Interview:

2003-08-20 Nevermore

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NEVERMORE gelten als eine der besten Power Metal-Bands der Gegenwart. "Schuld" daran ist ohne Zweifel zu größten Teilen ihr Frontmann und Hauptsongwriter Warrel Dane. Davon, dass der Mann entgegengesetzt seiner oftmals düsteren und selbstzerstörerischen Kompositionen und Texte ein sehr gesprächiger und sympathischer Zeitgenosse ist, der auch schon mal für den einen oder anderen Kalauer zu haben ist, könnt Ihr Euch selbst überzeugen, wenn er alles Mögliche rund um seine Band, das neue Album und Gott und der Welt zum Besten gibt.InterviewMögt Ihr Deutschland? Ich denke doch, Ihr seid gerade in Deutschland?!



Im Moment bin ich gerade in Dortmund und genieße ein deutsches Bier, aber nicht gerade das heiße Wetter. Ich wünschte, es würde mal etwas regnen.



Na ja, Sturmwarnungen gab es ja bereits... aber egal. Erzähl mir doch bitte mal etwas über das neue Album. Ich denke, die Produktion der neuen Scheibe ist nicht so gut wie die des letzten Albums.



Das, was Du gerade hast, ist eine Promo-CD, nicht das finale Mastering. Das ist schon ein Problem. Wir haben das Album aber remastert. Wir hatten das selbe Problem mit "Dead Heart In A Dead World", das ebenso mehr als einmal remastert werden musste. Als wir dann das Resultat gehört hatten, waren wir glücklich über die Arbeit. Aber es war zu spät für die Promos, die vorher schon in Europa verschickt wurden. Es tut mir nun leid, dass du nicht die endgültige Version hast, denn diese klingt sehr viel besser.



Viele Leute haben schon gesagt, dass sich die Produktion doch etwas, äähhmm, "preiswert" anhört. Es wird ebenso behauptet, dass Ihr nicht genug Geld hattet, das Album ordentlich zu produzieren.



... ja, da könnte etwas dran sein... und bitte belass es jetzt dabei (lacht dabei - Anm. D. Verf.)



In Ordnung. Wie sieht es mit den kommerziellen Aspekten des neuen Albums aus? Meiner Meinung nach klingt das Teil sehr komplex.



Ja, ich denke, dass wir diese Komplexität immer in unserer Musik hatten. Sie kam bei diesem Album aus diversen Gründen eben mehr zum Vorschein. Das hatten wir aber nicht wirklich geplant. Wenn Du Dir "The Politics Of Ecstasy" anhörst, wirst Du merken, dass da ganz schön abgefahrene Sachen zu hören sind. Nun, dieses Album ist zwar nicht so komplex geraten, aber die Neue hat doch einen gewissen stilistischen Touch dieser Scheibe.



Ich finde die Neue auch viel komplexer als Euer letztes Album "Dead Heart...".



Ja, das stimmt.



Wenn Du das neue Album mit Euren früheren Werken vergleichst, was, würdest Du sagen, habt Ihr diesmal anders gemacht oder verändert?



Oh, wir haben nicht wirklich etwas anders gemacht. Man bringt einfach die Sachen im Kopf in das Songwriting ein und man hat ja nicht immer die gleichen Gedanken. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass es von uns keine zwei Platten gibt, die sich identisch anhören. Jede hat ihre eigenen, einzigartigen Qualitäten und ich denke nicht, dass wir jemals "Dead Heart... Part 2" oder "Dreaming Neon Black Part 2" machen werden. Das wäre irgendwie dämlich. "Dead Heart..." war unsere bisher erfolgreichste Scheibe und viele Leute haben genau davon "Part 2" erwartet. Das ist es aber eben nicht, was sie bekommen; sie bekommen "Enemies Of Reality" und gerade darüber bin ich froh.



Welches NEVERMORE-Album würdest du persönlich vorziehen, wenn Du zurückschaust?



Natürlich ist "Dreaming Neon Black" einer meiner persönlichen Favoriten, gerade weil die Storyline sehr persönlich ist und weil es eben ein Konzeptalbum ist, das teilweise auf eigenen Lebenserfahrungen beruht.



Das führt mich doch gleich zu der Frage, wie es mit den Texten auf Eurem neuen Album aussieht. Was wollt Ihr den Hörern mitteilen?



Töte Deinen Fernseher, bevor er Dich tötet!



Jo, das ist doch mal ein Statement. (Warrel lacht erneut - Anm. D. Verf.)



