Interview:

2007-05-13 Scorpions

Band anzeigen
Die größte aller deutschen Rockbands hat sich nicht nur beim letzten "Wacken Open Air" mit einer Hammershow eindrucksvoll zurückgemeldet, sondern beschert uns dieser Tage auch mit ihrem neuen Werk "Humanity - Hour I" das wohl beste SCORPIONS-Album seit gut zwei Dekaden. Das sind natürlich einige Gründe, bei Gitarrist und Gründungsmitglied Rudolf Schenker nachzuhaken, dem viel an der aktuellen Message des Albums liegt... InterviewIhr seid ja letztes Jahr in Wacken mit einer richtigen Monstershow aufgetreten. Wie war das denn für Euch?



Das war total tierisch! Wir waren da gerade aus der Mongolei gekommen und hatten nur sehr wenig Zeit dafür. Unser Manager hatte sich wahrscheinlich nichts dabei gedacht und gemeint, dass wir jungen Burschen das mit links durchziehen. Also kurz in die Mongolei, dort gespielt, sofort wieder zurück und in Wacken auftreten. Vorher mussten wir aber noch mit Michael, Uli und Hermann proben, das war schon der Hammer. Am Wichtigsten war dabei aber, noch mal mit unseren alten Kumpels auftreten zu können und die etwa 60000 Metal-Fans vor der Bühne begeistert zu haben! Wir hatten ja eine ca. dreistündige Show, und es war schon ziemlich anstrengend. Aber es hat unheimlich Spaß gemacht und uns gezeigt, dass man sich immer noch Ziele setzen kann.



Wie lange hattet Ihr Euch denn vorher nicht mehr gesehen?



Mit Uli hatten wir ca. eineinhalb oder zwei Jahre zuvor schon einen Auftritt absolviert. Mit Michael hatten wir aber schon sehr lange nicht gespielt. Wie lange das nun genau war, kann ich auch nicht sagen, denn die Zeit geht dahin wie im Fluge. Manchmal weiß man ja gar nicht mehr, ob man von einem Jahr oder von zehn Jahren spricht. Das war aber echt klasse und kommt bestimmt irgendwann als DVD raus.



Der Gig wurde also mitgeschnitten?! Hattet Ihr Euch extra dieses Wacken-Konzert dafür ausgesucht?



Ja, klar! Der Veranstalter hat sowieso alles aufgenommen und uns gleich gefragt, ob wir das Spektakel auch mit drauf haben möchten. Damit waren wir natürlich sofort einverstanden.



Wie lang hatte die Vorbereitungszeit denn genau gedauert?



Wie gesagt, das ging ganz schnell. Und da die anderen Mitstreiter sehr begabte Musiker sind, gab es da keine Probleme. Natürlich mussten wir auch neue Songs einüben, aber ich sage mal so: wenn Du so etwas umsetzen willst, dann ist immer genug Zeit und Willen da. Man muss sich zwar mehr konzentrieren und tougher an die Sache rangehen, aber bei den SCORPIONS galt schon immer: wenn wir etwas wollen, dann ziehen wir es auch durch!



Ein besonderes Geschenk an die Metal-Fans war auf jeden Fall, dass "Wind Of Change" nicht gespielt wurde.



Ja, siehst Du! So sensibel sind wir auch, dass wir wissen, was wir wann spielen sollen. Wir hatten ja den Fans auch zuvor über das Internet die Möglichkeit gegeben, abzustimmen, welche Songs sie gerne hören würden. Aufgrund dessen haben wir dann das Programm zusammengestellt.



Auch Stücke wie "You And I" habt Ihr konsequenterweise gleich außen vor gelassen...



Richtig!



Ist Euer neues Werk "Humanity - Hour I" ein Konzeptalbum? Der Titel und auch der Inhalt der Songs lassen darauf schließen.



