Interview:

2004-04-12 Grip Inc.

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Musiker ist kein "normaler Beruf" - auch, wenn man wie Waldemar Sorychta als Gitarrist, Songwriter, Studio-Bassist und Produzent damit seine Brötchen verdienen kann. Frustration und Routine sind tödlich. Nach fast fünf Jahren veröffentlicht der mit Dave Lombardo am Schlagzeug und Gus Chambers am Mikrofon mit "Incorporated" das bisher beste Album der gemeinsamen Band GRIP INC. Offensichtlich musste da vieles mal gesagt werden, musikalisch genauso wie verbal. In dem nun folgenden Wortschwall sind die Zwischenüberschriften nachträglich eingefügt, denn es gab auch ohne, dass danach gefragt wurde, viel zu erzählen:InterviewMir hat euer Album super gefallen. Es hört sich an wie ein kompletter
Neustart, hat von der Energie viel mit eurem ersten Album gemeinsam. Es
macht den Eindruck, als ob ihr noch einmal wie eine ganz neue Band
zusammen gekommen seid und wieder neu alles ausprobiert habt, was man
so machen kann.


Diese Pause, die wir eingelegt haben, war auf jeden Fall notwendig, um
so ein Ergebnis zu erreichen. Neustart - das war es für uns eher nicht,
wir haben nie vor gehabt, ganz aufzuhören, aber ich war nicht bereit,
weiterzumachen, so nicht jeder wieder 100 Prozent bei der Sache ist. Uns
gibt es schon über zehn Jahre zusammen - und irgendwann kommen so
Momente, in denen es gefährlich wird: Man hat dann den Eindruck, der
eine oder andere - vielleicht sogar man selbst - erledigt die Sache, als
wäre das ein Beruf oder so was. Nichts dagegen, aber wenn bei so einer
Musikart, wie wir sie machen, das Herz fehlt, wenn man nicht wirklich
darauf brennt, so eine Platte zu machen, sondern einfach nur auf den
Terminkalender guckt und sagt "komm, wir müssen morgen eine Platte
aufnehmen" - dann ist das mit Sicherheit total falsch.


4 Jahre Pause...

Die Pause hat uns gut getan, jeder konnte erst einmal tun, was er
sowieso vor hatte, und niemand musste sich einen Kopf über GRIP INC.
machen. Bei mir war das so, dass ich schon nach kurzer Zeit gemerkt
habe, wie wichtig mir die Band letztendlich war. Nach einem oder zwei
Jahren hat man so ein Kribbeln gespürt und man merkte, das fehlt einem
total. Da fiel die Entscheidung: "Jetzt machen wir weiter." Das war der
richtige Zeitpunkt, du hast gespürt, dass sich jeder total drauf freut,
wieder miteinander zu arbeiten. Es war wirklich wieder Feuer in dieser
Band. Es gibt ein paar Unterschiede zur allerersten Platte: Damals
kannten wir uns noch nicht so gut und mussten noch viele Sachen
miteinander ausprobieren. Mussten ausprobieren, welchen Weg wir gehen,
und wo die Grenzen der einzelnen sind. Das fiel dieses Mal alles weg, da
wir uns inzwischen gut kennen. Wir haben uns wirklich nur noch auf das
wichtigste, also auf die Musik konzentriert. Wahrscheinlich ist das der
absolute Vorteil dieser Platte, die Zusammenarbeit miteinander hat nicht
nur total Spaß gemacht, sondern war gezielt für die Musik da.


Die Songs schreibst du?