Ok, das ist wohl etwas... ich weiß nicht... die meisten der Texte auf diesem Album sind so etwas wie Dichtung für mich. Ich habe mich nicht hingesetzt und bewußt einen Song über irgendein bestimmtes Thema verfasst. Das ist auch der Grund, warum innerhalb der Texte eine Art tiefergreifender roter Faden zu finden ist. Und von diesem Standpunkt aus kann man ihre Bedeutung nicht in ein oder zwei Sätzen erklären, denke ich. Vielleicht ist es besser, wenn sich die Leute die Platte anhören und sich ihre eigenen Interpretationen bilden, denn der Eine hat diese Meinung, der Nächste eine ganz andere. Das ist für mich gerade die Herausforderung, die Texte so zu gestalten, dass die Leute selbst darüber nachdenken und so zu ihrer eigenen Lösung kommen.



Soweit ich weiß, habt Ihr aber auch schon Songs über politische Begebenheiten geschrieben. Ich denke da zum Beispiel an "The Tiananmen Man".



Ja, das stimmt, aber auf dem neuen Album gibt es nichts Politisches. Ich habe das wohl in der Vergangenheit getan, aber eben nicht diesmal; in keinem Song.



So weit, so gut. Wie sieht es mit einigen SANCTUARY-Songs auf Tour aus?



ABSOLUT NICHT!!!



Warum nicht?



Weil wir schon vor Jahren fast alle SANCTUARY-Songs beider Alben auf Tour gespielt haben... und heute sind wir an einem Punkt, an dem wir sechs Alben draußen haben. Ich kann es mir nun einmal aussuchen, ob wir die alten Songs spielen wollen; was nicht heißen soll, dass wir es niemals wieder tun werden. Aber für den Moment haben wir uns entschieden, unser Augenmerk auf NEVERMORE richten, anstatt auf jeder Tour immer wieder in die Vergangenheit zu springen. Ich glaube, das brauchen wir nicht mehr. Ich weiß, daß einige Leute diese Songs hören wollen, aber wir haben sie schon auf so vielen Touren gespielt und nun stellen wir sie zurück.



Aber die Fans lieben Eure alten Stücke.



Ja, die älteren Fans lieben die älteren Stücke, aber die jüngeren Fans wissen nicht einmal, dass es alte Songs sind. Irgendwo in Deutschland haben wir..., oh... ich kann mich gar nicht mehr erinnern, welcher Song es war..., ...jedenfalls einen von SANCTUARY, gespielt. Und nach der Show kam dieses vielleicht 13-jährige Kind zu mir und sagte: "Wow, dieser NEUE Song, den Ihr da eben gespielt habt, war wirklich cool! Wann kommt denn das Album raus?". Und ich antwortete: "1988". Ha Ha! Es gibt eine ganze Reihe junger NEVERMORE-Fans, die nicht einmal wissen, dass diese Band existierte. Und ich weiß sehr wohl schon, dass die älteren Fans dieses Zeug mögen, aber zur Zeit spielen wir keines dieser Stücke live. Aber, wie gesagt, heißt das nicht, dass wir es nie wieder tun werden; im Moment steht NEVERMORE im Vordergrund.



Ja, wie steht es denn mit Touren zum neuen Album? Eine World-Tour oder...?



… ja! Wir werden eine Europa-Tour beginnen, vielleicht sogar in Deutschland. Es ist zur Zeit in Planung. Im September geht’s los und läuft, denke ich, bis Ende Oktober. Wir werden jedes Land in Europa besuchen, soweit es möglich ist und Deutschland ist ein großer Markt für uns. Darum könnte es hier losgehen.



Geht Ihr auf Tour als Headliner?



Ja. Als Headliner.



Ich habe Euch schon als Support von Annihilator in Braunschweig gesehen.



Braunschweig? Das war die erste oder die letzte Show. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern.



Das war ein geiler Gig.



Ja, die Tour hat Spaß gemacht. Soilwork waren ja auch dabei.



Jedenfalls war das mal ein tolles Package.



Wir arbeiten auch hart daran, für die kommende Tour wieder so ein Package zusammenzustellen. Es wird mit vielen Namen jongliert und ich habe noch keine Ahnung, wer letztendlich dabeisein wird. Bereite dich aber schonmal auf ein richtig starkes Package vor.



Hmm, wie wäre es mit ICED EARTH?



Hahaha... wenn sie denn einen Sänger hätten...



Richtig, wenn sie hätten...



Wir haben mit Iced Earth zu viele Male getourt.



Aber Eure stilistischen Ausrichtungen sind ähnlich.



WAAAS?



Na ja, Ihr seid progressiver, aber... es ist beides Power Metal.



Hmm. Na ja, es wird interessant, zu sehen, was mit dieser Band passieren wird, denn, wie ich schon sagte, sie haben keinen Sänger... vielleicht wird John der neue Sänger werden, was mich nicht überraschen würde.



