Interview:

2014-04-10 Fäulnis

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Kaum eine deutschsprachige Black Metal-Band polarisiert so stark wie die Hamburger FÄULNIS, deren räudiges Gebräu der Szene-Polizei zu punkig ist, während Punks die schwarzen Ausbrüche oftmals nur belächeln. Bandchef Seuche fühlt sich zwischen diesen Stühlen aber merklich wohl, so dass das großartige Drittwerk „Snuff || Hiroshima“ noch direkter als sein Vorgänger ausgefallen ist. Auch der persönliche Besuch jener japanischen Stadt hat seinen Teil zu dem Album beigetragen; Lebensbejahung steht bei dieser Band nicht sehr weit oben auf der Agenda…Interview

Hi Seuche! Wie geht es Euch denn zur Zeit?



Hallo! Gestresst, ich habe heute auf den Kalender geschaut, in zwei Wochen geht’s 
los auf Tour, und es gibt noch viel zu tun. Ansonsten wohl ganz gut.



Zwischen Euren letzten Album „Gehirn Zwischen Wahn Und Sinn“ und dem neuen Werk „Snuff || Hiroshima“ liegen annähernd fünf Jahre. Was ist in dieser Zeit alles passiert?



Viel zu viel, das würde jetzt den Rahmen zu sprengen. FÄULNIS-relevant, einige
sehr intensive Gigs, und ich war 2010 ein halbes Jahr in Hiroshima/ Japan. Viele
Eindrücke, im Guten wie im Schlechten. Einen Teil habe ich auf den letzten beiden
 Album-Stücken von „Snuff || Hiroshima“ verarbeitet. Der Rest war ein auf und ab.

Was genau bedeutet der Albumtitel „Snuff || Hiroshima“? Welches Konzept
verbindet diese beiden Begriffe? Was war die Idee dahinter?



Bei dem Titel geht es um Assoziation. Beide Begriffe rufen Bilder hervor, „Snuff“, die
extremste Form medialer Auslebung, Gewalt, Schmerz, Terror. „Hiroshima“, die 
Atombombe, je näher man sich mit dem Thema beschäftigt, umso schwärzer wird es.
Eine Stadt, die ausgewählt wurde, weil sie so gut erhalten war, die Auswirkung der
 Bombe am besten auswerten zu können. „Hiroshima“ aber auch als eine
 Zusammenfassung meiner Zeit dort, die ich genutzt habe, um mich zu sammeln.



„Snuff || Hiroshima“ ist im Gegensatz zu seinem Vorgänger etwas kompakter ausgefallen, und es gibt außer dem Opener „Grauen“ keine weiteren
überlangen Songs. Wolltet Ihr ein wenig Abstand von den ausladenden
Kompositionen nehmen und mehr auf Eingängigkeit setzen?



„Eingängigkeit“ war kein Kriterium. Es stimmt, das Album ist kompakter, keine
 Zwischenstücke mehr. Auf dem ganzen Album ist auch, mein ich, nur noch genau ein
 einziges Sample, die Sirene. Das sind aber alles Dinge, die sich ergeben haben aus 
der ganzen Situation. „Eingängigkeit“ klingt wie „leicht verdaulich“, da hätte ich wohl
an ganz anderer Stelle arbeiten müssen als an der Musik. 

Es geht ja auch darum, was man rüber bringen will. Das Konzept von „Gehirn...“ war, 
vereinfacht gesagt, Großstadt, Isolation, Leere, Beton. Da passten die ganzen 
Doom-Einflüsse, und selbst die kritisch wahrgenommenen, minimalistischen, ewigen
 Geräuschphasen waren ein Stilmittel. „Snuff || Hiroshima“ ist Terror, keine 
Atempause mehr, nach vorne gehen, zuschlagen und die Trümmer in den Dreck 
treten.



