Konzert:

OVERKILL, DESTRUCTION, FLOTSAM & JETSAM, REZET in WIESBADEN/SCHLACHTHOF

Konzert vom 23.09.2019

Als ich Anfang September 1991 mit zarten 18 Jahren meine Tasche für die Klassenfahrt nach Südfrankreich packte, durfte der Sony Walkman mit den Kassetten natürlich nicht fehlen. Über mein Doppelkassettendeck hatte ich mir damals noch schnell die am 03.09.1991 frisch erschienene und von mir sofort erworbene „Horrorscope" von OVERKILL für die Fahrt von der gekauften CD kopiert. 

Ärgerlichweise vergaß ich dann alle ausgewählten Kassetten für die Reise bis auf die sich im Walkman befindende „Horrorscope“, so dass ich diese dann während der einwöchigen Klassenfahrt die ganze Zeit hoch und runter spielte. Nach einigen Durchläufen war jedoch klar, dass OVERKILL damals ein neues Meisterwerk abgeliefert hatten. „Nicht eine Note würde ich ändern“, belehrte ich am Strand meine langhaarigen Mitschüler und reichte den Walkman mit den Kopfhörern hin und her. Nach dem grandiosen Vorgänger „Years of Decay" hatte mich die Band endgültig gefangen und noch heute denke ich an die lange Busfahrt in den Süden, die ich nur mit Songs wie „Coma“, „Blood Money“ oder „Thanx For Nothing“ überlebt hatte. Die Songs knallen heute noch so gut, sie sind absolut nicht gealtert. Unfassbar.

Fast 30 Jahre später, das 40jährige Bühnenjubiläum ist für die Band zum Greifen nahe, gibt es OVERKILL immer noch. Die Scheiben nach „Horrorscope“ konnten meines Erachtens nie mehr an die alte Klasse anschließen, dennoch gab es immer wieder sehr gute Songs und es schien, als höre die Band nie auf zu existieren und nicht zu touren. Über 20 Alben in 40 Jahren beweisen, dass OVERKILL nie satt geworden sind, auch wenn neben Sänger Bobby „Blitz“ Ellsworth und Ausnahmebassist D.D. Verni die Streitgenossen immer ausgetauscht wurden. 

Die alte Klasse von Gitarrenwizard Bobby Gustaffson, der übrigens heute noch Musik unter dem Bandnamen SATANS TAINT veröffentlicht und sich nicht scheut, dabei in den Songs an die alten Zeit zu erinnern (auf dem aktuellen Album befindet sich z.B. ein Song namens „Playing With Spiders 2“ oder das stark an „Elimination“ erinnernde „Sumbel“).

Nun kam es nach ein paar Konzerten Anfang des Jahres mit gleichem Billing im Herbst 2019 also zur KILLFEST TOUR Teil 2, die sich wieder durch Europa zog. Mit dabei neben Headliner OVERKILL die deutschen Thrasher REZET, FLOTSAM & JETSAM und DESTRUCTION. Ein schönes Thrashpackage der alten Schule, das doch viele Fans hinter dem Ofen hervorlocken müsste. 

Hier lag ich dann allerdings falsch. Am Montag, dem 23.09.2019 in Wiesbaden im Schlachthof, wo derzeit einige interessante Metalkonzerte stattfinden und geplant sind, machte die Tour einen Stop. Den angestaubten Patronengürtel aus Plastik hoffentlich fest umgeschnallt, musste man aber leider erfahren, dass das Interesse an altem Thrashmetal an dem Abend doch dürftig war. 

Die Halle war selbst zum Headliner nicht mehr als zu ca. 1/3 gefüllt, doch der Reihe nach. 

