Interview:

2011-07-28 Filter

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Wir treffen den FILTER-Kopf Richard Patrick am heißesten Tag des Juni 2011. Der Frontmann kann ohne Punkt und Komma über ein Thema reden, wenn man ihm erst das richtige Stichwort gegeben hat. Dass er im Großthema "Naher Osten" dabei auch übers Ziel hinaus schießen kann, hat er schon vor drei Jahren gegenüber der Printpresse bewiesen. Genauso deutlich spricht er sich aber auch gegen den Mißbrauch von Religion in seiner Heimat USA aus. Aber wir wollen ja nicht aus den Augen verlieren, dass es hier um die Musik geht. Phantastische Musik, in diesem Fall - die auch dadurch zustande kam, dass nach fast zehn Jahren wieder mit alten Weggefährten gearbeitet wurde.InterviewDie Markthalle, in der ihr nachher spielen werdet, wird sich wahrscheinlich in eine Sauna verwandeln. Seid ihr bereit?



Wir sind so "ready to rock!!" Wir wollen auf dieser Tour in Europa wieder den Anschluß bekommen, und wir wollen keine Zeit verlieren. Wir spielen hier noch die letzten beiden Shows, fliegen nach Hause in die USA, touren dort für etwa acht Wochen und wollen schnellstmöglich nach Europa zurück kommen. Wir sind gerade in Gesprächen mit den Jungs von IN EXTREMO, vielleicht kommen wir mit denen im Dezember auf Tour, das Angebot von denen hört sich cool an!



Na, das wäre aber ein Programm der Gegensätze. Und wahrscheinlich auch ein sehr unterschiedliches Publikum...



Ja?! Ach, ich weiß es nicht. Ich versuche herauszubekommen, was für die Band das Beste wäre. Wir haben vor zwei Jahren auf Tour PAPA ROACH supportet. Gestern abend in Köln habe ich gefragt, wer vor zwei Jahren auf dem Gig mit Papa Roach war, aber nur zwei Leute haben die Hand gehoben. Ich weiß jetzt nicht, ob es unser Ding ist, den Opener zu geben. Aber wenn eine große Band wie IN EXTREMO fragt, "wollt ihr mit uns touren?", dann tut man das nicht so einfach ab. Aber es ist schon bizarr, ich habe den Eindruck, dass Headliner-Shows besser für uns sind.



Na klar, ihr könnt so lange spielen, wie ihr wollt, nicht nur 30 Minuten mit Einschränkungen bei Licht und Ton.



Ja, aber wir haben eh keine volle Produktion nötig. FILTER sind vom Selbstverständnis her eine Punkband mit einem Computer – also Punk so wie Nirvana und die Grunge-Jahre. Unser erstes Album war dieser bizarre Bastard. Es hatte keine perfekte Produktion wie Nine Inch Nails. Es war dieses wütende, unfeine, laute, verbitterte, angepißte, besoffene, grunge-zitierende Album, auf dem ein Computer Schlagzeug spielt.



Aber jetzt habt ihr da einen Live-Schlagzeuger!



(Richard Patrick setzt seinen Satz ungerührt fort): Aber ich liebe es! Ich liebe "Short Bus" immer noch! Danach ging es dann erst weiter, "ok, wir haben endlich einen Schlagzeuger gefunden, laß uns ab jetzt mit echten Drums spielen!" Dadurch wurden wir zu dieser Rockband. Es sind solche Situationen, die dir diktieren, was du tun sollst – und ich glaube, es ist wichtig, dass die Fans wissen, dass das FILTER ausmacht. Denn natürlich könnte ich mir eine Lederjacke anziehen und ein paar Songs schreiben, die sich wie der derzeit populäre Rock'n'Roll anhören. Klar könnte ich das alte Spiel mitspielen und dem Trend folgen. Oder ich halte mich an "Schuster, bleib bei deinen Leisten." Und darum geht es bei unserem Album "The Trouble With Angels". "The Trouble With Angels" ist ein Zusammenschnitt all der Alben, die wir bisher gemacht haben. Und ich finde, es ist wichtig, dass dieses Album die Aufmerksamkeit bekommt, die es verdient. Die einzige Möglichkeit, das sicherzustellen, ist, zu touren. Es hat zu lange gedauert, bis wir endlich hier her kommen konnten. Wir haben das Album jetzt schon vor einem Jahr veröffentlicht. Aber wir sollten es am besten noch einmal als Bonus-Edition mit einem Live-Album dazu veröffentlichen. Jedenfalls ist das bisher die beste Idee.



Wie erhälst du das "Wir-Gefühl" bei FILTER als Band bei den zahlreichen Mitglieder-Wechseln?