Jon Schaffer selbst?



Nun, das klingt logisch oder nicht?!



Ich habe ihn selbst noch nicht singen gehört.



Habe ich auch noch nicht. Vielleicht wird das auch nicht passieren; keine Ahnung.



Oder Hansi Kürsch?



Ja, aber der war schon mal dran... und ich glaube nicht, dass er BLIND GUARDIAN im Moment verlassen würde.



Das glaube ich auch nicht wirklich..... was sind eigentlich Deine persönlichen Faves? Platten oder Bands?



Zur Zeit oder die Klassiker?



Beides.



Ok, ich sag Dir meine Top-5-Alltime-Klassiker bei den Alben. Das wären "The Wall" von PINK FLOYD, "Ride The Lightning" von METALLICA, "Heartwork" von CARCASS, "2112" von RUSH und PRIEST’s "Unleashed In The East".
Zur Zeit höre ich viel PORCUPINE TREE. Alle ihre Platten sind "fucking great". Schöne Harmonien und Melodien. Es ist einfach nur großartige Musik, genau wie auch das neue CARNAL FORGE-Album und die neue SOILWORK.



Und... hähä... was sagst Du zu "St. Anger"?



Hahaha!



Das ist ja im Moment DAS Thema.



Ähm... ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich habe das Ding heute zum ersten Mal gehört und bin immer noch geschockt. Es klingt so grausam, dass ich es nicht verstehe.



Besonders der Drumsound, denke ich, ist etwas... na ja...



Genau das ist es, was mir total auf den Wecker geht. Es ist so bizarr... ich kann mir niemanden vorstellen, der sagt: "Boah, das klingt ja geil!".



Einige Fans lieben es.



Wer sind diese Leute? Ich habe sie nie kennengelernt.



Wie wäre eine Tour mit METALLICA?



Natürlich wären wir dabei, wenn wir die Möglichkeit hätten. Aber weißt Du, mit wem sie in den Vereinigten Staaten touren? Mit LIMP BIZKIT, LINKIN PARK und den DEFTONES. Und METALLICA sind Headliner. Das ist wirklich... ohhhhh... ich weiß nicht. METALLICA könnten jede Band auf Tour mitnehmen, die sie wollten und trotzdem jede Station ausverkaufen. Sie brauchen LIMP BIZKIT und LINKIN PARK nicht. Sie könnten jungen, unbekannten Metal-Bands die Chance geben, sich mal zu zeigen, aber das ist ihnen völlig egal.



Ich kann mich erinnern, davon gehört zu haben, dass Ihr eine Eurer Shows mit den Worten: "We’re NEVERMORE from Seattle - and Grunge is dead!" beendet habt.



Hahahahahaha!!! Und das war augenscheinlich eine prophetische Aussage, denn wie sich herausgestellt hat, ist er wirklich tot.



Ich denke, in jenem Moment habt Ihr viele neue Fans gewonnen.



Hahaha!



Also denke ich mir mal, dass Ihr keine großen Grunge-Fans seid...



Nein. Ich mochte ALICE IN CHAINS, aber die gingen mehr in die Metal-Richtung. Grunge... hmm... ich denke, diese Musik ist verschwunden.



Sie hat sich quasi von selbst in "Nirvana" befördert.



Ja, der Schuss, der um die Welt ging!



Wie sieht es denn so mit der Metal-Szene in Seattle generell aus?



Nun, zur Zeit ist der Metal-Underground in Seattle verdammt stark. Die ganzen Metal-Shows kommen in die Clubs und sind ausverkauft. Das war so, als IN FLAMES kamen oder THE HAUNTED oder DIMMU BORGIR; bei ICED EARTH war es genauso. Also, die Metal-Szene in Seattle ist schon sehr stark. Es gibt zum Beispiel diese eine neue Band, die gerade ein neues Album veröffentlicht hat; sie nennt sich HIMSA. Sie kommen aus Seattle und sie mixen ein wenig Hardcore-Gesangsstil mit schwedischen Death Metal-Sounds und sind sehr sehr gut. Wir haben nun eine wirklich gesunde Szene und überall in den Staaten sieht es genauso aus. Die Szene wird sehr viel stärker.



Wenn Du die europäischen, speziell die deutschen, Fans mit denen in den Vereinigten Staaten vergleichst: was kannst Du über die Unterschiede sagen?



Der einzige Unterschied ist die Art und Weise, wie die Leute gekleidet sind. Man sieht viel mehr Jeans und Leder in Europa. In den Staaten gibt es davon nicht mehr viel.



