Interview:

2008-11-27 Misery Index

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Bereits seit ihrem erstklassigen Debüt „Retaliate“ gehören die Amis MISERY INDEX zur qualitativen Speerspitze der weltweiten Death- und Grind-Bewegung. Mit ihrem aktuellen Werk „Traitors“ setzen sie sogar einen Meilenstein des Genres, was wir als Anlass nehmen, Bandgründer- und Kopf Jason Netherton ein paar Fragen zu stellen, die natürlich, gemäß der Thematik des Albums, aktuelle politische Geschehnisse nicht außen vor lassen...InterviewIhr seid zusammen mit DESPISED ICON durch Russland getourt. Es waren zwar nur zwei Konzerte, aber habt Ihr dort etwas Besonderes erlebt?



Es war eine sehr, sehr geile Zeit! Russland ist immer noch ein großes Rätsel, eine Art Mysterium. Es ist einfach ein riesiges Land, aber ich denke, der beste Markt für Death Metal sind dort St. Petersburg und Moskau. Und unser Promoter ist einfach ein echt großartiger Typ und hat uns und DESPISED ICON die Tour erst ermöglicht; es war ja auch unser erster Besuch dort. Moskau ist eine überwältigende Stadt, und er und sein Team vor Ort haben sich richtig gut um uns gekümmert, uns durch die Stadt geführt und uns die vielen Sehenswürdigkeiten gezeigt, wie die riesengroßen Boulevards zum Beispiel. Am Ende gab es natürlich noch die beiden Shows, die unglaublich waren! Es scheint dort eine richtig hungrige Szene zu geben, die Leute haben auch sehr lange auf alle möglichen Arten von Metal gewartet und schätzen die Bands, die dort hinkommen. Bei unseren Gigs waren etwa 500-600 Fans in St. Petersburg anwesend und ca. 700-800 in Moskau. Dort war überall eine absolut enthusiastische Atmosphäre, und die Fans hatten wohl eine genauso tolle Zeit wie wir!



Konntest Du denn ein grundsätzlich anderes Verhalten bei den Fans in Russland feststellen als bei denen in den USA oder Deutschland?



Man konnte es wirklich in ihren Augen sehen, dass sie unsere Anwesenheit sehr zu schätzen wussten. Es war für uns ja auch nicht leicht, dort rüber zu kommen, weil die Einreise nach Russland schwierig ist. Wir hatten viel Arbeit mit unseren Visa-Formalitäten und der ganzen Logistik, weil auch sehr viele Leute involviert waren. Der Aufwand ist es aber wert, wenn man dann diese Fans dort drüben sieht, die unsere Präsenz so dermaßen dankbar annehmen. Sie waren total verrückt, vielleicht verrückter als die durchschnittlichen Fans in Deutschland oder den USA bei Death Metal-Shows.


Dann könnt Ihr Euch doch auch sicher eine größere Tour durch Russland vorstellen, oder?



Ich habe schon von Bands gehört, die das gemacht haben, wie etwa VADER oder auch DECAPITATED, soweit ich weiß. Nur leider hatten die mitten auf der Tour einen Unfall. BEHEMOTH und MARDUK, glaube ich, sind dort auch schon getourt. Immer mehr kleine Bands haben dort mittlerweile eine Chance, so wie wir zum Beispiel. Ich finde das einfach nur großartig!



Ihr habt dieser Tage ein neues Album namens „Traitors“ veröffentlicht. Wer sind denn Deiner Meinung nach die „Verräter“?



Es ist eine Art von Reflexion der aktuellen politischen Kultur in den Vereinigten Staaten, in der wir uns zurzeit befinden. Man darf bezüglich des Krieges gegen den Terror nichts hinterfragen oder kritisieren; schon bei der geringsten Äußerung schauen einen die Leute komisch an. Man ist dann sofort unpatriotisch und eben ein „Verräter“. Aber das ist nur der Anfang, denn es geht bei dem Titel auch etwa um das Wachstum der Religion in der amerikanischen Politik und natürlich auch der Kultur. Alles wird gerechtfertigt mit den Leitmotiven, auf denen dieses Land errichtet wurde, wie Freiheit und Unabhängigkeit. Doch es ist heimtückisch, diese Art von Patriotismus einfach so hinzunehmen, ohne darüber nachzudenken. Und wenn man das tut, ist man ein „Verräter“. Dieses Wort fasst alle textlichen Themen auf dem Album zusammen.



Dann würdest Du „Traitors“ als politisches Album bezeichnen?



