Review:

Morning View

(Incubus)

TIPP
Nach dem ersten Durchlauf war ich doch recht skeptisch. Die dritte Scheibe der fünf Jungs aus Kalifornien hatte sich nicht wie erwartet sofort in die Gehörgänge gefräst. Die beiden Vorgängerplatten, das recht heftige "S.C.I.E.N.C.E" und vor allem das in den Staaten mehr als 2 Millionen mal über die Theke gegangenen Platinscheibchen "Make Yourself" waren da irgendwie eingängiger (den chiligen Hit "Drive" sollte man kennen). Ob zu ruhig, zu verspielt oder in manchen Parts einfach nur zu ungewöhnlich - man entwickelt nicht sofort ein Gespür für die Songs - das braucht seine Zeit. Aber wenn man bereit ist diese Zeit zu investieren, fängt das Album an eine Stimmung zu verbreiten, die dem Titel "Morning View" gerecht wird. Und dann dauert es nicht mehr lange, bis sich das Gefühl einstellt dieser Morgen sollte eigentlich nie aufhören - und man einfach die Repeat-Taste am CD-Player drückt. Die Musik hat einen erstaunlich lockeren Groove und kommt über weite Strecken total relaxed daher, um dann plötzlich brachial einen Gang zuzulegen, allerdings immer nur für jeweils einige Augenblicke. Dann ist es wieder California-Crossover in bester Manier, wie schon beim Debüt von Incubus. Ansonsten ist das Ganze insgesamt eine Ecke sanfter geworden, selbst im Vergleich zu "Make Yourself". Der Weg scheint weiter in Richtung Alternative Rock mit Massenkompatibilität zu gehen; dies allerdings auf höchstem Niveau. Das was Sänger Brandon Boyd und seine Mitstreiter in hörbar gereifter Form hier eingespielt haben passt so richtig gut zusammen, und wurde durch eine professionelle und saubere Produktion von Scott Litt (u.a. REM, Days Of The New) abgerundet. Die erste Single "Wish You Were Here" und der Nachfolger "Nice To Know You” erinnern mit ihren zwischen ruhigen Midtempo und lauteren Parts wechselnden Abschnitten an die exzellente Vorgängerscheibe. Die herausragenden Stärken des Albums liegen aber vor allem in den abwechslungsreichen Stücken wie "Just A Phase", das zwar etwas braucht bis es zur Sache kommt, aber dann mächtig ins Ohr geht (das "scratchen" gehört wie selbstverständlich dazu, und Boyd’s Stimme zeigt hier einiges von seinem Charisma). Ebenfalls zu meinen Favoriten zählt das verspielte, mit vielen Ideen angereicherte und einigen Tempowechseln versehene "Under My Umbrella" und die beiden nahezu perfekten Songs "11am" und "Warning". Bei der Komposition der Stücke wurde hörbar viel Wert aufs Detail gelegt, was beim Zuhörer für immer neue Überraschungen sorgt und das Ganze nie langweilig werden läßt. Das asiatisch angehauchte "Aqueous Transmission" würde die meisten Freunde härterer Klänge für sich alleinstehend wohl eher kalt lassen. Hier ist der 8-minütige Rausschmeißer aber ein wirklich gelungener, weil beruhigender und wieder sanft an den Anfang der Scheibe führender Schluss. Wenn man diesen Longplayer schon mit anderen Größen des Genres vergleichen will, dann ist der Maßstab dafür das 99er Output der Red Hot Chili Peppers ("Californication"). Und bei diesem Vergleich schneidet "Morning View" mehr als gut ab. Die Konkurrenz im heimischen Kalifornien muss da erst mal wieder nachlegen, und wäre wohl zufrieden, wenn man überhaupt qualitativ gleichziehen könnte. Vielleicht sind Incubus sogar die besseren Peppers! Wir werden sehen!

Morning View


Cover - Morning View Band:

Incubus


Genre: Alternative
Tracks: 13
Länge: 58:20 (CD)
Label: Epic
Vertrieb: Sony