Interview:

2004-01-04 Einherjer

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Selbermachen war überlebensnotwendig bei den alten Wikingern, und auch EINHERJER haben inzwischen alles, was mit dem Musikbiz zu tun hat, mal auf eigene Faust ausprobiert. Und so wie die Wikinger auch irgendwann alles, was im hohen Norden nur schwer wachsen wollte, aus anderen Weltgegenden importiert (oder mitgehen lassen, aber das steht jetzt auf enem anderen Blatt) haben, ging das selber machen in Sachen Label und Publizieren weniger gut, und in Sachen Produktion besser. Beim aktuellen Album "Blot" hat sich diese Einsicht ausgezahlt. Wir fragen Schlagzeuger Gerhard Storesund, der sich erst ein Telefon ausleihen musste...InterviewGerhard: Deine Nummer habe ich heute von Frode bekommen (Frode
Glesnes
ist der alte Gitarrist und neue Sänger von EINHERJER, aber dazu später
mehr). Ich sitze hier an seinem Telefon, denn ich habe keinen
Festnetzanschluss.


Musikalisch habt ihr euch ja sehr verändert. Euer aktuelles Album
"Blot"
enthält eine Menge Elemente aus dem Black Metal und großartige
orchestrale
Parts.


G: Klar haben wir uns verändert, aber vor allem haben wir uns
entwickelt. Unsere Arrangements sind viel komplexer geworden, gerade im
Vergleich mit unserem früheren Kram. Aber es gibt eine durchgängige
rote Linie in unserer Musik. Letztendlich machen wir immer noch
denselben Stil. Es hört sich wahrscheinlich wegen des Gesangs nach mehr
Black Metal an, unser neuer Sänger Frode Glesnes singt viel grimmiger
und böser, was sich meiner Meinung nach viel besser anhört.
(Anfang des Jahres 2003 hatte sich der alte Sänger Ragnar Vikse
verabschiedet, Gründungsmitglied Frode Glesnes hat einen Teil der
Gitarrenarbeit abgegeben und den Gesang übernommen - Anm. d. A.)


Nicht nur, dass der Gesang viel besser klingt, auch der Klang ist
viel
besser. Ich habe "Norwegian Native Art" nicht als direkten Vergleich,
aber ihr seid jetzt ein Musiker weniger, hört euch aber nach mindestens
einem
mehr an.


G: Das stimmt. "Odin Owns Ye All" und "Norwegian Native Art" wurden
damals in Schweden bei Andy LaRocque im Los Angered Studio aufgenommen.
"Blot" haben wir selbst hier in einem kleinen Studio in der Nähe
aufgenommen. Es wäre zu teuer geworden, wenn wir es ebenfalls in
Schweden aufgenommen hätten. Also haben wir alles selbst gemacht und
hatten sehr viel mehr Zeit.


Moment, Moment. Wer hat euch denn im Los Angered betreut, Andy
selbst?
Und nun habt ihr alles selbst gemacht und einen so viel fetteren Sound
bekommen? Beeindruckend.


G: Ja, Andy LaRocque und ein Assistent. Aber unser Geheimnis war die
Zeit. Wir konnten in diesem kleinen Studio für ein Drittel des Preises
zwei Monate lang bleiben und mussten uns keine Sekunde lang darüber den
Kopf zerbrechen, wie viel Geld uns in dieser Stunde gerade der Produzent
kostet. Wir konnten experimentieren, haben mehr Gitarren draufgepackt,
und ähnlicher Kram. Unser neuer Gitarrist Aksel Herløe hat dieses Mal
auch den Bass eingespielt.


Dafür ist eure Plattenfirma in Deutschland bisher unbekannt.


G: Tabu ist ein Sublabel von Tuba Records. In Norwegen sind die ziemlich
groß und vertreiben alles mögliche von Nuclear Blast bis Century Media,
und auch einige Major-Firmen. Tabu wurde vor kurzem als eine
Unterabteilung gegründet, um sich auf Metal zu konzentrieren. Außer uns
haben sie bisher den Sampler zum Inferno-Festival und das neue Ding von
LUMSK veröffentlicht. Damals haben wir versucht, "Norwegian Native Art"
auf eigene Faust rauszubringen, und letztendlich war das viel zu viel
Arbeit. Wir sind keine Geschäftsleute, wir sind Musiker. Dieses Mal
wollten wir eine richtige Plattenfirma. Außerdem wollten wir wegen der
ganzen Kommunikation gern eine norwegische Firma. Tabu ist im Land, wir
müssen nur über die Berge, und schon können wir mit ihnen Auge in Auge
reden.


Themenwechsel: Seht ihr euch noch immer als Teil der Viking Metal
Szene?


Gerhard: Klar. Ich denke, jetzt ist es zu spät für uns, noch irgendetwas
an unserem Image zu ändern, oder an den Themen, über die wir schreiben.
Wir beschäftigen uns immer noch hauptsächlich mit den Wikingern und
deren Mythologie.


So viele Bands sind nicht übrig geblieben. VINTERSORG haben sich sehr
verändert, und ENSLAVED haben lange schon nichts mehr von sich hören
lassen.


