Interview:

2004-04-01 Manatark

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Draconic heißt im richtigen Leben Kaido Haavandi und hat unter anderem ziemlich Schalk im Nacken. Nach vielen, vielen Interviews tut ihm nämlich sein Hintern schon weh - vom Sitzen am PC - und von seiner Unterleibshygiene möchte er in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen. Egal, der Chef MANATARK, der Band aus Estland, holt sich erst einmal ein Glaserl Wein und widmet sich den Fragen. Dabei äußert er sich natürlich zum neuen Album "Chaos Engine", gewährt aber auch Einblicke in das Leben auf dem Baltikum, in das Leben "nach" der Sowjetunion. Und da ist er sogar eine echte Koryphäe, denn der Übersetzer (Englisch - Estnisch) arbeitet nicht nur für seinen Metal-Club, sondern studiert auch noch Geschichte.InterviewStell er uns doch die Band mal vor.


Ich teile die Vergangenheit MANATARKs im Grunde gerne in drei Perioden. Erstens ist da die Zeit des Demos "Roosteitk” (1998). Eigentlich war die Band a mein Solo-Projekt. Aber nachdem das Demo dann erschienen war, standen mir ein paar Freunde bei und Periode zwei wurde eingeläutet. Wir tourten über ein paar Jahre, gaben Konzerte –mit einer beschissenen PC-Drum-Maschine. Schlimm, aber immerhin die erste Möglichkeit, uns live zu sehen. Und tatsächlich mochten das ein paar Leute, was uns wiederum die Möglichkeit gab, unsere erste CD "Viimanegi Veri" aufzunehmen. Sie erschien 2000 mehr oder weniger über einen Freund, erhielt aber nie die notwendige Promotion. Aber wenigstens war die Scheibe der Startschuss für Periode drei. Wir fanden einen lebendigen Drummer und gaben echte Konzerte. Wir supporteten viele Bands und spielten sogar beim Inferno Festival 2002 in Oslo. Und "Chaos Engine” ist das Hier und Jetzt. Wir sind "ready for the assault”!


Stell doch deine Mitsreiter auch eben noch vor - und was sie sonst noch machen.


Okay, die Bandmembers mit ihren Side-Projects - und das sind einige, deswegen kriegst du’s in Stichpunkten:

Draconic (Kantor Voy - progressive ambient metal / vocals, Tharaphita - pagan heavy metal / guitarsynth),

Gates (Loits - militant black metal / guitar, Hellroad Orange - highenergy rock / guitar + various projects)
Benton (Tharaphita / guitar, Hellroad Orange / guitar, Winter Night Overture - oldschool black metal / bass, Dawn of Gehenna - melodic doom metal / guitar),

Suss (Must Missa - raw black metal / drums + various tribute bands)


Wenn er uns jetzt noch sagen könnte, was MANATARK eigentlich bedeutet?


"Manatark” besteht aus zwei Teilen. "Tark” bedeutet soviel wie "weise” und war auch der traditionelle Begriff für unsere heidnischen Vorfahren, so was wie Schamanen. Davon gab es hier viele mit vielen verschiedenen Fähigkeiten. Die Herkunft des Wortes "Mana" ist nicht wirklich geklärt. "Manala" war ein Begriff der finnisch-ugrischen Mythologie, bedeutete "Tod" oder ist vergleichbar mit "Hel" im skandinavischen. Zusammengefasst beschreibt MANATARK also den weisen, von allen respektierten Mann, der sein Wissen und seine Kraft aus dem Reich der Toten bekommt.


Und was macht MANATARK aus?


"Blackened Extreme Metal!" Ich beschreibe es immer also gesunde Mischung zwischen Black- und Death-Metal mit psychedelischen Passagen. Manchmal erinnern mich diese experimentellen Phasen an krachigen Indie-Rock. Ich möchte es auf eine Art so verrückt und unvorhersehbar machen wie nur möglich. Die Synths sorgen für gespenstische Atmosphäre –letztlich soll es aber natürlich aggressiver Metal sein.


Ich hätte es - wesentlich unspektakulärer - als Old-School Black Metal in norwegischer Traditon plus Keyboard bezeichnet.


Ich bin mir nicht sicher. Klar, Enslaved haben immer was Elektronisches benutzt - und dabei guten Geschmack bewiesen. Damit könnte ich Leben. Aber an sich ist ein Keyboard ein sanftes Instrument und MANATARK sollen nichts Sanftes sein. Ich habe auch keine Ahnung, wer oder wo die alte norwegische Schule heute ist, aber wenn du damit die erste Releases von Enslaved oder Satyricon meinst, dann ist das natürlich mehr als okay. Das sind definitiv gehörige Einflüsse. Die allererste Phase oder die späten Neunziger hingegen sind nicht so mein Ding.