Auf „Facebook“ beschreibt Ihr Euren Stil mit "In deinem Stammcafé brennt nur noch ein Teelicht in der letzten Bank und selbst da sitzen schon Fremde und trinken kaltes Erbrochenes aus Porzellangeschirr." (aus dem Stück
"Landgang"), während die ersten Worte auf „Snuff || Hiroshima“ lauten: „Im
alten Haus brennt wieder Licht…“ (aus „Grauen“). Hat dieses Motiv einen
bestimmten Hintergrund, beziehungsweise hängen diese beiden Songs
zusammen?



„Im alten Haus brennt wieder Licht“ ist ein direkter Bezug auf die Eingangszeile aus 
„30. Juli, Bewölkt“, also „Das alte Haus ist menschenleer“. Es geht um das Motiv
„Haus“, nicht „brennen“. Das ist eines von den Dingen, die für mich persönlich Sinn 
machen, aber schwer zu erklären sind. „Haus“ würde, im Gegensatz zu „Heim“
etwas Fremdes, Seltsames beschreiben, das Haus auf der Klippe, unter dem die 
Brandung tobt, zum Beispiel. Man denke jetzt einfach mal an eine klassische Poe-
oder Lovecraft-Geschichte. In beiden Texten ist das Haus ja Schauplatz von etwas 
Negativem. Ein brennendes Licht deutet auf Leben hin, in „Landgang“ ist es das
versiegende Leben, in „Grauen“ das wieder auflebende. Der auflebende Schrecken, 
unter Umständen? Etwas Interpretationsspielraum soll ja der Hörer noch behalten.



Was ist für Dich die „monotone Gehirnvergewaltigungsmaschine“, die im Song „Abgrundtief“ erwähnt wird?



Das in Worte zu fassen, würde der Bedeutung die Kraft nehmen. Ich denke mal,
jeder Mensch hat seine eigene „monotone Gehirnvergewaltigungsmaschine“.



In dem Stück „Durch Die Nacht Mit…“ verarbeitest Du den Tod Deines 
Freundes K. Zwiespalt von der Band STILLHET. Kann man behaupten, dass es
der persönlichste Song des Albums ist?



Nein, alle meine Songs sind persönlich, bei „Durch die Nacht mit...“ ist lediglich das
Thema kaum verschlüsselt. Der Text ist im Übrigen eine sehr kritische
 Auseinandersetzung mit dem Thema „Selbstmord“. Mir war wichtig, aus der Tat keine 
Leistung zu machen, die Beifall verdient. Es ist mein persönlicher Nachruf.



Was sind die musikalischen Einflüsse von FÄULNIS? Hat die Band ihre 
Wurzeln eher im Black Metal oder eher im Punk? Welche Bands und auch
literarischen Vorbilder in Bezug auf die Texte haben ihre Spuren nachhaltig im
Sound von FÄULNIS hinterlassen?



Ich kann mir vorstellen, dass die Frage, bzw. die Antwort für Außenstehende 
interessant sein mag, für mich ist das aber schwierig bis anstrengend zu
 beantworten. Ich mache mir darüber kaum Gedanken, so dass ich im Grunde kurz
angebunden sagen könnte: alles um mich herum! Ich höre wirklich viel Musik und
 auch wirklich viel verschiedenes Zeug. Ja, nicht nur Black Metal, nicht nur Punk.
 Gerade „Punk“ wurde in einem letzten Interview (mit XXL-Rock.de) stark thematisiert,
 und klar, das ist auch ein wesentlicher Einfluss. Eben weil diese Konstellation, Black
 Metal und Punk, sich für mich sehr gut eignet, dem ein Klangbild zu geben, was ich
ausdrücken will.

 Meine Wurzeln liegen in Beidem, ich bin mit Beidem groß geworden. Ich höre mehr 
Metal, aber in bestimmten Punk-Sachen finde ich inhaltlich verstärkt wieder, was ich
im Black Metal mehr in der Atmosphäre finde.