Es ist ein leichtes Konzeptalbum, ja, aber es wird keine klassische Geschichte von vorn bis hinten erzählt. Es ist ein Konzept, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht. Der erste Song, "Hour I", handelt davon, dass der Mensch mittlerweile 10000 Jahre auf der Erde lebt und wirft die Frage auf, wo wir heute stehen. Die Message dieses lockeren Konzepts dreht sich darum, das Kollektivbewusstsein der Menschen mit anzuheben und nicht alleine, mit Menschen wie Al Gore, U2 oder auch anderen Bands. Schon das Cover-Artwork, diese Frau, halb Mensch, halb Roboter, die vor einem Atomkrater steht, zeigt, dass der Mensch nach links oder rechts gehen kann. Wir können eine Katastrophe herauf beschwören oder unsere Welt positiv aufbauen. Das sagt jeder Song des Albums aus, es geht auch um zwischenmenschliche Beziehungen bis hin zum "Game Of Life" oder um einen Priester, der einen Jugendlichen missbraucht hat. Dort ist auch Billy Corgan von den SMASHING PUMPKINS zu hören, der Gitarre spielt und mitsingt. Im letzten Stück "Humanity", meinem persönlichen Lieblingsstück, wird noch einmal zum Beispiel auf Erderwärmung hingewiesen und dass der Mensch sich immer mehr zum Computer entwickelt und eine Nummer geworden ist. Man sollte wieder mehr auf Beziehungen eingehen und nicht immer nur die Karriere in den Mittelpunkt stellen, bis alles Menschliche verloren gegangen ist. Darum ist am Schluss auch diese Band aus New Orleans zu hören, die dort halb blau noch herumspielt, nach dem Motto: das ist uns sowieso alles scheißegal! Auch das Kind, das sagt: "It´s time!", soll so gedeutet werden, dass es endlich Zeit ist, etwas zu tun. Wir wollen damit jeden Menschen ansprechen, der sich in die Scheibe hineinhört und seine eigenen Interpretationen aus den Texten herausholt. Wenn der Einzelne etwas tut und Millionen Andere genauso denken, dann lässt sich auch was bewegen. So ist jede einzelne Person für sich isoliert, aber gemeinsam mit vielen anderen kann auch die einzelne Meinung etwas bewirken. Jeder Mensch ist wichtig, er muss sich dessen nur bewusst sein! Wenn man sich dessen nicht bewusst ist, dann überlässt man die Entscheidungen weiterhin den regierenden Mächten, und das wäre nicht gut für die Menschheit. Jeder Mensch kann etwas verändern, und er sollte es auch; das ist die Message auf diesem Album: make love, not war!



Es läuft doch auch gerade dieses internationale Rockprojekt zum Thema Klimaschutz.



Richtig! Das ist am 07.07.07. Das geht in genau dieselbe Richtung. Das Unglaubliche daran ist aber, dass wir, als wir seinerzeit in Los Angeles an "Humanity - Hour I" arbeiteten und gerade "Humanity Goodbye" aufgenommen hatten, eine "Bild"-Zeitung kauften, in der ganz groß "Humanity Goodbye" stand. Wir arbeiten gerade an dem Titel, und da schreiben sie diese Zeile! Wir sind also ganz dicht dran zu sehen, wie sich die Menschheit selbst kaputt macht. Und es ist wieder Zeit, sich dessen bewusst zu sein, man muss es nur in Angriff nehmen.



Seid Ihr denn selbst auch an diesem Rock-Projekt beteiligt?



Wir wollten dabei sein, aber wir hatten schon ein Vertrag, dass wir zu der Zeit irgendwo in der Slowakei oder in Slowenien spielen. Wir sind aber dran, dass wir dann von da unten live übertragen werden. Das heißt, es gibt immer wieder Einspielungen von anderen Ländern und anderen Konzerten, und wir möchten gerne, dass unser Konzert, das wir zu dem Zeitpunkt spielen, in den Umbaupausen übertragen wird.



Mir ist aufgefallen, dass Euer neues Album sehr modern klingt. Wolltet Ihr wieder einen Schritt in Richtung zeitgemäßer Klänge tun?



Wir sind eine Band von heute! Das zeigen wir immer dadurch, dass wir uns auch für heute interessieren. Wir wissen schon, dass es Leute gibt, die uns am Liebsten heute noch so sehen würden, wie wir 1982 waren, und die gerne "Blackout Nr. 10" hören würden. Das können wir aber nicht, weil wir als Menschen sehr interessiert an der Gegenwart sind, und da sind wir natürlich auch offen für neue Einflüsse. Da kommt man auch nicht daran vorbei, digital zu arbeiten. Bei der Produktion war uns wichtig, dass wir auch die SCORPIONS von heute zeigen. Es lief so ab, dass unser zweiter Produzent James Michael hauptsächlich die Gitarren, die Drums und den Bass produziert hat, während Desmond Child den "Overview" hatte und die Stimme von Klaus in Szene gesetzt hat. Wir wollten gerne die Brücke zwischen alten und neuen SCORPIONS schlagen, und mit "Game Of Life" oder "You´re Lovin´ Me To Death" zeigen wir mehr die alten SCORPIONS, während bei "Hour I" oder "The Cross" eher die neuere Band hervorsticht. Wir haben versucht, eine Synthese zu schaffen und hoffen, dass uns das auch geglückt ist. Fest steht auch, dass wir sehr viele neue, junge Fans haben, die erst dadurch auf uns aufmerksam geworden sind, dass Leute wie Billy Corgan oder Bands wie SYSTEM OF A DOWN, GREEN DAY oder 3 DOORS DOWN Fans der SCORPIONS sind. Sie sind dann total baff, wie viel Power die Band hat.