Ja. Das war früher auch nicht anders, wir haben aber früher im Studio
öfter gejammt. Diese Zeit war jetzt in den letzten Jahren ein bisschen
knapp, aber das ist nicht unbedingt - wie viele das vielleicht vermuten
würden - davon abhängig, dass Dave jetzt wieder bei SLAYER spielt oder
so etwas. Wir haben dieses Mal ganz andere Gründe gehabt, warum wir zum
Schluss ein bisschen knapp mit der Zeit waren. Gus wohnt in derselben
Stadt hier in Deutschland wie ich und wir konnten uns eigentlich schon
ziemlich früh mit dem neuen Material befassen, neue Ideen austauschen
und vor allem sehr gut daran arbeiten. Sobald man merkte, jetzt sind wir
bereit und jetzt wollen wir auch proben, habe ich die Flüge gebucht und
bin nach Los Angeles geflogen, wo wir immer proben. Dort fand so
ziemlich das Gegenteil einer Bandprobe statt - ich wurde ausgewiesen.
Nach sieben Stunden Verhör. Und die Art und Weise, wie man mich da
behandelt hat, lässt sich sehr schlecht in ein paar Sätzen beschreiben.
Die Arroganz, Überheblichkeit und Respektlosigkeit im Verhalten
gegenüber einem anderen Menschen sind unbeschreiblich. Der Grund war
angeblich, dass ich mich vor über acht Jahren mal einen Tag zu lange in
den USA aufgehalten haben soll. Zu Hause habe ich aber festgestellt,
dass es gar nicht stimmt, sie haben sich um einen Tag verrechnet, und
sie haben mir auch noch Tage dazugerechnet, die überhaupt nicht zu
meinem Aufenthalt in den USA gehörten. Meine Vermutung ist: Ich habe zum
Bild gepasst, man hat mich etwa so zwanzig Minuten lang mit Handschellen
im ganzen Flughafen vorgeführt, so dass mich wirklich jeder im Flughafen
sieht, nach dem Motto: "Guckt mal, wir haben die bösen Jungs im Griff".


Politik und Planänderung:

Bei dieser ganzen politischen Situation, in der wir uns befinden, bei
allem Terror und bei aller Gewalt, die in der Welt passiert - ich habe
Verständnis dafür, dass die Menschen Angst haben, aber wenn man sich die
Schwächsten vornimmt, um an denen irgendwelche Macht zu demonstrieren,
ist das nicht nur feige, sondern eigentlich ein Verbrechen in sich
selbst. Andererseits fühle ich mich nicht als irgendwie so ein Opfer,
von "wir müssen uns irgendwie auch beweisen". Wahrscheinlich ist das,
was im Irak passiert, auch nur ein Symptom davon, die ganze Gegend drum
herum ist doch viel gefährlicher gewesen. Aber ich will jetzt auch nicht
zu sehr in die Politik rein gehen. Für uns hat sich ab diesem Moment die
Lage total verändert. Plötzlich durfte ich nicht mehr in die USA
einreisen. Man muss sich vorstellen, dass in den 14 Jahren, in denen ich
in den USA zum Teil sogar gelebt habe, noch nicht mal einen Strafzettel
für zu schnelles Fahren bekommen habe. Und dann behandeln sie mich
plötzlich, als hätte ich vor, ein Hochhaus in die Luft zu jagen. Am
schlimmsten hat mich nicht genervt, dass sie es getan haben, sondern wie
sie es getan haben. Ich hab deutlich gespürt, dass die eigentlich total
Spaß daran haben, Menschen so wie ein Stück Scheiße zu behandeln. Ich
kann mich zwar nicht persönlich, aber aus Erzählungen an eine Zeit in
unsrem Lande erinnern, wo man auch Menschen irgendwie so behandelt hat,
und man meinte letztendlich, man hat einfach nur den Job gemacht. Und
das ist, finde ich, sehr, sehr gefährliche Situation.


Zurück zur Band:

Plötzlich war ich dann wieder zurück in Deutschland, hab gemerkt, dass
ich da überhaupt nicht dagegen angehen kann und wir müssen dann alles,
was bis dahin gebucht und arrangiert war, komplett umschmeißen.
Natürlich war das Studio schon vorgebucht, und wir mussten zusehen, dass
wir auf dem schnellsten Wege mit den Planungen zum Album fertig werden.
Dadurch mussten wir uns zwangsläufig auf das Nötigste konzentrieren.
Außerdem hatten wir nicht mehr den Spielraum noch großartig Jamsession
und so was zu machen. Obwohl, das kann man uns nicht nehmen, die haben
wir so und so mal gemacht. In erster Linie wollten wir aber an den
Liedern so weit wie möglich arbeiten, so dass wir dann im Studio nicht
nur einiger Maßen vorbereitet sind, sondern 100% sicher da auftreten.
Man kann, glaube ich, nur die Höchstleistung erreichen, wenn man a) gut
vorbereitet ist, und b) auch die Motivation über-überdurchschnittlich
ist, oder, ich sag mal sogar, über sich hinaus gehend. Nur dann, glaub
ich, kann man Bestleistungen bringen, und genau da war auch unsere
Motivation, und wir haben´s auch hingekriegt, alles soweit
vorzubereiten, dass wir dann im Studio wirklich einfach mit der Musik
explodieren konnten. Die Tatsache, dass wir uns auf das Nötigste
konzentrieren mussten, ist auch der Grund, warum unser Bassist Stuart
diese Platte nicht eingespielt hat, der noch bei "Solidify" mit uns
gespielt hat. Ich hab diese Bassparts übernommen. Wir mussten uns
wirklich auf das Nötigste und Wichtigste konzentrieren, man konnte jetzt
in dieser Zeit nicht unbedingt alles so arrangieren, wie man es wollte.


Das hat den Songs aber nicht geschadet, dass ihr so eine turbulente
Vorbereitungszeit hattet


Im Gegenteil.


Ich hab mir heute ein bisschen eure Diskografie durchgehört, und auf
allen alten Alben habt ihr euch viel mehr Zeit gelassen, hier noch mal
ein Solo, da noch mal ein Solo, da noch mal ein spezielles
Schlagzeug-Schmankerl. Das ist alles sehr viel tighter auf
"Incorporated".


Eigentlich haben wir durch diese Umstände erst recht drauf gebrannt,
dass es endlich stattfindet und da wird natürlich dann auch ne gewisse
Art von Aggression von anderen Seiten frei. Mit diesem "da noch mal ´ne
Gitarre" oder "hier noch mal dieses", dieses Mal hatten wir sogar eine
längere Vorbereitungszeit als bei den anderen Platten. Natürlich habe
ich jetzt nicht vier Jahre lang GRIP-Stücke geschrieben, ich mache auch
durchaus viele andere Sachen. Aber es ist so halbe-halbe, manche Lieder
sind schon aus früheren Jahren, es gab auch Lieder, die ich 1999 schon
hatte, und viele Lieder sind brandneu. Aber das war auch schon immer so
bei uns gewesen, wenn du vor fünf Jahren ein gutes Lied geschrieben
hast, wäre das Blödsinn, es fünf Jahre später nicht zu spielen, weil das
auf einmal nicht neu ist. Für die Leute, die die Platte kaufen, ist das
trotzdem ein neues Lied. Und für uns letztendlich auch, weil das ganz
neu "bekleidet" wurde. Die Art und Weise, wie wir das jetzt spielen ist
mit Sicherheit anders, als wenn wir es vor fünf Jahren gespielt hätten.
Diese Passion zur Musik und dieser Enthusiasmus, Musik miteinander zu
spielen, hat uns Jahre lang gefehlt, aber genau diese Leidenschaft ist
auf dieser Platte spürbar.


Das merkt man tatsächlich. Die Texte von Gus sind dementsprechend,
ich hätte das nicht mehr erwartet. Wenn man Gus privat trifft, scheint
er doch etwas ruhiger geworden im Vergleich zu vor ein paar Jahren, aber
diese Texte sind wütend bis auf den Punkt, an dem einen das Adrenalin
anspringt. Alle zusammen habt ihr anscheinend diese Wut transportiert.