Was tragen sie denn in den Staaten?



Ich glaube, modernere Klamotten. Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll... hmm... jeder trägt noch ein Metal-Shirt, aber man sieht keine Jeans-Kutten mit den ganzen Patches mehr, die man hierzulande (in Deutschland - Anm. d. Verf.) ständig sieht. Aber das war in den Staaten auch nie wirklich populär, sondern mehr eine europäische Sache. Hingegen tendieren die Kids in den Staaten mehr dazu, Pits zu bilden. Es scheint, als ob die europäische Gemeinschaft das nicht so oft macht. Das ist der Hauptunterschied.



Was hältst Du denn von Festivals? Mögt Ihr lieber Festivals oder Hallengigs?



Es macht beides Spaß. Festivals generell, weil man dort gut herumhängen kann. Wir sind mit so vielen Bands getourt und haben uns mit einigen von ihnen angefreundet. Darum freuen wir uns auch immer darauf, Festivals abzureißen. Aber es nicht nur das Herumhängen, sondern auch, vor einer Masse von Leuten zu spielen. Dann findet dieser Energieaustausch statt, der so etwas wie die beste Droge der Welt ist und man bekommt einen ungeheuren Adrenalinstoß. Aber in kleineren Hallen oder Clubs zu spielen, ist viel persönlicher. Beide haben eben ihre guten Seiten. Ich kann nicht wirklich behaupten, dass ich eine von beiden Möglichkeiten bevorzuge, denn ich liebe Liveauftritte.



Ihr seid auch eine von wenigen Bands, die sich nach dem Gig die Fans auf die Bühne holen.



Ich versuche es. Manchmal funktioniert es nicht und manchmal bekomme ich viel Ärger...



... von der Security?!



Ja.



Habt Ihr keine Angst, dass Euch eventuell ein Fan ans Leder wollen könnte oder so etwas?



Nein, nicht wirklich. Ich würde hoffen, sie haben das nicht vor.



Trotzdem ist es ungewöhnlich.



Das stimmt, aber weißt du, ich habe immer eine gute Zeit auf der Bühne und möchte immer gerne einige Freunde dort um mich herum haben... außer den Typen von der Band, haha. Es scheint, als ob die Kids es toll finden, wenn sie nach dem Gig endlich den Weg auf die Bühne finden.



Sind für dieses Jahr einige Festivals für NEVERMORE geplant?



Nein, dieses Jahr nicht. Wir haben vor einigen Wochen ein Festival in Deutschland gespielt; das Rock Hard-Festival, und wir werden möglicherweise sämtliche Festivals nächstes Jahr spielen. Zur Zeit planen wir ja die Europa-Headliner-Tour.



Welche Songs des neuen Albums habt Ihr auf dem Rock Hard-Festival gespielt?



Das waren "Enemies Of Reality", "Ambivalent", "Who Decides" und "Create The Infinite", also vier neue Songs.



Eine Sache ist mir noch aufgefallen: Eure neue CD ist relativ kurz ausgefallen, verglichen mit den alten Alben.



Ja, wir wollten kurz, brutal und auf den Punkt kommend sein. Eine Menge der Songs war sowieso ein wenig kürzer als wir es gewohnt sind, aber wir haben nicht bewusst versucht, ein Album aufzunehmen, das nicht so lang ist wie die anderen. Es gibt ja auch keine festgelegte Zeit, die unsere Alben lang sein müssen; jedesmal 65 Minuten oder so.




Werdet Ihr eine oder mehrere Singles auskoppeln? Wegen der kurzen Songs bietet sich doch so etwas an.



Ich weiß es nicht. Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber wir werden in einigen Wochen ein Video zum Titelsong drehen. Ich weiß auch noch nicht, ob es auf einer Single veröffentlicht wird; das ist Sache der Plattenfirma. Aber ich habe davon noch keine Pläne mitbekommen.



Vielleicht "Tomorrow Turned Into Yesterday"?



Vielleicht ware das für den europäischen Markt das Beste. Es ist immerhin das, was auf dem Album einer "Ballade" am Nächsten ist.



Ok, gibt es irgend etwas, dass Du den Fans da draußen mitteilen möchtest?



So etwas wie ein letztes Statement?



Ja, genau.



Ich möchte gerne sagen: "Es gibt keine stärkere Droge als Realität!".



"Keine stärkere Droge als Realität!"? Was bedeutet das?



Das müsst Ihr entscheiden, nicht ich. Denkt für eine Minute darüber nach.



Vielen Dank für das Interview im Namen von Metal Inside.



Ja, wir danken Euch.



Ich hoffe, wir sehen uns auf Tour.



Ihr werdet. Im September.