Interview:

2016-09-23 Nocte Obducta

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NOCTE OBDUCTA äußern sich in folgendem Album außführlich über die Entsehungsgeschichte ihres aktuellen Albums "Mogontiacum", zukünftige Live-Auftritte und erneute Studio-Besuche im November. Woher der (Nord-)Wind weht, erfahrt ihr hier:Interview

Herzlichen Glückwunsch zu eurem neusten Album „Mogontiacum (Nachdem die Nacht herabgesunken...)", auch wenn es sich dabei letztlich um gar nicht so viel Neues handelt, da hier vieles aus 2004 / 2005 stammt. Wie schwierig war es sich da wieder rein zu finden und wie lange habt ihr gebraucht die einzelnen Fragmente wieder zusammen zu setzen?

Das lässt sich so eindeutig gar nicht beantworten, das Album als Konzept seit seinem ersten Anlauf 2004 quasi unaufhörlich durch meinen Kopf geisterte. Es ist nicht einmal so, dass der Schwerpunkt aus den Jahren 2004/05 stammt, denn schon damals wurde teilweise auf älteres Material zurückgegriffen, das natürlich nicht eins zu eins übernommen wurde. Ebenso wenig wurde diesmal der Zustand von 2004/05 kopiert, sondern vielmehr das damals erdachte Konzept zugrunde gelegt. Von der ursprünglichen Version des Albums sind eigentlich nur die Lieder „Am Ende des Sommers“ und „Glückliche Kinder“ in mehr oder weniger gleicher Version erhalten geblieben.
Andere Lieder haben sich stark gewandelt. So wurde aus dem damaligen „Ein Hauch Anis“, dass wichtige Parts an „Töte das Jahr für mich“ von Dinner Auf Uranos verlor, irgendwann das wesentlich einfachere „Ein Ouzo auf den Nordwind“, beide Lieder gründen sich allerdings massiv auf ein Lied von 1994.
Die erste Version des damals noch titellosen „Löschkommando Walpurgisnacht“ war wesentlich langsamer und verträumter und ist völlig in Vergessenheit geraten, dasselbe gilt für das damals nur grob skizzierte „Die Pfähler“, das dafür aber schneller und roher war.
Das auf einigen Konzerten 2005 sogar live präsentierte zentrale Stück „Operation: Traumreise“ fiel wie so manche rohe Skizze der Schere zum Opfer, insbesondere weil der Longtrack „Desîhra Mogontiacum“ wuchs und wuchs und inhaltlich quasi en Raum beanspruchte, der vorher von anderen Stücken ausgefüllt worden war. Dieses Stück beinhaltet ebenfalls Parts, die bis in die frühen 90er zurückreichen, entstand als fertiger Song aber tatsächlich erst 2013. Die meisten Jahre zwischen 1993 und 2013 dürften in irgendeiner Form auf dieser Scheibe vertreten sein, es gibt aber mit „Löschkommando Walpurgisnacht“, „Am Waldrand“ und „Die Phähler“ drei von Grund auf neue Stücke aus dem Jahr 2013.

Ihr habt nach „Nektar“ einige Alben herausgebracht. Wer oder was gab euch den Anstoß das Album („Mogontiacum“) erneut anzugehen?

Das Album war immer nur aufgeschoben, es war nie wirklich vom Tisch. Dass wir uns im Winter 2005/06 spontan zu „Sequenzen“ entschlossen, war vor allem äußeren Umständen geschuldet. Man kann viel spekulieren, aber ich denke, dass ein Album wie „Mogontiacum“ den Abbruch der Aufnahmen wesentlich schlechter verkraftet hätte als seinerzeit „Sequenzen“, denn das war flexibler, deutlich kürzer und inhaltlich nicht von einem solchen Gewicht.
Als wir uns dann 2010 entschlossen, die zwischenzeitlich ausgestiegenen Herren Flange und Torsten zumindest für das Studio wieder ins Boot zu holen, war „Verderbnis“ bereits geschrieben. Es hatte sich aus einem BM-Soloprojekt von mir entwickelt, und Flange überzeugte mich eines Tages im Frühling 2010 davon, dass es albern sei, wenn ich ein BM-Album aufnähme, dessen Besetzung weitgehend mit der von Nocte übereinstimmte und auch auf altes Material zurückgreife, die ganze Geschichte dann aber anders nenne.
„Umbriel“ präsentierte ebenfalls Material, an dem wir schwerpunktmäßig in der Zeit zwischen 2006 und 2010 gearbeitet hatten, das konnten wir unmöglich einfach über den Haufen werfen. Diese beiden Alben geben außerdem den Jahren 2006 bis 2011 ein musikalisches Gesicht. Und auch wenn ich die damalige Zeit absolut nicht noch einmal erleben muss, ist ihre Verarbeitung doch eine Herzensangelegenheit gewesen. „Verderbnis“ und „Umbriel“ sind für mich persönlich zwei dunkle Geschwister, wobei das rein optisch wesentlich hellere „Umbriel“ in seiner gefühlten Schwärze für mich locker an „Schwarzmetall“ heranreicht.