Wie die Musik, so auch die Texte. Das sind Reflektionen von unseren
Gefühlen und von den Erlebnissen, die wir hatten. Ein Großteil der
Platte ist mit Sicherheit von der weltpolitischen Situation geprägt, und
das lässt sich in den Texten genauso wie in der Musik deutlich spüren.
Die Texte haben bei uns schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Es wär
jetzt nicht richtig gewesen, Lieder für diese Platte zu verwenden, zu
denen zum Beispiel Dave oder Gus keinen Zugang dazu haben. Das
Songwriting ist die eine Sache. Gut, ich habe die Lieder ja geschrieben,
aber die andere Sache ist die Ausführung. Das ist nicht weniger wichtig.
Was nützt dir ein tolles Lied, wenn die Vorführung schlecht ist. Stell
dir mal vor, Mariah Carey würde versuchen, "Hostage to Heaven" zu singen
(Track drei auf der ersten GRIP INC.-Platte "Power Of Inner Strength").
Die wird mit Sicherheit die Töne treffen und den Text akzentfrei singen
können, aber ich glaube, jeder wird kotzen bei dieser Vorstellung. Nicht
nur das Können spielt eine wichtige Rolle, nicht nur der Song, sondern
viel mehr, wie man es vorgetragen bekommt. Und erst, wenn jeder sich
100% mit einem Lied identifizieren kann und sich letztendlich in dem
Lied selbst wieder sieht, erst dann glaube ich, kann man auch wirklich
diese musikalische Höchstleistung bringen. Und genauso ist es mit den
Texten, es macht wenig Sinn, wenn wir hier schön brav Musik machen,
während Gus Texte schreibt, die uns als Band gar nichts angehen.


Das Zahnrad

Das ist ein Prozess in dem alles zusammenpassen muss. Die Platte heißt
"Incorporated", auf dem Cover ist ein Zahnrad mit einem "G" innen drin:
Dort ist auf den Punkt gebracht, was wir damit ausdrücken wollen: alles
insgesamt ist wichtig für das Endprodukt, auch die Vorbereitungen. Eine
Maschine, die Tausende solcher kleiner Zahnrädchen hat, kann dann erst
funktionieren, wenn wirklich jedes Zahnrad funktionsfähig ist. Fehlt da
ein Zahn, dann funktioniert das ganze Ding nicht mehr richtig, und dann
hast du ein Endergebnis, das nicht dem Maximum entspricht. Wir wollten
noch mal optisch darstellen, dass wir wieder vereint sind in der Musik
und das wirklich alles stimmen muss von vorne bis hinten, damit man
wieder da ankommt, wo wir hingehören.


Das Wichtigste

Wir würden uns, glaube ich, selbst betrügen, würden wir irgendwann mal
irgendwie einen Termin ausmachen und sagen "Komm, da machen wir ne
Platte, egal ob man da bereit ist, oder nicht. Technisch oder
geschäftlich gesehen wär das für uns mit Sicherheit besser gewesen, die
Platte vor drei Jahren zu machen, und musikalisch hätten wir das auch
nicht schlechter gemacht, aber da hätte eben das wichtigste dabei
gefehlt, und das ist eben die Seele, und die kommt nur dann zum
Vorschein, wenn man wirklich bereit ist, das absolut Beste von sich zu
geben.


Themenwechsel: Es gibt inzwischen eine ganze neue Metal-Generation,
die mit SLIPKNOT vielleicht angefangen hat und sich über deren Vorbilder
an anderen Metal herangehört haben. Denen ist allerhöchstens Dave ein
Begriff, weil er wieder bei SLAYER eingestiegen ist und dauernd mit Mike
Patton tourt, dieser Nachwuchs kann euch aber wohl kaum kennen. Außerdem
sieht euer Video nicht unbedingt so aus, als ob das bei VIVA in die
Rotation kommen könnte...


Selbst wenn es so aussehen würde, trotzdem würden wir bei VIVA nicht in
die Rotation kommen. Das ist ja auch der Punkt...


Eine der Bands, die du produziert hast, war vor kurzem in der Heavy
Rotation drin...


