über das Wiedersehen mit alten Klassikern. Anschließend folgte mit D'ARTAGNAN ein Ausflug in Mittelalterrock-Gefilde, die Band versprühte sichtbar gute Laune bei Songs wie „Freiheit und Tod", „Mosqueteros“, „Farewell“ und „Ruf Der Freiheit“ und schloss ihr Set namensgetreu mit dem berühmten „Einer für alle"-Schwur und gezücktem Degen.
Danach wurde die musikalische Gangart härter: die DEATHSTARS standen auf dem Programm. Die Schweden traten das Gaspedal von Anfang an voll durch und lieferten mit Songs wie „Death Dies Hard", „Tongues", „Everything Destroys You" und „Blitzkrieg" eine druckvolle Show ab. Während auf der Club Stage im Anschluss WELLE:ERDBALL übernahmen, wurden die Töne auf der Main Stage danach zumindest etwas leiser, in der Luft lag gespannte Erwartung auf den Auftritt von SCHANDMAUL. Nachdem die Band letztes Jahr aufgrund der schweren Erkrankung von Thomas Lindner alle noch bestehenden Konzerte hatte absagen müssen, hatte man nun einige erste Auftritte mit Gastsängern absolviert, bei denen Lindner, dessen Stimme noch unter den Folgen seiner Rachenkarzinom-Behandlung leidet, an Keyboard und Gitarre stand, und in die sich nun auch das M'era Luna einreihen sollte. Entsprechend groß war der Applaus, als der von seiner Erkrankung sichtbar gezeichnete Fronter die Bühne betrat. Die Band legte mit Gastsänger Georgij von RUSSKAJA und dem Titel „Krieger“ los, bevor Thomas Lindner kurz ans Mikrofon trat: „Leute, hätte man mich vor einem Jahr gefragt, ob wir uns hier nochmal sehen... Ich hatte kein schönes Jahr. Bin aufgeschnitten worden. Bestrahlt. Aber was soll ich sagen: hier stehe ich, und es scheint soweit OK! Nur eins ist quasi noch ein Kollateralschaden - ihr hört es: meine Stimme. Daher bin umso dankbarer dafür, dass ich so einen tollen Freund hier habe, der das übernimmt: Georgij!" Der Applaus wollte kein Ende nehmen, das Gelände vor der Main Stage war mittlerweile proppevoll - alle wollten dem wiedererstandenen Sänger ihre Aufwartung machen, ein fast schon leiser Moment des Respekts, der Anteilnahme und der Solidarität im bunten und lauten Festivaltrubel, der auch die Band rührte. Und ein Moment, der letztendlich auch bezeichnend ist für das M´era Luna, das wie kein anderes Festival für Rücksichtnahme, Respekt und ein friedliches Miteinander steht. Doch SCHANDMAUL wären nicht SCHANDMAUL, wenn sie bei aller Nachdenklichkeit nicht trotzdem noch für Feierlaune gesorgt und dem Publikum Songs wie „Walpurgisnacht“ und das hymnische „Dein Anblick“ zum Abschluss kredenzt hätten.
Sehr viel lauter ging es später auf der Club Stage weiter, wo COMBICHRIST mit ihrem Old School Set die Menge zum Tanzen und dadurch noch mehr zum Glühen brachten, als die sommerlichen Temperaturen es ohnehin schon taten. Wohl dem, der eine Kopfbedeckung oder einen (natürlich schwarzen) Schirm sein Eigen nannte, der Rest behalf sich mit wassergetränkten Schals oder Tüchern. Hat eigentlich schon mal ein Sonnencreme-Hersteller darüber nachgedacht, einen Stand auf dem M'era Luna zu eröffnen, vielleicht noch mit einer Limited-Festival-Edition in schwarzen Flaschen? Die Kraft der Sonneneinstrahlung bekamen jedenfalls auch LORD OF THE LOST zu spüren, die sich mit reichlich Pyrotechnik und Bewegung auf der Bühne auch noch zusätzlich selbst einheizten. In eine Art Discokugel zum Anziehen gehüllt und mit einer guten Portion Selbstironie ausgestattet („Mann, ist das heiß hier! Dabei wollte ich doch eigentlich hinterher noch eine Runde Eiskunstlauf machen - deshalb sehe ich auch so aus!") führte Sänger Chris Harms durchs Programm und angesichts der jubelnden Menge war die (ungerechtfertigte) Klatsche beim letztjährigen ESC für die Band sicherlich gut zu verschmerzen. Der zugehörige Song „Blood And Glitter“ durfte natürlich auch nicht fehlen.
Das M'era Luna bezeichnet sich nicht umsonst als großes Familientreffen der Schwarzen Szene: man kennt sich, mag sich und selbst wenn die Sympathien mal nicht gar zu groß ausfallen, sieht man höflich über die gefühlten Unzulänglichkeiten des anderen hinweg. All das macht das Ganze zu so einer angenehmen und friedlichen Veranstaltung, die trotz der Menge an Leuten so ruhig vonstattengeht, dass selbst die Polizei es sich erlauben kann, den einen oder anderen Verkaufsstand genauer in Augenschein zu nehmen, während sie entspannt über das Gelände patrouilliert. Entsprechend verflog auch die Zeit wie im Flug, der Sonntagabend nahte heran und mit ihm die letzten Bands. Um 19 Uhr waren EPICA dran, mit denen das Programm des zweiten Tages langsam auf seinen Höhepunkt zusteuerte. Die Niederländer um Sängerin Simone Simons starteten mit „Abyss of Time – Countdown To Singularity“ und legten einen energiegeladenen Auftritt hin, bei dem geheadbangt wurde, was das Zeug hielt. Neben der Präsentation von Songs wie „Victims Of Contingency“ und „Cry For The Moon“ kündigten sie auch gleich ihr neues Album an und luden alle Anwesenden zur zugehörigen bevorstehenden Tour ein. Aber auch das Publikum wurde in die Pflicht genommen: eine „big wall of death“ solle man beim letzten Song doch bitte bilden und diesem Wunsch wurde auch auf durchaus beeindruckende Weise entsprochen.
Und dann war es auch schon da, das große Finale mit DIE KRUPPS auf der Club Stage und VNV NATION auf der Main Stage - stets erwartet mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn während mancher dringlich die sonntäglichen Headliner herbeisehnte, markierte ihr Auftritt gleichzeitig natürlich auch schon wieder das Ende der schwarzen Sause. Einige schienen auch schon früher abgereist zu sein, um dem späteren Abreisestau zuvorzukommen, denn ganz so voll wie zuvor bei SCHANDMAUL und LORD OF THE LOST schien das Gelände vor den Bühnen nicht mehr zu sein. Für einen gelungenen Auftritt beider Bands reichte es aber trotzdem noch allemal, und so wurde die Menge später selig, unter einem tiefstehenden Mond und dem Höhepunkt der Perseiden, in die hereinbrechende Nacht entlassen. Um den drohenden Abschiedsschmerz zu lindern, waren zuvor auch noch die ersten Bands für nächstes Jahe bekannt gegeben worden, denn nach dem M'era Luna ist bekanntlich vor dem M'era Luna und Familientreffen sind ja schließlich Pflichttermine – bis zum nächsten Jahr!