Der Titel, als auch die Lyrics erwecken den Eindruck, dass es sich hier um ein sehr persönliches Werk handelt. Was verbindet ihr mit eurer Heimatstadt Mainz?

Persönlich sind die Alben alle, aber die Bezüge zur Bandgeschichte sind auf „Mogontiacum“ tatsächlich allgegenwärtig. Die ständigen Querverweise auf Ausschnitte der Bandbio und teils stark verklausulierte Beschreibung reeller Orte brachten uns nach diversen anderen Vorschlägen irgendwann auf den Titel. Man sollte ihn aber keineswegs überinterpretieren, er bot sich lediglich an.


Mir ist aufgefallen, dass ihr in euren Songtexten sehr oft zurück blickt und früher Tage, Jugend und Kindheit reflektiert. In „Glückliche Kinder“ und „Desîhra Mogontiacum“ wird das besonders deutlich. Wie kommt das?

Die retrospektive Betrachtung der Dinge war immer schon ein Merkmal der Texte, ich selber bin auch ein Mensch, der viel zurück schaut. Die beiden erwähnten Lieder beschreiben an vielen Stellen sehr konkrete Ereignisse, ganz besonders „Glückliche Kinder“, noch stärker ist das aber bei „Ein Ouzo auf den Nordwind“ der Fall. Gleichzeitig warnt das Album allerdings davor, sich zu sehr in Rückblicken zu. Wer krampfhaft versucht, eine gute Zeit dadurch aufrecht zu erhalten, indem er ihre Merkmale ritualisiert, beraubt sie all jener Dynamik, die sie vermutlich eigentlich auszeichnete. Und so ist „Mogontiacum“ eine reflektierte Bearbeitung der Lieder, die „Desîhras Tagebuch“ von „Nektar 2“ beinhaltet, denn das geschah damals bewusst unkritisch und rein erzählend.
Der Eindruck der ewigen Rückblicke entsteht allerdings hier und da sicherlich auch irrtümlicher Weise, weil ich sehr oft mit wiederkehrenden Begriffen wie beispielsweise „Lethe“ oder „Aschefrühling“ arbeite. Diese Begriffe haben aber symbolische Bedeutung und eine Aussage und sind keine bloßen Rückgriffe auf bereits Gesagtes.

Unter dem Namen DESÎHRA habt ihr nie etwas veröffentlicht und dennoch gibt es jetzt einen Song über die Band mit der alles anfing. Wie viel DESÎHRA steckt denn noch in den heutigen NOCTE OBDUCTA?

Wie oben angedeutet so einiges, denn es gibt immer wieder Rückgriffe auf Desîhra-Parts, da wir früher nie etwas veröffentlichten und Songs sogar meist verwarfen, sobald wir sie spielen konnten. Der bekannteste Part dürfte wohl die Leitmelodie von „Und Pan spielt die Flöte“ sein.
Das die aktuelle Platte beschließende „Im Dunst am ewigen Grab der Sonne“ wurde fast unverändert von 1994 übernommen. Als ich im Herbst 1999 „Der Regen“ bzw. „The Rain“ ausgrub und völlig überarbeitete, wurde auch der Text vom Grab der Sonne ins Deutsche übersetzt (wir hatten bis Mitte 1996 sowohl englische als auch deutsche Texte) und ein Lead-Part als Outro hinzugefügt, ansonsten haben wir es hier mit einem meiner liebsten alten Desîhra-Stücke zu tun. Das liegt vor allem daran, dass es mich an eine nachdenkliche aber unheimlich gute Zeit erinnert.
Das von Dir angesprochene Lied beinhaltet aber keinen größeren Anteil an Bezügen zur Band als manch anderes Lied auf dem Album, bzw. entsteht dieser Eindruck nur über die Länge und den Titel. „Ein Ouzo auf den Nordwind“, „Glückliche Kinder“ oder „Löschkommando Walpurgisnacht“ sind wesentlich näher an konkreten Geschehnissen aus der Zeit unter dem alten Bandnamen.