LACUNA COIL ist aber auch eine ganz, ganz andere Band. Allein über diese
Sache hätte man jetzt eine Stunde oder zwei Stunden diskutieren können.
Ich glaube, das wäre auch nicht so weit gekommen, wenn es nicht
plötzlich eine andere Band gegeben hätte, die genauso klingt, aber
zwanzig mal so viele Platten verkauft. Denn Lacuna Coil war für mich
schon immer als Band auf dem richtigen Weg. Man hätte einfach noch
weiter daran feilen müssen und noch weiter gehen. Aber man ist nicht im
Stande, das viel besser zu vermarkten. Plötzlich kommt dann eine Band,
wo jeder, der LACUNA COIL kennt, als erstes sofort die Band mit LACUNA
COIL in Verbindung bringt. Ich meine EVANESCENCE, besonders dieses erste
Stück. Und plötzlich kommen dann Leute zu mir, und sagen zu mir, "du
kannst du es nicht so machen, dass die Platte von LACUNA COIL genauso
klingt wie die Evanescence?" Und da bin ich dann beinahe richtig sauer
geworden, und wollte überhaupt mit den Leuten nicht mehr sprechen, weil
ich gesagt habe: "Passt mal auf, ihr habt nun das Original. Und ihr
kriegt es nicht hin, das so toll zu verkaufen. Und plötzlich wollen dann
irgendwelche Leute aus irgendwelchen Radio-Stationen das Original so
klingen lassen wie die erfolgreichere Kopie. Jetzt muss mir erst mal
jemand den Sinn daran erklären.

Letztendlich profitiert man davon dann auch. Das sind so Zufälle
manchmal in diesem Geschäft, die dann aber letztendlich sehr positive
Auswirkungen haben. Und egal, was denn letztendlich dazu geführt hat,
auf welchem Weg Lacuna Coil sich befinden - denn von der Musik her
hatten sie auch schon vor drei oder vier Jahren das Zeug gehabt, so
viele Platten zu verkaufen oder zumindest mehr Blicke auf sich zu
ziehen. Aber jetzt hat es erst geklappt. Dass Christina als Frau in dem
Video dann sehr präsent ist, spielt natürlich auch ´ne große Rolle bei
diesen Sendern. Wenn man sich diese restlichen Videos anguckt, die da
oft gespielt werden, wo es keine Sekunde vom Stück gibt, wo nicht ein
Mal mit dem Arsch gewackelt wird, da fragt man sich dann am Ende, was
hat das letztendlich noch mit Musik zu tun. Da kann man gleich in einen
Sex-Shop gehen.


Trotzdem gibt es auch Metal-Bands, die erfolgreich ein Video am Start
haben.


Das wird es auch immer wieder geben, weil ich glaube, eine Musik-Art,
die echte Gefühle ausdrückt, was man nicht so oft findet, wird auch
immer Zuhörer finden. Seit mittlerweile fünf bis zehn Jahren haben sich
auch im Metal-Bereich sehr viele negative Sachen getan. Und zwar, dass
man jetzt auch schon in diesem Bereich anfängt, ganze Bands nach dem
Motto zu casten, Hauptsache man stellt eine Band zusammen, wo einfach
nur hübsche Jungs oder abgefahrene Frisuren da sind, und die Musik
stellt man dann schon so zusammen, dass die quasi letztendlich
"funktioniert". Mehr oder weniger ist es ja auch nicht. Dass man also
mehr Wert nur auf dieses Äußerliche als auf die Musik legt. Letztendlich
hat das diese Szene jahrzehntelang ausgemacht, dass es nicht so ist.
Diese ganzen Glam-Bands in den Achtzigern waren etwas vergleichbares,
mit dieser Musikart, oder besser, mit diesem Getue konnte ich noch nie
was anfangen. Das war für mich nur ein Zirkustheater.


Aber dafür braucht man doch einen guten Produzenten, der für eine
gecastete Band die Musik dann passend zusammen mischt.