G: ENSLAVED gibt es noch. Deren letztes Album habe ich mir nicht
besorgt, aber ich denke, sie sind nicht mehr so richtig "Viking Metal".
Zuletzt sind sie doch ziemlich "verproggt".


Ganz am Anfang eurer Karriere haben euch einige deutsche Journalisten
für Kopien von ENSLAVED gehalten. (Grummeln am anderen Ende der
Leitung.) Dabei seid ihr doch sogar zur selben Zeit mit Black Metal
gestartet, richtig?


G: Na, so ungefähr, nicht ganz ein Jahr später. Auf jeden Fall war das
damals wesentlich eher Black Metal als heute. Unser erstes Demo "Aurora
Borealis" war schon damals eher Viking Metal. ENSLAVED waren 1993 viel
extremer als wir.


Wie seid ihr damals darauf gekommen, euch so intensiv mit den
Wikingern
zu beschäftigen?


G: Keine Ahnung... Wir haben damals von früh bis spät BATHORY gehört.
Spätestens zu "Twilight Of The Gods" war es um uns geschehen. Und prompt
wollten wir auch etwas völlig originelles machen, denn ich denke,
BATHORY waren einfach unglaublich originell.


Wie informiert ihr euch über die Wikinger?


G: Unsere Haupt-Quelle ist die ältere Edda. Es gibt verschiedene Sagen,
die uns außerdem inspirieren, wie zum Beispiel die Island-Saga oder die
Snorre-Saga.


Aber während die Wikinger ihre Hochzeit im 8. Jahrhundert hatten,
stammen diese Texte doch alle erst aus dem 13./14. Jahrhundert, oder?
Die Edda zum Beispiel wurde rund um 1250 zusammen gestellt, so viel ich
weiß. Zu dieser Zeit war Skandinavien bereits weitgehend
christianisiert.


G: Hmm... Rund um 1250 wurden die Sagen niedergeschrieben, das stimmt.
Aber die Geschichten dahinter sind wesentlich älter und haben sich in
der
mündlichen Überlieferung erhalten. Aber was Snorre angeht: Snorre lebte
im 12. Jahrhundert und er war ein Christ, also wissen wir nicht, in wie
weit wir seinem Bericht trauen können. (Gerhard lacht). Es gibt einfach
nicht viel aus der Zeit, die paar Überlieferungen sind alles, was wir
haben.


Wahre Worte. Zurück zum Album. Und konkret zu den Themen. Angefangen
beim Titel: Warum habt ihr das "Blot" genannt?


G: Es schien einfach ein guter Titel zu sein. "Blot" (ausgesprochen mit
langem "U" wie auf deutsch Blut) heißt übersetzt Opfer. Und wir haben
drei Jahre lang wirklich unglaublich hart an diesem Album gearbeitet,
uns also fast geopfert. Außerdem mussten wir viele Opfer bringen. Es war
einfach brutal harte Arbeit.


Oh. Und ich dachte zuerst, das Wort sei hier mal wieder ähnlich zum
deutschen oder englischen wie so vieles aus der germanischen
Sprachfamilie.


G: Nein, nein. Es ist ein altes nordisches Wort für Opfer, im Sinne
eines heidnischen Opferrituals. Wir wollten einen prägnanten, einfachen
Titel, aber so einfach scheint er nicht zu sein, so viel, wie wir
erklären müssen.


Worüber singt Frode im zweiten Stück auf der Platte, "Ironbound"?


G: Das Thema ist auch aus der Edda. "Ironbound" ist Teil einer Trilogie
über Loki und wie er seine Seite wählte. Und das war bestimmt nicht die
gute Seite. Kurz, über seinen Weg in die Verdammnis.


Auf eurer Homepage habe ich Fotos von eurem Videodreh zu diesem Song
gesehen. Kann man das Video auch irgendwo sehen, oder werdet ihr das
irgendwann mal irgendwie veröffentlichen?


G: Ich habe keinen blassen Schimmer. Wir konnten es uns einmal angucken
als es fertig war, dann haben wir es zur Plattenfirma geschickt. Danach
muss es hier einmal im Musikfernsehen gelaufen sein, denn mich haben
Leute am nächsten Tag darauf angesprochen. Wir haben selbst keine Kopie
davon, und ich weiß auch nicht, ob es irgendwo noch einmal gesendet
wird, aber wenn wir es noch mal wiederkriegen, stellen wir es auf die
Webseite.

Ihr seid schon eine Weile nicht getourt, das letzte Mal habe ich
euch
1998 mit Cradle Of Filth in Deutschland gesehen.

G: Wir sind das letzte Mal 2001 mit KING DIAMOND durch Deutschland,
Belgien, na, durch die üblichen Orte in Zentraleuropa getourt. Aber für
das aktuelle Album sind wir noch nicht getourt.


Habt ihr das noch vor?


G: Wir wollen es unbedingt. Aber wir müssen abwarten, was die
Plattenfirma für uns tun kann. Schließlich ist es ihr Geld.


Wie seid ihr denn 2001 ohne die Finanzspritze einer Plattenfirma
zurecht
gekommen?