Dazu braucht man die richtigen Leute. Ich liebe zum Beispiel Mitch Marlow (Gitarrist 2008-2010) und er hat einen großen Teil der Musik für das Album geschrieben. Aber Mitch hasst es, zu touren. Er bekommt schnell Heimweh. Also spielt er einen Teil im Studio ein, aber er will nicht mit auf Tour kommen, auf die Bretter gehen und es ausschwitzen, Teil einer Band zu sein. Unser derzeitiger Gitarrist Rob Patterson dagegen lebt für das Leben auf Tour. Das ist genau sein Ding, er liebt das. Dasselbe gilt für unseren Bassisten Phil Buckman und – ein bißchen abgewandelt – für unseren Schlagzeuger Mika Fineo. Ich mag unser derzeitiges Live-Line-Up sehr.
Aber ich arbeite heute wieder mit jedem, der mal zu FILTER dazugehört hat. Kurz vor diesem Album hatte mich Geno Lannardo (Gitarrist von 1995-2002) angerufen und gesagt: "Hey, ich denke ich habe ein paar super Ideen für FILTER, hör dir das mal an!" Natürlich hab ich mir das angehört, und es war super. Brian Liesegang hat seit dem vorletzten Album wieder mitgearbeitet. Es ist eine Situationen wie bei Bruce Springsteen oder Tom Petty, bei denen ja auch eine große Gruppe an Leuten immer dabei ist, entweder im Studio oder auf der Bühne. Es ist nicht so, dass ich da drauf stehe, nun derjenige zu sein, der alle Aufmerksamkeit bekommt, aber es kümmert mich nicht so besonders.



Wie hast du Brian Liesegang dazu bekommen, wieder mit dir zusammenzuarbeiten?



Ich hab ihn angerufen: "Hey Brian, was machst du gerade? Ich brauche für einen Song Hilfe bei der Programmierung, könntest du mir helfen?" - "Ja klar, wie heißt der Song?" - "Das ist "Fades Like A Photograph"" - "Großartig, wow, das ist wunderschön!" Das war's schon. Er mochte es, kam in die Stadt und machte seine berühmten Liesegangischen Dinge. Nun ja, damals vor zehn Jahren standen uns Ego-Probleme im Weg. Heute dagegen ist das Motto einfach "Lasst uns zusammenarbeiten und Musik machen." Es ist eine reizvolle Kooperation. Ich mag es, wieder mit jedem zusammenzuarbeiten!



Du arbeitest viel für Filmsoundtracks. Kommen die Filmverantwortlichen zufällig auf dich zu, und nehmen bereits geschriebene Songs, oder schreibst du direkt für Filme?



Nein, wir haben schon immer mit Produzenten und Regisseuren zusammengearbeitet, die ganzen Jahre lang. Es begann damit, dass ich bei einer Show mit Ben Stiller zusammengestoßen bin, und er sagte "Ich liebe "Hey Man Nice Shot", ich würde es gern für einen Film verwenden." Ich habe ihm nur "Ok, cool", geantwortet. Und das nächste, was ich weiß, ist dass es im Film "Cable Guy – Die Nervensäge" lief. Ich habe es schon immer geliebt, mit Filmproduktionen zusammenzuarbeiten, das ist mir wichtig.
Heutzutage kann man sich richtig ausbreiten, kann Musik nicht nur für Filme einsetzen sondern auch für Videospiele, Klingeltöne oder Werbung. Das hat sich in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren sehr verändert, damals hat mich der Gitarrist von Soundgarden angemacht: "Hey, hast du die Musik für die fuckin' Reebok-Werbung beigetragen?" Ich antwortete entrüstet: "Nein, das hab ich abgelehnt." Und er hat weitergemacht: "Tja, dann hat dich einer abgezogen, die haben ihren Werbespot mit jemandem gemacht, der sich anhört wie du."

Verdammt! Was sollte ich da machen? Wie viel dumme Sprüche muss man sich sogar dafür anhören, dass man etwas nicht gemacht hat? Er hat richtig mit seinem Finger auf mich gezeigt. Ich habe Angebote von JC Penny (Kaufhauskette und Versandhandel) und vergleichbares abgelehnt, weil es einfach nicht cool wäre, wenn Leute deine Musik für Sachen benutzen, die du nicht mal selbst kaufen würdest. Aber als ich für die Werbung zum Hummer H3 gefragt wurde, hab ich mir gedacht: "Das ist ein Qualitätsprodukt, mit dem Auto werden meine Nichte und mein Neffe zur Schule gebracht." Die Welt verändert sich, und es ist gut, wenn man seinen Namen im Gespräch hält.