Ich sag mal, dafür braucht man verdammt viel Geld, wie gut oder schlecht
der Produzent ist, spielt, glaube ich, eine weniger große Rolle. Die
meisten Lieder, die dafür verwendet werden, sind oft so seelenlos. Ich
würd denen keine tollen Melodien absprechen. Die Songs sind natürlich so
gemacht, dass sie viele Leute erst mal ansprechen, weil die einfache
Melodien drin haben, und die Strukturen sind so, dass die jeder
nachvollziehen kann. Aber die sind wirklich nur so gemacht, um den Zweck
zu erfüllen, da merkst du nicht, dass da einer wirklich seinem Herzen
freien Lauf gibt. Am schlimmsten finde ich aber diese Heuchlerei, also
das bewegt mich eigentlich am meisten, wenn Leute so tun, als würden sie
auf der Platte weinen oder was weiß ich wie tief ihre Gefühle besingen,
während sie eine Stunde nach dieser Aufnahme wieder mit einem Chauffeur
in ihre Villa fahren. Aber im Studio singen sie, wie ungerecht die Welt
ist. Dann sollen sie aber letztendlich auch dazu stehen, was sie als
Mensch sind und was sie repräsentieren. In der Musik so tun, als würden
sie ganz, ganz arm auf der Straße ohne Geld leben, während sie vor
Arroganz so strotzen, dass sie noch nicht mal den Unterschied merken,
was richtig und was falsch ist. Das kotzt mich eigentlich am meisten an.
Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen tun, was sie für richtig halten,
aber die sollen dann auch nicht irgendwelche Unwahrheiten vorheucheln,
oder, wie tough sie wären, oder wie viel Sinn für Gerechtigkeit sie
haben, während sie das im normalen Leben überhaupt nicht zeigen. Das
kotzt mich manchmal richtig an.


Du bist ziemlich beschäftigt, Dave Lombardo ebenfalls, er ist bei
Fantomas, er ist jetzt wieder bei SLAYER, und trotzdem habt ihr jetzt
ein neues Album zusammen. Wie kriegt ihr jetzt eure Termine geplant? Du
hast ja vorhin gesagt, es soll sich nicht mehr so nach einem Beruf
anfühlen, trotzdem hört sich das so an, als ob ihr eine extrem dichte
Zeitplanung insgesamt haben müsst.


Wir sind drei Leute aus drei verschiedenen Ecken der Welt aus drei
verschiedenen musikalischen Backgrounds, aber weißt du, was uns immer
verbunden hat und bis jetzt auch verbindet ist dieser Enthusiasmus für
die Musik. Für uns ist es schwieriger, die Musik nicht zu machen, als
sie zu machen. Vielen Bands, die ins Studio gehen, und lieber gestern
als morgen mit den Aufnahmen fertig wären, muss ich immer predigen, "Du,
das soll doch Spaß machen. Musik ist etwas, wo du dir wirklich deinen
Gefühlen und alle dem einen freien Lauf gibst. Das ist eine Emotion, die
durch dich durch gehen soll Und das soll etwas sein, wo du nicht
aufhören kannst, es machen zu wollen." Und das müssen viele Leute selber
einsehen, anstatt dass nur wie ´nen Job zu sehen. Musik ist ein
Geschenk, das wir haben. Und viel zu viele Leute missbrauchen das für
materielle Zwecke. Dabei hat Musik in sich selbst überhaupt nichts mit
Materialismus zu tun. Man soll die Musik wirklich aus dem Herzen machen.
Und wir sind Leute, die nicht aufhören können, Musik zu machen. Jeder
von uns ist hyperaktiv, weil wir einfach nicht anders können. Was jetzt
GRIP betrifft: Wo der Wille ist, da findet man auch immer einen Weg. Mit
Sicherheit ist jeder von uns sehr beschäftigt, aber das wichtigste, wenn
wir zu GRIP zurückkehren, ist, dass jeder sein bestes gibt. Es ist nicht
wichtig, etwas zu tun, sondern es ist wichtig, wie man es tut. Bevor ich
irgendetwas anfange, wo ich von vornherein weiß, dass das Resultat
irgendwo so bei 95% wird, dann mache ich es lieber gar nicht. Entweder
ich mache irgendetwas richtig, oder ich lasse es sein. Denn nur dann,
wenn ich wirklich von vorne bis hinten bereit bin, es das beste zu
machen und das beste zu geben, nur dann kann ich wirklich auch das beste
erwarten.