Unsere Texte waren schon immer etwas politisch, wenn Du so willst. Es geht uns um realistische Themen und Szenarien, aber bei uns steht die Musik an erster Stelle. Wir sind primär eine Death Metal-Band; die Musik steht zuerst, und erst dann kommen die Texte, sie werden nach der Musik geschrieben. Wir stehen ein wenig in der Tradition solcher Bands wie NAPALM DEATH, aber unser neues Album ist nicht politischer als seine Vorgänger, würde ich sagen.



In den USA gibt es ja viele Musiker, die nicht gerade die republikanische Seite unterstützen… ok, abgesehen von Ted Nugent vielleicht…



Haha, ja, der ist echt witzig!



... darum denke ich, dass Ihr Euch diebisch auf das nahe Ende der Bush-Ära freut?! (Das Interview wurde ein paar Tage vor den Wahlen in den USA aufgezeichnet, die bekanntlich der demokratische Kandidat Barack Obama haushoch gewonnen hat. – Anm. d. Verf.)



Ja, sehr sogar, obwohl es wirklich schwer ist, sich an dem politischen Apparat zu begeistern. Wenn Du Dir anschaust, wie die Maschine arbeitet, auch wenn Du einen so genannten „linken“ Präsidenten hast, dann merkst Du sehr schnell, dass sich effektiv nichts verändern wird. Unsere demokratischen Kandidaten sind nicht ganz so offensiv wie die republikanischen, aber sie tun genau das gleiche, nur eben ein bisschen leiser. Davon ab, bin ich aber echt froh, Bush gehen zu sehen. Er war möglicherweise der schlechteste Präsident, den dieses Land in seiner gesamten Geschichte jemals hatte.



Ohne jetzt allzu politisch zu werden: glaubst Du denn, dass ein Mann wie Obama zumindest ein wenig verändern kann?



Das ist ja das Problem! Er kann im Vorfeld viel reden, aber wenn er das Amt erstmal innehat, muss er sich mit dem Kongress, unserem Parlament, herumschlagen. Er muss gleichzeitig die Interessen aller verschiedenen Parteien, Gesellschaften und Gremien vertreten, und das kann er nun mal nicht schaffen. Ich bin auch bei den so genannten „linken“ Präsidenten vorsichtig, aber ich hoffe das Beste.



Fast jede Eurer Scheiben ist bei einem anderen Label erschienen. Verliert Ihr da nicht manchmal auch den Überblick?



Die Full-Length-Scheiben sind alle über Relapse Records veröffentlicht worden, bis auf unsere erste, die 2003 über Nuclear Blast erschien. Wir haben aber einen Vertrag mit Relapse, die jetzt all unsere Alben herausbringen werden. Nur unsere Singles, 7“, Splits mit befreundeten Bands, etc. veröffentlichen wir über befreundete Labels. Unser Vertrag mit Relapse erlaubt es, dass wir kleinere Releases bei unterschiedlichen Plattenfirmen herausbringen können.



Siehst Du es als eine Art Tradition an, dass speziell Death Metal- und Grindcore-Bands solche Split-Scheiben, 7“, etc. über kleine Label veröffentlichen?



Ja, sehr sogar! Es repräsentiert die Wurzeln des Undergrounds, also die Zeit, als sich diese Szenen gründeten. Es ist ein Tribut an die Zeit Ende der 80er, Anfang der 90er, als die Genre-Bands alle noch im Underground steckten. Aber davon abgesehen macht es auch eine Menge Spaß!



Magst Du persönlich eher CDs oder Vinyl?



Ich mag definitiv die Atmosphäre und die Wärme von Vinyl, aber wenn Du gerade Auto fährst, sind CDs natürlich großartig. Von Platten, die mir sehr gut gefallen, kaufe ich auch beides; und wenn ich zu Hause bin, lege ich natürlich das Vinyl auf. Ich ziehe Vinyl zwar immer vor, aber ich habe auch nichts gegen digitale Musik.



Du hast vor einigen Jahren auch mal in einer Band namens DYING FETUS gespielt. Hast Du denn noch Kontakt zu den Jungs?



John Gallagher und ich hatten die Band damals in den frühen 90ern gegründet. Wir hängen heute noch öfter zusammen ab, reden miteinander und sind einfach so etwas wie alte Freunde.



Aber warum bist Du dann bei DYING FETUS ausgestiegen?



Ich brauchte damals im Jahr 2000 einfach eine Pause von dem vielen Touren, wollte die Band auf ihrem Weg aber auch nicht behindern, bin dann letztendlich ausgestiegen und nicht mehr zur Band zurückgekehrt. Danach hatte ich Zeit, die Schule und die Universität zu beenden und habe aus Spaß MISERY INDEX gegründet. Und diese Band ist dann doch ein größeres Ding geworden. Eigentlich war sie während meiner Zeit an der Schule nur als Studioprojekt geplant.

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