Macht es das nicht auch einfacher, Schauspieler wie Sonja Kinski, die Enkelin von Klaus Kinski, dazu zu bewegen, im Musikvideo mitzuspielen?



Sonja Kinski wurde von einem Freund unseres Regisseurs gefragt und hat wohl auch gleich zugesagt. Sie ist ein sehr schönes Mädchen.



Sie sieht aus wie ihre Mutter Natassja Kinski in dem Alter. Ist es nicht komisch, dass du jetzt mit Schauspielerinnen drehst, die zwanzig Jahre jünger sind als du? Wie war der Videodreh, du hast ja ein paar Szenen, in denen ihr schauspielert.



Die wurden mit einer kleinen Canon-Kamera gedreht. Das war phantastisch, wir haben auf HD gedreht und es sieht aus wie Film. Der Regisseur hat einen kleinen Ghettoblaster an den Drehort gestellt, er hat die kleine Kamera genommen und seine Ansagen gemacht: "Ok. Verliebt euch ineinander! Sing! Und los geht’s!" Also haben wir geschauspielert und das Video gemacht. Ich weiß nicht, ob das Alters-Element eine Rolle spielt. Ich bin 43 – aber wenn man älter wird, fühlt man sich nicht automatisch älter. Das einzige ist, dass der Körper nicht mehr alles mitmacht, und das ist seltsam. Ich werde seit einer oder zwei Wochen ein Problem mit meinem Knöchel nicht los. Ich hab mir meinen Knöchel verknackst und es geht irgendwie nicht weg. Wahrscheinlich auch, weil ich jeden Abend wieder auf der Bühne komplett ausflippe, du wirst es heute abend sehen. Tja, der Geist wächst ständig, entwickelt und verändert sich – nur der Körper fällt auseinander. Das ist das verrückte daran, dass man älter wird.



Viele Menschen bemerken, dass sie älter werden während ihre Kinder wachsen. Du hast Nichte und Neffen, wie du vorhin erwähnt hast?



Ich habe Nichten und Neffen, aber das ist eine andere Geschichte. Meine eigenen Kinder sind zwei und drei. Ich hab zwei kleine Babies zu Hause und bin jetzt mit meiner Frau Tina seit vier Jahre verheiratet.



Und du bist wieder auf Tour.



Ich muss arbeiten. Ich habe eine Platte gemacht, aber beim Release in Amerika ging schon einiges schief. Dann haben wir die falsche Single ausgekoppelt. Nuclear Blast haben gleich gesagt, dass sie uns hier brauchen, um den Release zu supporten, aber wir haben nicht genug Tourdaten zusammen bekommen. Aber ich denke, wir werden in Zukunft sehr viel mehr Zeit hier verbringen, ich will meine Fanbasis in Europa wieder aufbauen.



Du hast ein paar gefährliche Aktionen hinter dir, du hast für die US-Truppen im Irak und Afghanistan gespielt.



Nein, nicht in Afghanistan. Wir haben im Irak gespielt, wir sind dort zweimal hingeflogen. Insgesamt haben wir dreimal im Mittleren Osten gespielt, einmal davon in Bagdad. Außerdem haben wir die Joint Base Balad besucht, die wird "Mortar-Rita-Ville genannt, weil das Lager konstant und dem Beschuß von Mörsergranaten (englisch: Mortars) steht. Das Camp ist im Zentrum des "Sunnitischen Dreiecks". Während wir dort waren, wurde das Camp auch attackiert, auch in unsere Richtung wurde geschossen.



Wie ist es, wenn man dort hin kommt? Ich habt dort doch sicher Schußwesten getragen?




Man trägt sogar Ganzkörper-Schutz, die werden "Flak Jackets" genannt. Dann sagen sie, "zwängt euch in eure "Battle Rattle" (Slang-Ausdruck für die gesamte Sicherheitsausrüstung – Anm. d. Laetti), es geht aus dem Flugzeug. Dann trägst du den Helm und den ganzen anderen Kram. Zum Glück haben sie nicht auf uns geschossen, als wir ausgestiegen sind! Es ist wirklich wichtig, dass die Soldaten wissen, dass ihr Schicksal den Leuten nicht egal ist. Vom Krieg selbst habe ich keine Ahnung. Ich habe ein Antikriegs-Album veröffentlicht, "Anthems For The Damned". Aber in Wirklichkeit kümmert es niemanden in Amerika. Amerika ist im Krieg? Nun, die Marines sind im Krieg, die Armee ist im Krieg, aber der Durchschnittsamerikaner ist im Einkaufszentrum. Oder in der Warteschlange im Arbeitsamt. In Amerika passiert momentan eine große Scheiße. Und jeder wird ganz schmerzhaft davon betroffen sein.