Stimmt es eigentlich, dass ihr euch bei Phillip Boa kennen gelernt
habt, Du und Dave? (Waldemar Sorychta und Dave Lombardo gehörten zum
ersten Line-Up, als Independent-Megaseller Philip Boa Anfang der
Neunziger einen Buchstaben verdreht und unter dem Banner VOODOOCULT
Thrash Metal auf links gebürstet hat.)


Ja, es ist schon manchmal witzig, wenn ich mein Leben so zurückverfolge,
unter welchen Gesichtern ich schon in der Presse gestanden habe, wobei
ich immer derselbe geblieben bin, nur man hat mich je nach Lage immer wo
anders reinstecken wollen. Ich war schon der Death Metal-Produzent, der
melancholische Produzent, der Thrash-Metal-Gitarrist, und was weiß ich,
als was weiß ich schon alles abgestempelt worden bin, nur weil in einem
bestimmten Jahr zum Beispiel zwei oder drei Death Metal Bands sehr
populär waren, die ich produziert hatte. Drei Jahre später waren dann
ein paar - sag ich mal - Gothic Metal Bands populär, dann war ich wieder
der Gothic-Mensch, dabei habe ich eigentlich immer nur Musik gemacht.
Und Musik, die letztendlich auch, wenn man alles verfolgt, immer von mir
kam. Der Punkt war aber: Es gab mal eine Zeit, wo man schon vergessen
hat, dass ich auch Gitarre spiele, und Boa wollte mich damals als
Produzenten für ein Projekt namens Voodoocult haben. So habe ich Philip
damals kennen gelernt. Er ist ganz anders mit den Sachen umgegangen und
hat sehr schnell gemerkt, dass ich auch Gitarre spielen kann. So bin ich
gleichzeitig auch Mitglied dieses Projekts geworden, habe auch ein paar
Lieder dazu beigetragen. Als Produzent und Gitarrist bin ich nach Los
Angeles hingeflogen, um die Platte erst mal mit Dave vorzubereiten. Ich
wollte also auf Nummer Sicher gehen, dass er keine Probleme im Studio
hat, dass wir wirklich sehr gut vorbereitet sind. Schon nach fünf bis
zehn Minuten Probe wurde die Zukunft festgeschrieben, für uns stand
fest, wir müssen einfach weiter Musik zusammen machen. Hin und wieder im
Leben trifft man Menschen, bei denen man das Gefühl hat, den kenn ich
schon seit Jahren. So war es bei uns mit der Musik. Wir haben nur
gejammt, und Leute, die drum herum standen, dachten, wir hätten die
Stücke schon zwei Tage vorher eingeprobt, weil viele Sachen von Beginn
an 100% gestimmt haben. Man hat quasi musikalisch miteinander
kommuniziert, und man verstand sich auf Anhieb. Aus diesem Grunde haben
wir sofort beschlossen, wir müssen weitermachen. Das war der Anfang von
GRIP INC. Gus war zu diesem Zeitpunkt mit Dave schon mehr oder weniger
in einer Band zusammen.


Ich finde es ja gut, dass du dir den Enthusiasmus so erhalten hast,
ich hab mal von Martin Scorsese, diesem berühmten Regisseur, in einer
Biografie gelesen, dass er bisher während jedem seiner Filme ein
Magengeschwür ausgebrütet hat, andere Produzenten-Kollegen sehen jedes
Mal aus wie der Tod auf Latschen, wenn sie aus dem Studio kommen -
interessant, dass du dir da dieses Glück bewahrt hast.