Als wir zur unchristlichen Zeit um 18 Uhr in die Halle kamen, legten REZET vor einer kleinen Gruppe Zuschauer an der Bühne los, so dass einem die Band schon leid tat. Dennoch: REZET kommen aus Deutschland und spielen kernigen Thrashmetal. Ihr Wurzeln, die man bei KREATOR, SLAYER und schlichtweg älterem Thrash Metal finden kann, wurden schnell offenkundig. Das gespielte Material ist dabei doch eigenständig und wusste zu gefallen, was auch nach kurzer Zeit die wenigen Zuschauern anerkannten. 

Mittlerweile hatte sich die Halle weiter gefüllt. Es sind die alten Thrashbands der 80er, die sich nun ankündigten, so dass es nicht verwunderte, dass das Durchschnittsalter der Metalheads dort doch gefühlt über 50 gelegen hat. Richtige Stimmung wollte an dem Abend aber generell nicht aufkommen: Zu weit gefächert stand man vor der Bühne und konnte sich über mangelnde Beinfreiheit nicht beklagen. 

Weiter ging es also mit FLOTSAM & JETSAM, die für mich an dem Abend zwar völlig reibungslos und auf den Punkt spielten, aber irgendwie auch zu glatt daherkamen. Es hatte den Anschein, als spiele man schlichtweg sein Programm runter, ohne groß auffallen zu wollen oder zu müssen. 

Mit dem Album „The End Of Chaos“ aus dem Januar 2019, welches übrigens ein ungewöhnlich kitschiges Cover präsentiert, hat man größtenteils zwar nochmals richtig aufs Gaspedal gedrückt, aber die Meinungen gehen bei der Scheibe bekanntlich auseinander. FLOTSAM & JETSAM leben gerade von ihrem starken melodischen Einschlag, die ihnen als Thrashmetalband ein Alleinstellungsmerkmal geben. Die richtig großen Melodien gelingen der Band auf der neuen Scheibe nach meinem Empfinden jedoch nicht und mit 3 Songs in ihrem Set von der neuen CD prägte  dies dann auch irgendwie den Auftritt. Solide, mehr nicht.

Hier die Setlist:

1. Prisoner of Time 2. Desecrator 3. Iron Maiden 4. Hammerhead 5. Demolition Man 6. Recover 7. I Live You Die 8. No Place for Disgrace

Nach FLOTSAM & JETSAM  wurde es Zeit für Marcel Schirmer, alias „Schmier“ und seine Konsorten. DESTRUCTION aus Weil am Rhein, sind ein deutsches Aushängeschild in Sachen Thrashmetal neben KREATUR und SODOM. Totenköpfe an den Mikroständern lehrten uns dann direkt das Fürchten.
        
Zum ersten Mal sah ich das Trio live nun als Quartett agieren, denn Damir Eskić verstärkte die Truppe an der Gitarre. Er ist dabei kein Unbekannter bei DESTRUCTION, hat er doch für die 2016er-CD „Under Attack“ bereits drei Soli beigesteuert. Der Schweizer mit bosnischen Wurzeln ist Gitarrenlehrer und war einst Schüler des Coroner-Riffers Tommy Vetterli. Neben Destruction spielt er noch in der Metal-Gruppe GOMORRA. Schmier meinte einmal zu dem Zuwachs: „Er wird die Thrash-Maschine stark halten! Wir sind bereit für neue Abenteuer!“
        
Insgesamt eine richtig gute Idee, denn 3-Mann-Bands leiden oft an einer Drucklosigkeit beim Liveauftritte. Studioalben werden ja in der Regel mit 2 oder mehreren Gitarrenläufen produziert, doch live wird es dann mit einer Gitarre auf der Bühne sehr dünn.
        
Schnell wurde auf der Bühne klar: Damir Eskić ist ein echter Gewinn, ein richtiger Griffbretthexer, der auch eine sehr starke Bühnenpräsenz hat. 
        
Ständig aktiv und voll bei der Sache hat er der Band nochmals einen richtigen Push gegeben, auch wenn er oft halt nur die Gitarrenläufe doppelte. Eine echte Bereicherung und eine gute Entscheidung für die Zukunft. 

