REVIEW: Spectral. (SUM OF R)
BY Meisenkaiser
Wer, sei es wegen des Fluchs der frühen Geburt – oder einfach nur so – schon mit Krautrock befasst hat, der könnte erfahren haben, dass diese Art von Musik Angst macht. Angst vor dem Nicht-Verstehen dieser kauzigen Variante, Furcht vor dem nervenzertrennenden Improvisations-Musiktheater. Überraschenderweise ist gerade Deutschland berühmt für dieses Genre, wo doch sonst gerne „alte weiße Männer“ gerade den Metal „diktieren“. Wer sich also zur metallischen Delegation treuer Wacken-Gänger zählt, für den Formationen wie Amon Amarth, Doro und Mambo Kurti schon das höchste der Gefühle sind, der sollte sich vor diesem Output absolut in Acht nehmen. Aber auch offenere GesellInnen, die sich experimentelleren Metalformen zugeneigt fühlen, für die Doom, Drone und Sludge nicht negativ genug oder Psycho-Metal nicht noisy genug sein können, für die Dark Ambient genauso wie Post-Irgendwas-Metal die pure Erholung ist, auch für die könnte SUM OF R die Grenzen sprengen. Denn diese hel(l)vetisch-finnische Kollaboration jagt selbige in dieser knappen Dreiviertelstunde mühelos ins Nirvana der Verzweiflung. Nennt die Kapelle Klangforscher oder Akustik-Terroristen, sie sind vermutlich sogar für das Hipster-Roadborn oder das Kiffer-Desertfest unpassend. Und doch strahlt „Spectral“ eine merkwürdige Faszination aus. Es ist wie Katastrophen-Tourismus. Man versteht es alles nicht, muss aber hinhören. Wie ein Alptraum, von dem du dann nicht weißt, ob du schon wieder wach ist. Erfinder dieses musikalischen Experiments ist der Schweizer Reto Mäder, der Bassgitarre, Synthesizer, Effekte, Tapes, Metallophon und Mellotron spielt und zudem Manipulationen sowie die Komposition übernimmt. Inzwischen hat er zwei nicht weniger irren Finnen zum Mitmachen animiert – Drummer Jukka Rämänen (Hexvessel, Waste Of Space Orchestra, Ex-Dark Buddha Rising, Ural Umbo) und Vokalist/Noise-Schamane Marko Neuman (Convocation, Ex-Dark Buddha Rising, Ural Umbo). Das Ergebnis als „Musik“ im herkömmlichen Sinn zu bezeichnen, das täten wohl nur die wenigsten. Dazu gibt es Gastbeiträge von Vocalist Juho Vanhanen (Oranssi Pazuzu, Grave Pleasures), Basser G. Stuart Dahlquist (Burning Witch, Goatsnake, Asva) und Sänger Yusaf Parvez a.k.a Vicotnik (Dødheimsgard, Ved Buens Ende, Dold Vorde Ens Navn). Auch diese Musiker tragen nicht zur „Normalität“ bei. Gehen „Waltz Of Death“ und „Agglomeration“ als Opener noch als die herkömmlichsten Bastarde aus Funeral Doom und Drone durch, so lässt spätestens der CD-Bonus „Null“ Münder offenstehen – bleibt nur zu hoffen, dass keine Fledermaus reinfliegt und die Zunge abbeißt. „Beer Cans In A Bottomless Pit“ hätten vollgedrogte Krautrocker aus den 70ern auch nicht verrückter hinkriegen können. Und „Solace“ ist purer Pessimismus mit fies-hysterischem Geschrei. „Spectral“ wird mit zunehmender Spielzeit immer unerträglicher, immer dunkler, es zieht dich in Tiefen, von denen niemand gedacht hätte, dass er sie jemals erlebt. Und doch: Du wirst dieser CD erneut hören, immer und immer wieder. Um sie zu ergründen. Wenn du das Plastikteil noch nicht zerstört hast. Oder das andere Menschen in deiner Wohnung taten, die zufällig vorbeikamen. „Spectral“ ist ein Album wie ein Horror-Streifen à la „Cannibal“ – verstörend, aber auch ästhetisch, eine Scheibe wie ein Snuff-Film. Aber intellektueller. Wer SUM OF R aushält, der hat eine enorm hohes Resistenzfähigkeit oder ist zu Höherem berufen. Aber optimistisch, nein optimistisch ist so ein Mensch nicht. Irre.
SPECTRAL.
| Band: | SUM OF R |
| Genre: | 36 |
| Tracks: | 9 |
| Länge: | 49:18 (BluRay) |
| Label: | WV Sorcerer Production/ Dusktone |
| Vertrieb: |