Auch „Lethe“ gab es bei euch schon mal. Seht ihr „Lethe, Stein und See“ als konzeptionelle Weiterentwicklung zu den beiden „Lethe“-Instrumental-Stücken eures ersten Albums?

Jein. Der erste Teil entstand damals unmittelbar vor den beiden „Lethe“-Songs, ich hatte dazu aber erstmal einen See im Kopf. Erst 1998 wurde daraus dann der Fluss. Ich habe dann im Vorfeld von „Mogontiacum“ tatsächlich versucht, das Arrangement ein wenig dem von „Lethe“ anzugleichen, um es dann in den zweiten Teil übergehen zu lassen. Erst kurz vorm Studiotermin habe ich die Stücke dann wieder getrennt und sehr lange überlegt, ob ich daraus nicht „Lethe III“ und „Lethe IV“ mache, zumal die Bilder sich zunehmend mit denen von „Lethe“ vermischten. Der Aspekt des Sees und der Felsen war mir dann aber einfach zu wichtig, das sind halt einfach Erinnerungen.

Ihr habt „Am Ende Des Sommers“ als Instrumentalstück aufgenommen – und doch finden sich dazu Lyrics im Booklet. Was hat es damit auf sich?

Nichts eigentlich. Das Lied war immer als Instrumental geplant, hatte aber schon immer diesen Text. Den einleitenden Gitarrenpart schrieb ich sogar während der Aufnahmen von „Nektar“ in der kleinen Wohnung über dem Studio, in der wir zu dieser Zeit untergebracht waren. Es ist auch das erste Lied, das wir mit Flange im Proberaum spielten, nachdem Steffen im Sommer 2004 ausgestiegen war, und irgendwann im Spätsommer kam dann der Text dazu, der aber immer nur für das Booklet gedacht war.

Trotz allen technischen Fortschritts klingt „Mogontiacum“ ursprünglich und als stünde man direkt im Proberaum. Ich nehme an, dass ihr mit den Aufnahmen zufrieden seid! Wie hätte das Album vor zehn Jahren geklungen? (Und wäre so ein vielspuriger Song wie „Desîhra Mogontiacum“ damals überhaupt möglich gewesen?)

Technisch möglich gewesen wäre das Ganze auch damals schon, hinsichtlich der eingesetzten Mittel sind wir bei „Mogontiacum“ sogar wieder wesentlich analoger vorgegangen als zu Zeiten von „Nektar“. Das Album hätte 2006 trotzdem anders geklungen, weil das einfach eine andere Zeit war. Die Kompositionen waren damals über weite Strecken metallischer, ich gehe außerdem davon aus, dass wir die Scheibe wesentlich glatter gemischt hätten. Vielleicht nicht ganz so glatt und komprimiert wie „Nektar“, aber eben auch nicht so dynamisch wie es jetzt der Fall war. Auch hätten wir vermutlich nicht solch radikal fuzzig verzerrte Gitarren wie bei „Löschkommando“ und „Waldrand“ eingesetzt. Die Komplexität und generell breit gefächerte Stilistik des Albums wäre in jedem Fall gegebenen gewesen, allerdings mit weniger Schmutz und roher Dynamik, dafür mit mehr klassischen Metal-Sounds.

Zusätzlicher Krach aus „Schlimmheim“ aus dem Jahr 1994 hat seinen Weg auf das Album gefunden. War es geplant das irgendwann zu verwenden oder eher eine spontane Idee?