Peinlich und etwas altbacken dagegen stets die Ansagen von Schmier zwischen den Songs, die sich an der Grenze zum Fremdschämen bewegten, wenn er klarstellte, dass „wir Metaller unseren eigenen Weg gehen“ und so ein plattes Zeug. Das alles mit einer diabolischen Stimmlage, die in den 80er evtl. angesagt war, heute aber den Wunsch aufkommen lässt, man möge doch besser baldigst den nächsten Song starten. 

Musikalisch war die Band an dem Abend ein echtes Highlight. Druckvoll, eine geile Songauswahl, die mit dem mächtigen „Curse The Gods" eröffnet wurde. Es hat für mich gepasst, obwohl ich mir DESTRUCTION-Alben zuhause doch eher selten anhöre!   
        
Und das wurde gespielt:

1. Curse the Gods 2. Nailed to the Cross 3. Born to Perish 4. Mad Butcher 5. Eternal Ban 6. Inspired by Death 7. Betrayal 8. The Butcher Strikes Back 9. Thrash Till Death 10. Bestial Invasion

Nach einer recht kurzen Umbauphase wurde die Bühne in grünes Licht getaucht und das Intro von „Last Man Standing“ stampfte durch die Boxen. All dies leider vor dem Hintergrund, dass man vor der Bühne doch mit relativ viel Raum stehen konnte, so dass einem auch OVERKILL leid tun musste, vor einem viel zu kleinen Publikum spielen zu müssen. Nicht einmal beim ersten Song wurde es vor der Bühne hakelig. 

Woran es lag, dass so wenige den Weg nach Wiesbaden fanden, mag ich nicht ganz nachvollziehen zu können. Es war ein Montag, aber auch andere Metalbands füllen am Montag einen solchen Saal. Kleinere Hallen hätte ich bei dem Package eigentlich auch nicht gebucht. Das Phänomen, dass die Halle nicht ausreichend gefüllt war, gab es auf der Tour auch in anderen Städten, wie man lesen kann. Erwähnenswert ist sicherlich, dass FLOTSAM & JESTAM, DESTRUCTION und OVERKILL ja auch schon Anfang 2019 bei der KILLFEST TOUR Teil 1 mit einigen deutschen Terminen unterwegs waren, so dass sich manch einer vielleicht nun nicht nochmals die Konstellation ansehen wollte.  

Kommen wir zu der Songauswahl. Mit 20 Alben fällt es natürlich schwer, hier was für jeden zusammenzustellen. Für mich war das an dem Abend nichts. Die großartigen Alben „Years of Decay" oder „Horrorscope“ wurden gerade einmal mit je einem Song („Elimination“ und „Horrorscope“) bedacht und Klassiker wie z.B. „In Union We Stand“ oder „I Hate“ fehlten schlichtweg. Auch die getroffene Auswahl war für mich wenig interessant. Songs wie „Head Of A Pin“ oder „Bring Me The Night“ würde ich nie in ein Liveset stecken. Aber wie schon eingangs erwähnt, man kann es nicht allen recht machen. 

Belastend dann aber auch die Performance der Band an den Abend. Sänger Bobby „Blitz“ Ellsworth, sich mittlerweile mit einem Dschingis-Khan-Bart schmückend, feierte in 2019 seinen 60. Geburtstag. Die vielen Jahre „on the road“ seit den 80er Jahren kann man ihm im Gesicht deutlich ansehen. Müde, verraucht und voller Falten ist er, gezeichnet, aber dennoch bemüht. Gesanglich ist es nicht mehr wie früher, auch wenn man ihm einige Passagen mit den verwinkelten Tönen in den Songs gar nicht zutrauen würde. 

Mit wilden Gesten, als erkläre er die Songtexte auch für Gehörlose, stand er am Mikro. Die Jahre sind an ihm nicht spurlos vorbei gegangen, ich war doch etwas erschrocken. 