Aber die Entscheidung, eine moderne, zeitgemäße Produktion zu fahren, ging auch schon mal stark nach hinten los. Man erinnere sich nur an "Eye II Eye".



Das war zu extrem! Das war gerade die Zeit, als digitale Aufnahmen, Loops und solche Dinge aktuell wurden. Davon sind wir jetzt aber weit entfernt. Ich glaube, dass wir ein Rockalbum gemacht haben, auf dem zwölf sehr starke Songs stehen und dass dabei trotzdem nach heute klingt. Wir können auch gar nicht mehr nach gestern klingen, weil nun mal - leider - eine Band von heute geworden sind.



Wie sieht denn Eure Arbeitsweise im Moment aus? Arbeitet Ihr denn im Studio nur zu dritt, also mit dem "harten Kern" der Band?



Nein, wir arbeiten zu fünft, aber dadurch, dass wir drei eine so lange Geschichte mit uns herum tragen, kommt der Gedanke bei vielen Leuten auf. Natürlich sind Pawel und James im künstlerischen Bereich voll mit eingebunden und so aktiv wie sie können. Wir drei haben natürlich bei unserer Vorgehensweise einen gewissen Vorsprung, aber man hat bei "Unbreakable" gesehen, dass James auch mitgeschrieben hat. Da kommt mal mehr und mal weniger.



Bei einigen Songs, speziell am Anfang von "We Were Born To Fly", kommt es mir zumindest so vor, als sei dort ein Drumcomputer zu hören.



Das liegt dann aber an der modernen Aufnahme. James hat alle Sachen selbst eingespielt. Natürlich hatte er davor geübt wie ein Wahnsinniger, damit es möglichst gut klingt. Wir haben auch Samples eingesetzt, um einen geilen Sound zu bekommen... vielleicht liegt das daran.



Mir fällt auch auf, dass Klaus´ Stimme an vielen Stellen gedoppelt worden zu sein scheint.



Ja, aber das haben wir früher auch schon gemacht. Das hört man heutzutage aber viel besser, weil die Produktion auf der einen Seite dreckig und auf der anderen Seite sauber ist. Wir haben auf den Gesang sehr großen Wert gelegt, und Desmond Child hatte für Klaus sogar einen speziellen Vocal-Coach besorgt, damit sich sein Gesang noch weiter verbessert und er in der Lage ist, die ganzen Songs auch bis zum Ende durch zu singen.



Das Album klingt stilistisch sehr ausgewogen. Balladeske und rockige Songs halten sich gut die Waage. Wie wichtig war Euch diese Balance?



Wir sind keine Heavy Metal-Band in der alten Tradition! Immer, wenn Leute auf uns zukamen und meinten, wir seien eine Heavy Metal-Band, haben wir dagegengehalten und gesagt, dass wir eine Rock-Band sind. Das sind wir nun mal! Und wir haben einen ausgezeichneten Sänger, von dem wir nicht verlangen, dass er von der ersten bis zur letzten Sekunde herumschreit. Wir wollen unser musikalisches Potential ausnutzen, dafür sind wir die SCORPIONS! AC/DC etwa fahren ihre Schiene, was ich auch extrem hoch lobe, und auch andere Bands sind da anders geartet, aber wir sind die SCORPIONS und haben diese Musik gemacht, seit die Band existiert, mal mehr, mal weniger. Wir suchen uns immer die Möglichkeiten aus, die ins Konzept passen, und bei "Humanity - Hour I" treten wir anders auf als bei "Unbreakable", und beim nächsten Mal kann es sich wieder ändern. Wichtig ist uns die Momentaufnahme, und wir haben für das Album sogar 15 Songs aufgenommen, wovon wir blutenden Herzens einige Stücke weglassen mussten. Ein Song zum Beispiel, "Cold", wird auf der "Limited Edition" stehen, und wenn Du ihn hörst, wirst Du Dich fragen, warum wir ihn nicht regulär mit auf das Album genommen haben. Wir hatten also noch drei sehr gute Titel, haben uns am Ende aber für diese Mischung entschieden.



Wie steht Ihr denn dazu, dass viele Fans immer nur die alten Sachen hören wollen? Du hast ja vorhin schon angedeutet, dass es Leute gibt, die alles nach "Lovedrive", "Blackout" oder "Love At First Sting" am Liebsten gar nicht haben möchten. Wie geht Ihr damit um?