Wohl aber die MANATARK-Texte. Worum dreht es sich?


"Chaos Engine” ist schon so etwas wie ein Konzept-Album. Der vergammelte auf dem Cover stellt so was wie das Bindeglied dar. Eden., Hercules, Troja, alle hatten was mit Äpfeln am Hut. Es ist ein Symbolfür Jugend und Kraft, die verbotene Frucht von Gut und Böse. Auf "Chaos Engine" benutzen wir es als Symbol der Aufstiegs der Menschheit, der uns inzwischen zum "Gott spielen" verleitet. Ein Biss in den Apfel bedeutet den Schritt in die Hölle, das Vergehen im Nichts. Dann gibt es da noch so was wie die "Berserker-Attitude". Wir beobachten wie sich die Menschheit selber zerstört, wie sich gegenseitig die Kehlen durchschneiden.


MANATARK kommen aus Estland. Viele werden das Land nicht kennen, geschweige denn irgendwelche Bands kennen. Wie ist es denn um Metal im Baltikum bestellt?


Nach der extremen großen Popularität in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern ist es jetzt zwei Schritte zurückgegangen. Zuerst verschwanden die meisten Bands von der Bildfläche Mitte der 90er - oder sie orientierten sich neu. Dann erstand die Szene auf, die meisten Bands spielten Black Metal. Als sich dieser Trend totlief, nahm er fast die gesamte Szene mit. 2001 begannen wir mit einem lokalen Klub, Metal in Estland zu revitalisieren. Mehr und mehr Gruppen entstanden und heute kann man wirklich sagen, dass es einige wirklich gute gibt. Natürlich ist das Geld hier ein großes Problem, aber inzwischen gibt es im ganzen Land Proberäume mit gutem Equipment. Das größte Festival hierzulande zieht zwar nur gut 1000 Zuschauer, aber es ist immerhin ein Anfang. Das Schönste ist eigentlich, dass die Szene hier aus Leuten besteht, die auch wirklich hierher gehören, keine Arschlöcher oder Möchte-Gerns.


Und wie lebt es sich so in Estland? Nach der Abspaltung von Russland ist es doch sicherlich ziemlich spannend, so einen Neuaufbau mit all seinen Problemen und Chancen mitzuerleben.

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Entschuldige die lange Antwort, aber da hast du mich getroffen. Estland liegt an der baltischen See südlich von Finnland und östlich von Schweden. Östlich von Estland wiederum liegt Russland, südlich von Estland befinden sich die beiden anderen baltischen Staaten Lettland und Litauen. Dieser Blick auf die Karte lässt schnell klar werden, wie wichtig unser Land ist - wegen des See-Zugangs vor allem für die Russen. Und so ist es kein Wunder, dass unser Land beinahe 1000 Jahre Aggression ertragen muss. Vor dem, Zweiten Weltkrieg teilten Finnland und Estland ihr Schicksal, ständig unter fremder Herrschaft zu leben, sei es Deutschland, Schweden, Russland oder sonst wer. Nach dem Krieg war Estland von Russland besetzt, die Entwicklung stand für mindestens 40 Jahre still. Und das hat toefe Narben hinterlassen. Auch, wenn wir in den vergangenen zwölf Jahren viel geschafft haben, so bleibt noch viel zu tun, um den Rückstand in Ökonomie und Infrastruktur aufzuholen. Aber wir geben nicht auf, und der Unterschied wird von Jahr zu Jahr kleiner werden. Es mag lächerlich klingen, aber die meisten sozialen Probleme haben den Grund, dass wir in der letzten Dekade alles neu aufgebaut haben. Kannst du dir vorstellen, dass wir vor nicht einmal zehn Jahren Brot nur auf Lebensmittelscheine bekommen haben. Und dass Leute regelrecht verhungert sind? Und heutzutage sehen die estnischen Städte aus wie jede andere in Nordeuropa, sauberer und mit weniger Werbung. Der Fortschritt ist wirklich enorm. Ein Problem sind die so genannten "Nicht-Bürger". Ich erklär’s: Von 1939 bis 1953 deportierte die Sowjetunion 100.000 Esten, meistens kulturelle Führer oder zumindest Intellektuelle, nach Sibirien. Und brachte im Gegenzug doppelt so viele, kaum gebildete Industrie-Arbeiter ins Land. Sie erlernten kaum unsere Heimatsprache, wollen jetzt aber unbedingt Esten werden, obwohl sie die Sprache immer noch nicht können. Nun ist das sicherlich nicht gerade das klassische Schema eines Genozids, aber sollen wir das akzeptieren? Naja, es gibt aber hierzulande auch schöne Sachen. Estland gehört zu den Ländern mit wunderschönen Hansestädten, die jede Menge klassische oder mittelalterliche Architektur zu bieten haben. Dann haben die olympischen Spiele auch ihre Spuren hinterlassen. Es gibt haufenweise sportliche Einrichtungen und für Touristen außerdem jede Menge an Erinnerungen zu sehen. In Zukunft wird ein Schwerpunkt sicherlich auf der Forschung und im IT-Bereich liegen. Außerdem gibt es natürlich eindrucksvolle Landschaften, riesige Wälder, echte Edelsteine und natürlich geile Pubs, um Bier zu trinken. Ich habe lange in einem grauen Vorort Tallinns gewohnt, ziemlich bedrückend. Aber jetzt hab ich ein kleines Häuschen und kann vom Stress in der Großstadt entspannen. Das Tentrum Tallinns ist wirklich schön, wird immer besser und - es gibt sogar einige gute Metal-Bars, wo du einen Drink nehmen kannst und Slayer in voller Lautstärke hörst. Die kleinen Freuden des Lebens eben.