Das war einigermaßen spontan. Der Mittelteil von „Glückliche Kinder“ gründet sich auf eine Jam-Session, die ich mit unserem damaligen Gitarristen Jan im Herbst 1994 aufgenommen habe. Ich wechselte zwischen zwei übertriebenen Raum-Effekten, von denen einer irgendeine Modulation dabei hatte, er hatte einen ätzenden Reverse-Sound an, im Hintergrund meldete sich immer wieder der Schleudergang einer Waschmaschine. Die Aufnahme hatte eine Spielzeit von rund 20 Minuten und hieß „Between the Planets“, worauf auch die doppeldeutige Zeile „Und wir spielten zwischen den Sternen“ in „Glückliche Kinder“ anspielt. Dieses Tape ist einer meiner kostbarsten Schätze aus der Bandgeschichte, und als ich es eines Nachts im letzten Dezember bei Kerzenschein und zunehmender Trunkenheit digitalisierte, da dachte ich mir, es wäre schon eine Sünde, nicht wenigstens einen Schnipsel davon zu verwenden.

Habt ihr noch Kontakt zu den ehemaligen Bandmitgliedern?

Das kommt ganz darauf an. Mit Alex (1996 bis 1999), Kesa (2003 bis 2004) und Thomas (2002 bis 2004) besteht weiterhin ein enger freundschaftlicher Kontakt, das ist alles noch Nocte-Familie. Auch mit Emanon (1999 bis 2004) pflege ich weiterhin einen freundschaftlichen Kontakt, wenn auch deutlich eingeschränkter hinsichtlich der Häufigkeit unserer Treffen. Der Kontakt zu S. Magic M. (1993 bis 2000) bestand auch nach seinem Ausstieg noch einige Jahre, riss dann aber um 2007 herum irgendwie ab. Das ändert sich aber gerade wieder. Der erste zaghafte Kontakt kam tragischer Weise zustande, als er mir Ende 2012 die Todesanzeige eines ehemaligen gemeinsamen Freundes schickte, der mich mit ihm und Limbach (1993 bis 1997) bekannt gemacht und damit letztlich die Gründung der Band ermöglicht hatte.
Der Kontakt zu den übrigen Ex-Members ist entweder sehr sporadisch und zufällig oder auch nicht mehr existent, aber das heißt nicht, dass das so bleiben muss.



Seit eurer zwischenzeitlichen Auflösung ist Torsten mit AGRYPNIE beschäftigt und auch ziemlich viel unterwegs. Wie geht ihr mit der damit um? Wird es dadurch schwieriger gemeinsam zu proben oder habt ihr genug Zeit?

Das gestaltet sich tatsächlich alles andere als einfach, aber es ist ja nicht so, dass er der Einzige wäre, der noch in mindestens einer anderen Band spielt, von daher kann man das nicht auf Torsten beschränken.

Wird es eine Tour geben und bekommt man euch dieses Jahr noch irgendwo einmal live zu sehen?

Eine Tour ist für den Frühling 2017 in Planung, Auftritte dieses Jahr wird es nicht mehr geben.

Habt ihr schon Material für ein weiteres Album beisammen? (Und wenn ja: „recycelt“ ihr viel, oder schreibt ihr viel neu?)

Ich habe quasi immer Material für ein paar neue Alben beisammen, auch wenn immer nur ein Teil fertig durcharrangiert ist. Und natürlich kommt auch immer neues dazu.
Es mag vielleicht auf den ersten Blick überstürzt klingen, aber das nächste Album ist schon seit Juli fertig geschrieben und konzipiert, ich sitze gerade an einer Art Vorproduktion bzw. schließe sie soeben ab, denn Ende November soll es schon wieder ins Studio gehen.
Das Material für das kommende Album mit dem Arbeitstitel „Totholz“ wird metallischer, dunkler und kompakter ausfallen, ohne aber auf Soundspielereien gänzlich zu verzichten. Dass wie immer ein gewisses Augenmerk auf den instrumentalen Passagen liegt, dürfte niemanden überraschen, aber alles in allem ist es uns ein Bedürfnis, diesmal schneller auf den Punkt zu kommen. „Umbriel“ war zwar in meinen Ohren recht straight, aber unglaublich ausladend, „Mogontiacum“ ein vertracktes Wechselspiel, das den ein oder anderen vielleicht auch schlichtweg genervt hat, „Totholz“ geht die Sache da deutlich frontaler an.

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