Man muss dazu sagen, dass sich bei den ganzen Songs, die wir über die vielen Jahre geschrieben haben, natürlich die Highlights herauskristallisieren, mit denen die Leute dann zur Band stoßen. Zugegebenermaßen kommt man in der Zeit, in der man ein neues Album komponiert, auch nicht immer an Höchstleistungen wie "Blackout" oder "Love At First Sting" heran. Bei "Humanity - Hour I" haben wir es aber geschafft, ein Album aufzunehmen, das wir uns schon seit 15 Jahren gewünscht haben. Wir wollten wieder eine echte Hitdichte haben, bei der jeder Song sehr dominant und gut ist, und dieses Mal haben wir das geschafft. Und dann kommt auch die Zeit, in der die Leute die neuen Stücke hören wollen. Das schaffen wir, indem wir Stücke schreiben, die einfach besser sind als etwa auf "Blackout". Das ist der einzige Weg, die Fans dazu zu bekommen, nicht immer nur nach den alten Songs zu rufen! Live werden sechs neue Stücke kommen, und der Rest wird wie gehabt aus Klassikern bestehen.



Was ist denn rückblickend Dein persönliches SCORPIONS-Lieblingsalbum über all die Jahre?



Oh, da gibt es mehrere! Wenn Du mich nach meinen persönliches Lieblingssongs fragst, dann kann ich "Still Loving You" und "Rock You Like A Hurricane" sagen, aber auch "Wind Of Change", wofür mich sicher viele verfluchen werden. Der Song ist ja zum Soundtrack einer friedvollen Revolution geworden, bei der kein Schuss gefallen ist. Darum hat er für mich eine außergewöhnliche Position bekommen. Bei den Alben kann ich auch "Blackout", "Lovedrive" und "Love At First Sting" anführen. Und jetzt natürlich "Humanity - Hour I".



Geht Ihr denn selbst auch noch auf Konzerte?



Klar, wenn es eine interessante Band ist, wie VELVET REVOLVER, die ROLLING STONES, RED HOT CHILI PEPPERS oder GREEN DAY. Wenn da etwas ansteht, bin ich sofort dabei!



Du magst also auch modernere Bands?!



Na ja, ich habe die Scheiben von LED ZEPPELIN schon 10000 mal gehört. Soll ich mir da eine neue schnitzen?! Ich bin jemand, der sich auch gerne von neueren Bands inspirieren lässt. Inspirieren in so fern, dass ich mich freue, wenn eine Band wie die CHILI PEPPERS eine geile neue Platte aufgenommen haben. Und wenn mich etwa die neue SYSTEM OF A DOWN antörnt, ist das doch geil! Ich kann doch nicht sagen, dass alle neuen Sachen immer nur scheiße und nur die alten Sachen gut sind. Was soll das denn sein?! Ich bin da sehr offen, ich mag zum Beispiel auch METALLICA sehr gerne oder RAMMSTEIN, die beide auch ihren Weg nach oben gegangen sind. RAMMSTEIN erinnern mich in gewissen Sinn sogar an die SCORPIONS, obwohl sie natürlich extremer sind, aber sie spielen in unserer Liga, weil sie einfach außergewöhnlich sind. Ich kann mich noch an ein Festival erinnern, auf dem auch Ozzy spielte, und auf dem RAMMSTEIN Headliner waren. Ich stand am Monitor-Mixer zusammen mit Tony Iommi und Jimmy Page, und als RAMMSTEIN anfingen zu spielen, standen die beiden mit offenen Mündern da. Das war echt tierisch! Es muss aber neue Sachen geben, und wenn Du selbst mal Bands inspiriert hast, musst Du zusehen, dass Dich rückwirkend auch wieder jemand inspiriert. So ist der Lauf der Musik.



Klaus und Du sind doch die letzten beiden verbliebenen Gründungsmitglieder der SCORPIONS. Die Legende sagt ja, dass sich die beiden kreativen Köpfe einer Band nie sonderlich grün sind. Das war bei Lennon/McCartney so oder auch bei Page/Plant oder Jagger/Richards. Verbindet Euch beide auch insgeheim so eine Art von Hassliebe, um es mal so auszudrücken?



Wir haben unsere Auseinandersetzungen, keine Frage. Das ist auch gut so, denn wenn das nicht vorhanden wäre, könnte auch kein kreatives Potential entstehen. Aber die positive Energie, die da entsteht, wird für das Projekt genutzt. Es darf nicht um das Ego gehen und darum, dass einer bekannter und besser ist als der andere. Das ist mir auch egal, und Klaus hat als Sänger und Frontmann sowieso den größten Anteil. Es liegt an uns als Band, das Beste daraus zu machen und Klaus so gut wie möglich zu unterstützen, damit die beste Performance entsteht. Und genau das war bei Leuten wie Page/Plant auch so, und vielleicht waren sie noch zu jung oder standen zu sehr unter Druck, so dass da irgendwelcher Hass entstehen konnte. Sowas wollen wir aber nicht und suchen immer nach einem Weg, wie wir das Projekt SCORPIONS positiv unterstützen können.




Scorpions_1 Scorpions_2