Der ergraute D.D. Verni, OVERKILL-Urgestein am Bass, ist dabei aber neben Blitz immer noch ein ständiger Unruheherd auf der Bühne, der die Blicke auf sich ziehen kann und einen knackigen Basssound ablieferte. Seine Bühnenpräsenz ist seit Jahren ungebrochen. 

Dagegen fallen dann die beiden Gitarristen Linsk und Tailer, die doch recht – wie leider fast immer live – hüftsteif auf der Bühne stehen, sehr ab. Derek Tailer dreht sich manchmal etwas im Kreis oder schnippt Plektren nach vorne weg. Leicht gelangweilt, vielleicht lauffaul und sich auf ein paar Mimiken beschränkend, werden die Gitarrenriffs von Tailer und Linsk einfach runtergespielt und irgendwie wirkt es langweilig. Linsk bewegt sich nahezu nicht, vielleicht mal ein verbissenes Gesicht gibt er uns. Hier würde ein Typ wie Damir Eskić gut tun, der neben Blitz und D.D. Verni nochmals Energie auf die Bühne transportieren würde.

Brav und anständig wurden die Songs abgeklatscht. Schlecht war es nicht, aber es war für einen Headliner zu unauffällig und zu harmlos. Selbst die Lichtshow wirkte wie spontan zusammengedrückt und ohne echtes Konzept. 

Es war auch zu wenig los, als dass es vor der Bühne im Publikum mal richtig knallen konnte. Bei den Songs sowieso nicht, mag ich dann noch böse ergänzen. 

Immer wieder ungewohnt sind die Versteckspielchen von BLITZ hinter der Boxenwand in den Momenten, in denen er nicht singen muss. Er läuft dann zurück, steht hinter einer Marshallbox, trinkt dort manchmal was. Zuerst dachte ich, er müsse aufs Klo, gehört aber dann doch zu seinem Konzept.

„Was macht er da eigentlich?“ fragte ich mich, bevor er dann für den nächsten Einsatz wie ein „geölter Blitz“ wieder zum Mikroständer am Bühnenrand sprintete, als dürfe er den Bus nicht verpassen. Dann hängt er am Mikroständer, einen Fuß auf der Monitorbox, wie eine Krake sieht es aus und er krächzt dann je nach Song spitze Schreie ins Mikro. Das bringt Action auf die Bühne, kommt aber teils auch grotesk daher. 

Es gab 12 Songs mit einer Zugabe, was sich wie folgt darstellte:

1. Last Man Standing 2. Electric Rattlesnake 3. Hello From the Gutter 4. Elimination 5. Bring Me the Night 6. Head of a Pin 
7. Horrorscope 8. Under One 9. Bastard Nation 10. Mean, Green, Killing Machine 11. Feel the Fire 12. Ironbound
Zugabe:

1. Deny the Cross 2. Rotten to the Core 3. Fuck You (The Subhumans cover) 4. Welcome to the Garden State

Nach dem letzten Song war D.D. Verni noch so aufgepumpt, dass er seinen Mikroständer über die Bühne schleuderte. Er hatte offenkundig mehr Energie geladen, als alle Zuschauer vor der Bühne zusammen. Die waren bestimmt von ihrem 9to5-Job schon müde und freuten sich aufs Bett. 

Es mag sein, dass meine negativen Eindrücke dann doch mit der fehlenden Stimmung und fehlender Zuschauer zu erklären sind. An dem Abend wurde im Grundsatz ja feiner Thrash Metal geliefert, von Bands, die alle eine lange und ehrbare Geschichte haben. Von daher ist es sehr schade, dass nicht mehr Zuschauer den Weg in die Halle gefunden hatten, es hätte der Stimmung sehr genutzt. Gewinner des Abends sind für mich DESTRUCTION, die mit viel Saft in der Dose ihr Material ablieferten. 

Ich hoffe, OVERKILL finden zu ihrer alten Power zurück, die ich damals mit meinem Walkman in Südfrankreich am Strand so sehr schätzte. An dem Abend in Wiesbaden verblieb leider noch viel Luft nach oben. 

 

  



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