 Literarisch das Gleiche, mich hat immer die Deutlichkeit im Punk beeindruckt, das ist
 es, was ich immer mehr vergegenwärtige. Weg vom Schöngeist. Es hat doch heute
eh keiner Zeit mehr zum Nachdenken, Worte müssen auf direktem Weg kaputt
machen! Größtmöglicher Gegensatz zu so was wie DORNENREICH! Versteh mich nicht falsch, ich respektiere die Band, bis zur „Her Von Welken Nächten“ innovativ ohne Ende, ich will denen auch gar nicht zu nahe treten, es geht nur um den Kontrast. Für mich ist das alles zu verkünstelt und verschachtelt, da empfinde ich nichts. Am eigenen Beispiel, man entwickelt sich ja, vergleiche mal „Letharg“ mit „Scheiße, Rückfall“ auf rein sprachlicher Ebene...



Welchen Input haben die anderen Musiker bei FÄULNIS? Sind sie in irgend
einer Weise am Songwriting beteiligt? Und warum werden ihre Identitäten
geheim gehalten?



Es ist unwichtig, und das war eine Entscheidung in der Gruppe. Hinter den Kulissen
läuft es vermutlich wie bei jeder anderen funktionierenden Band, wir reden und jeder
macht sein Maul auf. FÄULNIS ist mein „Baby“, es ist eine Vision oder was auch 
immer, auf jeden Fall etwas, was in seiner ganzen Ausprägung meiner Kopfscheiße 
entspringt. Auf der anderen Seite höre ich zu, sprich, ich würde niemals gute Ideen
ablehnen, nur weil sie nicht von mir sind. So sind vier Stücke auf dem Album dieses
Mal nicht von mir: „Abgrundtief“, „Durch die Nacht mit...“, „Paranoia“ und „In
Ohnmacht“. Die beiden Kollegen kamen damit fast unerwartet um die Ecke, und es 
hat einfach gepasst.



Eure früheren Werke, wie erwähnter letzter Streich „Gehirn Zwischen Wahn Und Sinn“, aber auch das Debütalbum „Cholerik: Eine Aufarbeitung2“ und die beiden EPs, sind nur noch sehr schwer zu bekommen, höchstens noch auf Vinyl. Werden diese Veröffentlichungen in absehbarer Zeit neu aufgelegt? Gibt es diesbezüglich Pläne?



„Gehirn zwischen Wahn und Sinn“ kommt demnächst über Cold Dimensions auf CD 
neu raus. Bei den anderen Sachen muss ich mir noch was überlegen, ich weiß es 
noch nicht.



Es gab vor einigen Jahren eine Kontroverse um FÄULNIS, da Eure 2005er EP „Letharg“ beim politisch zweifelhaften Label Christhunt Productions erschien. Hallt diese Geschichte immer noch nach? Und gab es jemals Ärger mit rechtem Publikum bei FÄULNIS-Gigs?



Außer von wirklich stark übermotivierten Gestalten wird uns da nichts angehängt. Da 
eilt uns einfach unser hervorragender „Schwuchteldreckszecken, schlimmer geht’s 
nicht“-Ruf voraus. 

Auf Gigs tatsächlich noch nie. Bei den Festivals waren jetzt immer mal vereinzelt ein
 paar Knalltüten mit schmissigen Gesten dabei. Einen habe ich dann auch mal zu
 packen bekommen: „Ja, äh, ja, hm, eigentlich bist Du ja voll nett“... auf Facebook 
hatte er wahrscheinlich wieder Fußbälle in der Hose.



Hast Du noch ein paar letzte Worte für Eure Fans?



Ab 18. April: „Aufbruch zum Abgrund“-Tour 2014 mit EïS und einer Reihe geiler
 Supports wie HARAKIRI FOR THE SKY, FYRNASK und PLAGE! Hier die Daten: 

http://dreadfulmedia.de/aufbruch/

 



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