G: Das war unglaublich teuer. Wir mussten uns im voraus an einigen
Kosten beteiligen, um überhaupt auf die Tour zu kommen. Es war eine
Riesenmenge Geld, und wir mussten das alles aus eigener Tasche
aufbringen. Zum Glück kannten wir wenigstens Andy, das hat uns einiges
erleichtert. Aber es war immer noch richtig teuer, wir stottern heute
noch unsere Kredite für die Tour ab. Ich würde nicht noch mal auf Tour
gehen, wenn nicht wenigstens das finanzielle vorher geklärt wäre.


Eure Optik habt ihr über die letzten Jahre geändert, ich habe auf
eurer
Homepage Bilder mit ´ner Menge Kunstblut gesehen. Ist das euer neues
Bühnenoutfit?


G: Ach, das Kunstblut... Wir hatten bisher dahin nie eine besondere
Bühnenshow, und wir wollten endlich mal ein bisschen was auf der Bühne
veranstalten. EINHERJER bedeutete für die Wikinger "in der Schlacht
gefallene Krieger". Also wollten wir uns mal wie wahre EINHERJER
präsentieren. Aber wir machen das nicht wieder, aus rein praktischen
Gründen. Es gibt nun mal nicht hinter jeder Bühne auch eine Dusche. Der
Kram wird dann sehr klebrig und ekelig.


So weit ich mich mit der Mythologie auskenne, stehen die EINHERJER in
Walhalla jeden Morgen wieder quietschfidel auf der Matte und bringen
sich erst im Verlauf des Tages gegenseitig um die Ecke.
Insofern braucht ihr nicht unbedingt Blut für eure Authentizität.


G: Stimmt auch. Alle Wikinger-Krieger, die im Krieg gefallen sind,
kommen nach Walhalla. Dort trainieren sie dann für die große Schlacht am
Ende der Zeiten. Tagsüber kämpfen sie, saufen am Abend und stehen am
Morgen fit wie ein Turnschuh wieder auf.


Von solchen Soldaten träumt jeder Heerführer. Manchmal ist Mythologie
seltsam und passt sehr genau in die Zeit...


G: ... aus der sie stammt.


Studierst du Geschichte?


G: Nein, aus Interesse lese ich jede Menge. Vieles wird langweilig, wenn
man es studieren muss. Es ist besser, wenn man sich aussuchen kann, was
man lesen will, und was nicht.


Och, geht so, manchmal (leidgeprüft). Woher genau seid ihr?


G: Wir sind aus Haugesund, das ist ein kleines Kaff an der Westküste,
zwischen zwei und drei Stunden südlich von Bergen. Also zwischen Bergen
uns Stavanger. Kein Schwein kennt diese Kleinstadt.


Gibt es in der Gegend noch mehr Bands? Wie sieht die Musikszene an
der
Westküste im Moment aus?


G: Hier?! (Ungläubiges Lachen). Bergen ist eine Metal-Stadt, da gab es
IMMORTAL und gibt es ENSLAVED. Aber hier ist absolut gar nichts los.
Außer uns gibt es nur noch eine Band namens TUNDRA, die tendieren eher
in Richtung Black Metal. Einer unserer früheren Bassisten spielt bei
denen.


Und was macht ihr, wenn ihr mal ein paar Songs live ausprobieren
wollt?
Wo habt ihr zum Beispiel die Kunstblut-Fotos gemacht?


G: Wir haben in Stavanger in einer alten Brauerei gespielt. Stavanger
geht schon. Wenn wir mal ein Konzert geben wollen, gehen wir normaler
Weise nach Bergen oder Oslo, also in eine der größeren Städte.


Habt ihr da Anschluss an die Szene?


G: Ich persönlich nicht. Früher hatten wir guten Kontakt zu ENSLAVED und
haben uns mit denen ausgetauscht, die kommen ja auch ursprünglich aus
Haugesund. Aber seitdem sie weggezogen sind, sprechen wir nicht mehr
miteinander.


Ihr sprecht nicht mehr miteinander? Weil Telefone in Norwegen so
selten
sind, oder hat das andere Gründe?


G: Nein, es gibt schon Telefone. Aber ENSLAVED sind jetzt drei Stunden
von
uns entfernt, wir haben uns auseinander entwickelt und können jetzt eben
auch nicht mehr
abends einfach auf ein Bierchen gegenseitig im Proberaum vorbeischneien.


Schlusswort?


G: Hoffentlich kommen wir 2004 nach Deutschland. Und kauft unser Album,
wenn ihr beeinflussen wollt, dass unsere Plattenfirma uns das auch
ermöglicht!


Hast du eine Band im Auge, mit der ihr auf Tour gehen wollt?


G: Ich hab da keine bestimmte im Auge. Am besten wäre eine Band ungefähr
in
unserer Kragenweite. Mit einer zu großen Band auf Tour zu gehen ist gar
nicht so gut. Am besten ist es, wenn das Publikum weiß, worum es geht.

Einsamkeit macht strenge Gesichtszüge:
v.l.n.r. Aksel Herløe, Gerhard Storesund, Frode Glesnes