Und dann kommen die Verletzten nach Hause. In Deutschland war es eine ganz neue Situation, als das erste Mal nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Soldaten aus dem Kampf nach Hause kamen. Eine Nachsorge für die Afghanistan-Rückkehrer musste und muss erst neu aufgebaut werden. Ist das in den USA auch ein Thema?



Ja, viele haben posttraumatische Belastungsstörungen. Wenn jemand mit einem Maschinengewehr vom Kaliber 50 erschossen wird, dann explodiert der Körper in eine Millionen Teile. Schon allein das zu sehen ist belastend. Und besonders traurig ist es wenn Zivilisten oder Tiere in die Schußbahn gelangen. Von dem, was die Soldaten mir dort erzählt haben, ist es nicht nur, dass sie einen feindlichen Kämpfer erschießen, dazu sind sie dort, aber gerade wenn Kinder zufällig getötet werden. Am schlimmsten ist es, wenn die Konvoi fahren und ein dreijähriges Kind auf die Straße läuft und dort nicht weggeht. Das ist schrecklich. Die können den Konvoi nicht stoppen, dann laufen sie Gefahr in eine Sprengfalle zu geraten. Die schlimmsten Traumata entstehen wenn die dann ein Kind überfahren. Oder wenn Frauen und Zivilisten als menschliche Schutzschilde mißbraucht werden. Wenn dort jemand steht, der eine Panzerabwehrrakete in der Hand hat, und um den Frauen und Kinder herumstehen. Hey, du kannst nicht warten, bis der seine Rakete abschießt, du musst deinen Panzer beschützen. Das ist eine große Scheiße.

Die Welt ist scheiße. Der gesamte Nahe Osten ist scheiße. Die sind alle verrückt. Die haben eine verfickte Religion. Teilweise sind das Analphabeten und sie folgen keiner Logik. Und sie sitzen auf dem Öl. Das macht das zu einer verrückten Gegend. Vor 60 Jahren haben die noch in Zelten gelebt und Kamele geritten – das ist alles was sie tun wollen: Den Koran lesen, sich gegenseitig die Rübe vom Kopf hauen und Warlord spielen. Heute haben sie das Öl und die Atombombe. Und der Iran ist eine Theokratie. Ich bin ein Atheist. Mir macht nichts so sehr Angst wie Leute mit Macht, die an Aberglauben und Phantasie glauben. Meine Vorbilder sind die Wissenschaftler Carl Sagan und Neil deGrasse Tyson. Wenn ich Mahmud Ahmadinedschad sagen höre: "Homosexuelle müssen gehängt werden" - das ist als ob man sagt, man müsse alle mit braunen Augen hängen. Hey, das ist deren Sexualität, die sind so geboren. Und ich stimme hier sogar mit Lady Gaga überein. Das ist wie als Hitler alle Behinderten umgebracht hat, oder wie der Holocaust. Das ist dieselbe Scheiße. Bin Laden hat gepredigt, alles solle so sein wie er das vorlebt. Und als sie ihn getötet haben und sein Versteck durchsucht haben, haben sie rausgefunden, dass er auf Droge war. Er hatte Haschisch, Mohn und Opium. Und er war ein Egomane, der seine Auftritte im TV wieder und wieder angeguckt haben muss. Solche Leute bestimmen den Lauf der Welt?! Solche Leute haben den 11. September geplant?! Das ist echt das Problem mit der Welt!


Die Macht der Terroristen liegt darin, anderen Leuten Angst zu machen.



Die Welt ist total verrückt. Amerika ist verrückt, jeder ist verrückt. Selbst Obama darf nicht zugeben, dass er nicht gläubig ist, weil er sonst nicht wiedergewählt würde. In den USA leben vielleicht 40 Prozent Atheisten, aber 100 Prozent unserer Abgeordneten in Kongreß und Senat sind Christen? Natürlich nicht, aber die haben alle Angst um ihre Wiederwahl. Das ist eine verrückte Heuchelei! Die Menschheit ist vielleicht 2.000 bis 3.000 Jahre davon entfernt, dass sich das Leben dann vielleicht um Humanität dreht, dass es darum geht, einander zu helfen. Vielleicht ist die Menschheit noch 10.000 Jahre davon entfernt, großartig zu sein. Wir haben die Technologie, so viele tolle Sachen zu machen – aber stattdessen... Meine aktuelle Platte heißt "The Trouble With Angels" und ich behandle darin viele dieser Themen.



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