Wie lautet denn jetzt dein Fazit zur Öffnung des eisernen Vorhangs.


Auf jeden Fall bedeutete die Öffnung Unabhängigkeit für Estland und das Ende der Okkupation. Allerdings ging die zerbrechliche Wirtschaft vollends vor die Hunde und alles (Regierungs-Strukturen, Militär, Legislative, Privates) musste neu organisiert werden. Und wir mussten Vieles von der Pieke auf lernen. Aber: Keine Angst, kein Nutzen. Es sind wirklich harte Zeiten, aber die Mehrheit ist glücklich, dass diese Entwicklung ohne jegliches Blutvergießen passiert ist. Jetzt haben wir funktionierendes kleines Land. Klar, auch meine Familie musste leiden, mein Mutter verlor ihren Job als Artistin, mein Vater ist Elektriker und muss seine Firma von ganz unten wieder aufbauen, alles, was ihm geblieben war, war ein Schraubenzieher.


Meine Großväter waren beide in russischer Gefangenschaft. Hast du ähnliche Erfahrungen gemacht? Und wie siehst du inzwischen die Beziehungen zwischen Ost und West?


Meine Familie hatte in dieser Beziehung extremes Glück. Einer meiner Opas, der eigentlich deportiert werden sollte, hat seine Identität verschleiern können und kam nicht unter Arrest. Aber mehr als Hälfte aller Familien in Estland verloren ein oder mehrere Familienmitglieder. Heutzutage versuscht Estland meiner Meinung nach viel, um eine gute Beziehung zu Russland aufzubauen. Nur der "große Bruder" scheint etwas dagegen zu haben. Allein die diplomatische Höflichkeit lässt mehr als zu wünschen übrig. So rücken die Russen die Präsidenten-Halskette, unser Symbol für Freiheit nicht heraus, sondern halten sie in "Geiselhaft". Auch bei den Doppelsteuern tut sich nach Estlands EU-Beitritt nichts. Außerdem klagen die Russen Estland ständig bei internationalen Organisationen zum Schutz der Menschenrechte an. Nur finden die zumindest in Estland nichts. Eins ist jedenfalls kalt, nach 1000 Jahren voller schlechter Erfahrungen: Das ist eine Lektion, die wir nie vergessen werden.


Kommen wir zurück zur Musik. Gibt es Probleme mit Nazi-Black-Metallern?


Ich glaube nicht, dass wir bands haben, die das dritte Reich glorifizieren oder von den tollen Seiten des Nationalsozialismus schwärmen. Es gibt allerdings eine Band, die sich offen anti-semitisch gibt und eine, die Esten feiert, die gegen die Russen gekämpft haben. Und die waren nun mal auf Seiten der Waffen-SS. Die Dinge liegen hier halt ein wenig anders. Der zweite Weltkrieg hatte einige heroische Momente für die Esten. Zum Beispiel die Schlacht von Narva, wo sich eine Handvoll Esten gegen eine russische Übermacht behauptete und so tausenden Leute die Flucht ermöglichte. Was ich damit sagen will: Hier gibt es keine Entwicklung vom normalen zum NSBM. Und das finde ich sehr gut.


Und wann sieht man MANATARK mal auf hiesigen Bühnen?


Wir haben überhaupt noch keine überregionalen Tourneen absolviert. Aber Lust hätten wir natürlich schon. An uns soll es nicht liegen.


Liegt’s auch nicht, denn wie seit 19. März feststeht, begleiten die Esten Mayhem auf ihrer Tour.


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