Also ich glaub, wenn ich so was mache, sehe ich nicht wie der Tod aus.
Ich entspanne, wenn ich Musik mache - na ja, entspannen ist das falsche
Wort, aber es ist einfach nur ein Genuss für mich. GRIP war für mich
immer etwas besonderes. Daves Charakter und Sound, Gus mit seinem
Gesang. Und ich glaube auch ich hab ´nen gewissen Stil mit meinem
Gitarrespiel oder auch mit meinen Kompositionen. Auf jeder Platte von
uns haben wir mehr Sachen mit reingenommen, wir haben uns nie irgendwie
gebremst und gesagt, "also nur diese Richtung". Wir hören verschiedene
Musikarten und wir mögen es auch zu spielen. Viel wichtiger ist auch -
wie ich vorhin gesagt habe - die Art und Weise, wie man es macht. Es
hört sich glaube ich keine einzige Stelle auf der Platte an wie ein
Versuch, irgendetwas zu erreichen. Wir müssen niemandem da draußen
beweisen, wie toll oder wie gut wir irgendetwas machen oder spielen
können. Wir machen die Platte, weil wir alleine Spaß daran haben, die
Musik zu spielen.


Der Produzent

Auch wenn das viel Arbeit ist im Studio und die Vorbereitung und all das
- vor allem jetzt auch für mich als Produzent. Zur Vorbereitung gehört
nicht nur, die Lieder zu schreiben, ich muss mich auch um viele
Kleinigkeiten sorgen und kümmern, die drum herum kommen. Aber wenn du
das liebst, was du machst, dann kommst du letztendlich aus dem Studio
und du schwebst auf so einer Wolke. Das wichtigste ist, zu erreichen,
was du dir vorgenommen hast, und wenn du merkst, dass du das am Ende das
sogar übertroffen hast, ich glaube, das ist das größte Gefühl für jeden
Musiker, was man überhaupt erreichen kann. Schon in dem Moment, wenn ich
ein Stück komponiere, habe ich eine gewisse Vorstellung im Kopf, in
welche Richtung das gehen soll, wie das am Ende klingen kann oder
klingen könnte, oder wie es klingen sollte. Und wenn du am Ende die
Platte in der Hand hast und es ist eigentlich noch besser geworden, als
ich es am Anfang angenommen habe, dass ist das allergrößte, und das ist
so eine Zufriedenheit, die du dann in dir selbst trägst, dass das dir
letztendlich dann wieder viel mehr Kraft gibt, weiterzumachen.


Was ganz anderes. Ich interviewe dich gerade für ein Online-Magazin,
ihr habt noch nicht einmal eine Internetseite für die Band:


Tja... Wir haben auch keine Nachnamen, wir können uns das nicht leisten.
Nein, soviel ich weiß hatten wir mal so was. Aber durch diese Pause hat
sich in den letzten Jahren keiner darum gekümmert. Ich bin darüber auch
nicht immer so informiert gewesen, da jeder von uns in der Musikwelt zu
Hause ist. Wir bräuchten halt Leute, die so was dann tun. Was das jetzt
für Kosten sind, ist nicht das wichtigste, das wichtigste ist, dass
derjenige das auch mit Überzeugung macht und nicht einfach "ja, komm,
machen wir mal". Wir müssen uns auf jeden Fall in der Zukunft darum
kümmern, jemanden zu finden, denn von uns wird das mit Sicherheit keiner
machen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt jede Woche was weiß ich
wie viele Stunden da vorm Computer verbringen muss, um irgendwelche News
zu schreiben - ich setz mich lieber mit meiner Gitarre und spiel Musik.
Aber da muss man sich drum kümmern, ist richtig.


Letzte Worte zu euren Planungen?


Was heißt letzte Worte, wahrscheinlich werden die wieder zwei Stunden
dauern.


Das geht nicht, ich muss gleich zum Konzert los, sonst muss ich dich
an dieser Stelle abwürgen...


Ich kann nur sagen, wir sind nicht wieder da, sondern wir sind da, wir
waren nie weg, nur jetzt wieder mit ner Platte, die meiner Meinung nach
die beste ist. Kann nur sagen, wo GRIP INC. draufsteht, da kann man sich
immer sicher sein, dass es nicht einfach "nur so" gemacht wurde. Es ist
das beste, was wir gemacht haben, denn anders rum macht es für uns keine
Sinn, etwas zu machen. Und das kann man meiner Meinung nach auch in
jeder Minute auf dieser Platte hören.

Grip Inc._1